Deutsche Geschichte (Band 1-3). Ricarda Huch
Nachdem die Staufer nahe daran waren, eine Erbmonarchie in Deutschland zu errichten, und Sizilien erobert hatten, waren die Päpste entschlossen, sie zu vernichten. Zu diesem Zweck verbanden sie sich mit den lombardischen Städten. Wären die deutschen Könige Herren im Süden, Herren in der Lombardei und dazu noch Herren in der Toskana durch den Besitz der Mathildischen Güter, so konnte Rom, von allen Seiten eingeschlossen, ihnen nicht entgehen; sie waren dann in Wahrheit Könige von Italien. Das Gefühl, Rom zu sein, Italien zu sein, erfüllte die Päpste mit der Energie nationaler Leidenschaft. So wenig wie einst die Langobarden wollten sie jetzt die Deutschen in Rom und Italien dulden, wie einst der Frankenkönig mußte jetzt ein Fürst gewonnen werden, um Italien zu befreien. Der tragische Widerspruch, daß der Papst schicksalsmäßig Nachfolger der Cäsaren geworden war und doch kein Schwert führte, vielmehr durch sein Amt zum Friedensfürsten bestimmt war, macht das Dämonische seines Wütens gegen die Kaiser, die er selbst gerufen und gesalbt hatte, verständlich. Ohnmächtig im weltlichen Sinn konnte er nur durch Fluch und Bann, durch das Gift der Verleumdung wirken.
Lothar von Segni, der als Innocenz III., erst 37 Jahre alt, Papst wurde, erklärte seinen Standpunkt, indem er sagte, dem Fürsten werde die Macht auf Erden, dem Priester aber auch die Gewalt im Himmel verliehen, jenem nur über den Leib, diesem auch über die Seele. Soviel die Würde der Seele die des Leibes überrage, ebenso überrage die Würde des Priestertums die des Königtums. Einen Einfluß auf die Königswahl habe der Papst zu beanspruchen, weil das Reich ihm seinen Ursprung und seine Vollendung verdanke, den Ursprung, weil er das Reich von Griechenland nach Rom verpflanzt habe, die Vollendung, weil er dem König die Kaiserkrone verleihe. Die Staufer nannte er ein Geschlecht von Verfolgern der Kirche; er würde, wenn er einen Staufer kröne, einem Räuber Waffen gegen sich selbst in die Hand drücken. Die Fürsten indessen, geistliche wie weltliche, bestritten dem Papst in bestimmten Ausdrücken das Recht zur Einmischung in die Wahl, und Heinrichs Bruder Philipp, ein liebenswürdiger und beliebter Mann, hatte sich allgemeine Anerkennung erkämpft, als er von Otto von Wittelsbach, der sich von ihm beleidigt glaubte, ermordet wurde. Otto, Heinrichs des Löwen Sohn, den Innocenz als Angehörigen einer der Kirche ergebenen Familie unterstützt hatte, trat als unbestrittener Kaiser sofort in den unentrinnbaren Gegensatz ein, indem er mit Nachdruck die Reichsrechte auf Italien geltend machte und sich zur Eroberung Siziliens anschickte. »Es reut mich, den Menschen gemacht zu haben«, sagte Innocenz mit den Worten Gottes. Ungefährlicher als der rücksichtslose Welfe kam ihm der jugendliche Friedrich vor, Heinrichs VI. Sohn, der als sein Mündel in Sizilien aufgewachsen war und mit dem er in gutem Einvernehmen stand. Als der Achtzehnjährige ins Reich aufbrach und durch Rom kam, begegneten sich der mächtige Papst und der stolze Staufer zum ersten und einzigen Male. Innocenz starb vier Jahre später; vorher hatte er die Genugtuung, auf einem Konzil im Lateran den aufsässigen Welfen abzusetzen. In der Kirche hat er das monarchische Prinzip, das er im Reich so schneidend bekämpfte, gestärkt und in allen Ländern außer Frankreich die Bischöfe von sich abhängig gemacht.
Im 7. und 8. Jahrhundert wiesen es die Päpste streng zurück, wenn sie als allgemeine Bischöfe angeredet wurden, weil sie dadurch den übrigen Bischöfen, ihren Brüdern, zu nahe träten. Sie wollten nicht mehr sein als die andern, nur wenn einer sich vergangen hätte, wollten sie sie zurechtweisen und in Fällen des Streites oder der Ungewißheit entscheiden dürfen. Innocenz III. beschränkte ihre Rechte, bis sie nicht viel mehr als Beamte des Papstes waren. Der Geist Roms richtete sich gebieterisch auf. Wozu einzelne Päpste den Grund gelegt hatten, das stand nun hüllenlos massiv da: die römische Weltherrschaft in der Hand der Päpste. Wiedergekommen war die Vergötterung der Cäsaren, die einst die christliche Kirche als Blasphemie der Heiden verdammt hatte. Innocenz III. sagte, er sei weniger als Gott und mehr als die Menschen und legte den Ton mehr auf das Erhobensein des Sterblichen in die Nähe der Allmacht als auf den Zwischenraum, der ihn noch von Gott trennte. Dasselbe Ziel verfolgte Gregor IX. in anderer Art. Innocenz war ein großer Organisator, umsichtig, immer seiner Zwecke bewußt und seine Mittel beherrschend mit der ruhigen Sicherheit des reifen Mannes. Gregor war alt, als er zur Regierung kam, und das Alter milderte seine Leidenschaft nicht, sondern steigerte sie zu äußerstem Ungestüm. Er mußte große Taten in eine kurze Spanne zwingen, mußte mit dem Feuer des Geistes die Gebrechlichkeit des Körpers ersetzen. Der Stil der päpstlichen Kurie, der von jeher eine Mischung spätrömischen Pompes und frommer Rührung gewesen war, schwoll grell an. Gregor entzündete einen roten apokalyptischen Himmel über Italien und Deutschland. Aber auch in das Kaisertum drang römischer Atem ein. Friedrich I. zwar hatte die römischen Ideen nur benützt, sich nicht davon beherrschen lassen; aber schon Heinrich VI., vor dem, als er in Palermo einzog, das Volk sich wie vor einem Gott in den Staub warf, begann in Sizilien eine Herrschaft aufzurichten, deren zentralistischer Charakter der deutschen Auffassung widersprach. Friedrich II. vollendete den Beamtenstaat, den er unumschränkt wie ein Despot regierte, wie der Papst über die sterblichen Menschen in die Nähe der Gottheit entrückt. Auch in Friedrichs Kanzlei wurde ein gebauschtes Pathos üblich; zwei Mächte stießen aufeinander, die sich bewußt waren, auf einer Ebene zu Häupten der Menschheit zu kämpfen.
