Deutsche Geschichte (Band 1-3). Ricarda Huch
ein treuer Anhänger des Kaisers, gehörte zu den Gegnern Heinrichs des Löwen, suchte aber doch immer eine persönliche Verständigung zu ermöglichen. Er hielt seine Stadt Magdeburg in fester Hand; aber von ihm stammt eine Urkunde, in der er bei Begründung einer Schusterinnung festsetzt, dieselbe solle keine andere als selbstgewählte Behörden über sich haben, weil Ehre und Nutzen ohne Freiheit als gemeine Knechtschaft anzusehen sei. Mit derselben Liberalität verfuhr er bei Ansetzung der Siedler; sie brauchten weder Haus- noch Bodenzins zu zahlen, bis sie einen genügenden Ertrag ihres Anbaus erzielt hatten. Albrecht der Bär hat die Altmark und die Mark Brandenburg an das Reich gebracht und mit Deutschen besiedelt. Er hatte mit dem slawischen Fürsten von Brandenburg einen Erbvertrag geschlossen, und es ist überliefert, als derselbe gestorben sei, habe seine Frau seinen Tod verheimlicht, bis der von ihr benachrichtigte Albrecht unbemerkt angekommen sei, um die Regierung zu übernehmen. Auch die Lausitzen, die jahrhundertelang ein zwischen Polen, Böhmen und Deutschen schwankender Besitz waren, wurden um diese Zeit endgültig germanisiert. Schon der berühmte Wiprecht von Groitzsch, der zur Zeit der letzten salischen Kaiser auf den Granitfelsen bei der späteren Stadt Bautzen als Markgraf mächtig waltete, hatte Franken, Holsten, Bayern und Thüringer ins Land gerufen, die in den Namen noch blühender Familien eine Spur gelassen haben. Für die Christianisierung und Germanisierung der Gegend der südlichen Elbe und ihrer Nebenflüsse waren von jeher die Bischöfe von Meißen tätig.
Was die Bauern von Westfalen, Holland, Friesland, Flandern veranlaßte, ihre Heimat aufzugeben und auszuwandern bis in die Wälder eines ungarischen Grenzlandes, wo Wolf und Luchs und Elentier heimisch waren, darüber kann man nur Vermutungen anstellen. Aus zeitgenössischen Andeutungen muß man schließen, daß es zum Teil Küstenbewohner waren, denen Sturmfluten das noch nicht eingedeichte Land entrissen hatten, zum Teil diejenigen Bauernsöhne, die, während der Jüngste nach holländischem und flämischem Recht den Hof erbte, ihr Glück in der Fremde zu suchen pflegten. Aber abgesehen von den besonderen Umständen ist es natürlich, daß aus dem überreich besiedelten Westen stets ein Teil der Bevölkerung abzuströmen bereit war. Man sieht, wie groß die Zahl der freien Bauern im nordwestlichen Deutschland noch gewesen sein muß, denn die Hörigen würden ihre Herren nicht in so großer Zahl entlassen haben. Daß die benachbarten Grundherren sie bedrückten und abhängig zu machen suchten, wird sie mit bewogen haben, den weiten Weg nach dem Osten zu wagen.
Deutschland konnte noch verschwenden mit Land und mit Menschen. Zahllose wurden aufgerieben, zahllose waren sofort wieder da, ebenso kampflustig, arbeitstüchtig und todbereit, und unabsehbar harrten ihrer rauhen Hände die lehmige Scholle, der Sumpf, die unendlichen Eichen- und Buchenwälder. Daß ein so weites, nur dünn bewohntes Gebiet zwischen Elbe und Oder und zwischen Oder und Weichsel dem wachsenden Volke als Kolonialland zur Verfügung stand, war ein unermeßliches Glück. Es bedeutete nicht nur einen Machtzuwachs, sondern es gab dem ganzen Volke Gelegenheit zur Betätigung, den Armen Brot und verhinderte, daß Massenarmut entstand. Waren die Städte des Westens überfüllt, so konnte hier, auf dem Lande und in neugegründeten Städten, die Freiheit eine Zuflucht finden.