Friedrich II. suchte sich im Beginn seiner Regierung mit Innocenz und dessen Nachfolger Honorius gut zu stellen, indem er förmlich versprach, erstens sein Königreich Sizilien nicht mit dem Reiche zu vereinigen, sondern es, sowie er Kaiser geworden wäre, seinem Sohne Heinrich zu übergeben, zweitens einen Kreuzzug zu unternehmen. Nachdem er im Jahre 1219 zum Kaiser gekrönt war, blieben beide Versprechungen unerfüllt. Die Vorwürfe des Papstes gab er zurück, indem er sagte, daß Honorius schlecht qualifizierte niedere Leute als Kreuzzugsprediger nach Deutschland schicke. Als Gregor Papst wurde, verfingen die Ausflüchte nicht mehr. Friedrich solle, sagte er, sich von den Lüsten der Welt abkehren, dem Himmlischen zu. Ihm sei eine dreifache Krone verliehen: von Deutschland, der Mutter, erhalte er die Gnadenkrone durch die freie Wahl der Fürsten, von der Lombardei, der Stiefmutter, die Krone der Gerechtigkeit, vom Papste, dem Vater, die Krone des Ruhmes, die ihm den Vorrang vor allen Gewalten der Welt gebe und das Reich mit Christus, der ebenfalls mit einem dreifachen Diadem gekrönt sei. Keinen geringen Rang gestand Gregor seinem Gegner mit diesem prachtvollen Bilde zu; er dachte groß genug, sich mit einem Ebenbürtigen messen zu wollen. Im Spätsommer desselben Jahres schiffte sich Friedrich, um den Kreuzzug anzutreten, in Brindisi ein; aber plötzlich wurde er krank, wie er sagte, und mußte zurückbleiben. Das entfachte den Streit von neuem. Ohne Untersuchung setzte Gregor voraus, daß die Krankheit des Kaisers vorgetäuscht sei, und exkommunizierte ihn, sich darauf stützend, daß der Kaiser selbst sich dem Bann verfallen erklärt hätte, wenn er sein Versprechen nicht erfüllen sollte. Friedrich beantwortete den Angriff damit, daß er allen Klerikern, Ordens- und Weltgeistlichen in Sizilien befahl, den Gottesdienst wie immer abzuhalten, widrigenfalls er ihre Güter einziehen würde, und daß er die angesehensten römischen Familien zu seinen Vasallen machte, indem er ihnen ihre Güter abkaufte und sie damit belehnte. Dann unternahm er die Kreuzfahrt und errang einen über alle Erwartung glänzenden Erfolg. Ohne Kampf, durch persönliches Verhandeln und kluges Eingehen auf die Eigenart der Sarazenen bewirkte Friedrich, daß der Sultan ihm Jerusalem, Bethlehem, Nazareth, die hochheiligen Orte Palästinas, dazu Tyrus und Sidon überließ; einzig der Tempel des Herrn in Jerusalem sollte unter sarazenischer Bewachung bleiben, weil die Sarazenen dort zu beten pflegten, aber den Christen sollte freier Zutritt zur Verrichtung ihrer Andacht gewährt sein. Verschiedene andere Vergünstigungen kamen dazu. Es war ein Erfolg, der einem Wunder glich und wie ein Gottesurteil zugunsten des Kaisers erschien. Trotzdem beherrschte Friedrich sich so weit, daß er sich zwar die Krone in Jerusalem aufsetzte, aber einen Gottesdienst, weil er gebannt war, nicht abhalten ließ. Daß gleich darauf Gesandte des Papstes erschienen und in seinem Namen die heiligen Stätten mit dem Interdikt belegten, hob das Ansehen des Kaisers; denn während dieser den Christen des Heiligen Landes Frieden und Recht brachte, störte jener den Frieden und das Gebet. Die Tatsache, daß der Kaiser, der das Heilige Land gewann, vom Papst gebannt war, ließ nicht nur in Deutschland, sondern auch in einem Teil des Auslandes den Kaiser als einen Gläubigen, den Papst als einen Friedensbrecher erscheinen.
Daß Friedrich eine so maßvolle Haltung bewahrte, war Verdienst des Deutschordensmeisters Hermann von Salza, dem daran lag, die beiden Häupter der Christenheit in ein gutes Verhältnis zu bringen. Auf seinen Rat hörte der Kaiser wie sonst auf wenig Menschen, weil er ihn achtete und fühlte, daß er immer das jeweils Beste wollte. Von dem nicht größten, aber interessantesten