Die letzten Hohenstaufer
Was die Langobarden, was die Karolinger, was die starken Ottonen und die herrischen Salier vergebens erstrebten, das schien nun den Staufen zuzufallen: die Herrschaft in Italien. Das südliche Reich, das im Besitz Griechenlands geblieben war, das dann die Normannen erobert und zur Verfügung des Papstes gestellt hatten, das hatte Barbarossa an seinen Sohn gebracht. Eine neue märchenhafte Welt tat sich den Deutschen auf, wo das Grab des großen Zauberers Virgil und der Eingang zu den Höhlen des Hades waren, wo die heidnischen Sarazenen mit den Künsten des Orients die christliche Seele berückten. Vom Baltischen Meere bis zum Adriatischen und zum Mittelmeere breitete sich das Heilige Reich und schon wuchs es hinüber nach Afrika und nach Asien. Es verlor nicht im Norden, was es im Süden gewann, vielmehr dehnte es sich weiter und weiter nach dem Osten, und bald konnten seine Kaufleute, ohne fremdes Gebiet zu berühren, Bernstein von der samländischen Küste nach Palermo führen. Inmitten des mittäglichen Glanzes, der wie ein Mantel von Feuer das Stauferreich umstarrte, lief zuweilen ein Schauer über die Seele des deutschen Volkes. War es das ahnungsvolle Bewußtsein, daß es nicht gut ist, die Höhe erreicht zu haben, weil alle natürlichen Dinge sich auflösen müssen und von der Höhe zur Tiefe streben? An der Mosel sah man auf schwarzem Geisterroß Dietrich von Bern vorübergleiten. Trieb den Unbesiegbaren die Sorge um sein bedrohtes Volk? Ein anderer Schatten rührte sich im aufgewühlten Abgrund und stieg warnend ans Licht: der Antichrist. Immer von Zeit zu Zeit beunruhigte diese apokalyptische Gestalt die Gemüter; jetzt zog ihn das Gefühl des Endes herbei, den man auch den Endekrist nannte. In dem Spiel vom Antichrist, das wahrscheinlich am Ende des 12. Jahrhunderts in Deutschland aufgeführt wurde, mischte sich dies Endgefühl mit dem stolzen Bewußtsein der durch den König verwirklichten Weltherrschaft. Seinen Triumph, dem sich alle Mächte unterordnen, den auch Frankreich anerkennt, das auf die Nachfolge Karls des Großen und die Weltherrschaft Anspruch erhob, unterbricht der Antichrist mit den Schicksalsworten: Meines Reiches Stunde ist gekommen. Nicht die Reichsfeinde führen seinen Sturz herbei, von der gottähnlichen Macht des Bösen umgarnt, steigt er selbst vom Throne und legt seine Krone dem Antichrist zu Füßen. Wie im germanischen Mythos von der Götterdämmerung der Bruch des Rechtes durch die Götter das Ende herbeiführt und rechtfertigt, so hier der Abfall des Kaisers von Gott, da er das verlarvte Böse nicht mehr vom echten unterscheidet.
Die Nachricht vom fernen Tode Barbarossas ging wohl wie eine Wolke über die Mittagsglut des Reiches; aber sie brannte fort, obwohl der Umstand, daß die Söhne der Heroen entartet zu sein pflegen, den Übergang der Herrschaft auf die Erben eines Großen gefährlich macht. Alle Kinder Friedrichs I., seine fünf Söhne, wie seine Töchter, starben jung; zwei von den Söhnen allerdings, Konrad, Herzog von Sachsen, und Philipp, der jüngste, durch Mord. Heinrich, schon zu Lebzeiten des Vaters Mitregent, entsprach äußerlich nicht dem Bilde der Deutschen von ihrem Kaiser; wohl war er schön von Gesicht, aber dunkel und schmächtig. In der Kunst des Herrschens glich er dem Vater, nur daß alle seine Äußerungen um eine Schwingung härter und schärfer waren. Ein Liebesgedicht, das von ihm vorhanden ist, zeigt, daß er sich ritterliche Bildung angeeignet hatte, und deutet vielleicht auf Stunden des Spiels und der Schwärmerei, die ihm beschieden waren; es begleitet mit wehmütigem Flug seinen blutigen Gang durch die Geschichte.
Zwei Ziele verfolgte Heinrich VI.: das Königtum in Deutschland erblich zu machen und sich Süditalien zu unterwerfen, auf das er durch seine Heirat mit Constanze Anspruch hatte, beides fast aussichtslose Unternehmungen. Bedenkt man, daß alle Könige die Erblichkeit der Krone, wenn auch meist nur im einzelnen Falle, angestrebt hatten, und daß immer mehr von Fürsten und Papst gemeinsam der Grundsatz der Erblichkeit heftig bekämpft wurde, erscheint es wie ein Wunder, daß auf einem Hoftage zu Würzburg im Jahre 1196 der junge Kaiser die Annahme desselben durchsetzte. Wahrscheinlich verzichtete er schon bald danach auf den erlangten Erfolg, um die Stimmen widerstrebender Fürsten für die Wahl seines Sohnes zu gewinnen; eine Erbmonarchie in Deutschland hätte auf die Dauer wohl weder die Eifersucht der Stämme noch die geographische Beschaffenheit Deutschlands gelitten. Auch in Unteritalien erreichte er, was er wollte: nach grausamer Unterdrückung des Widerstandes mußte sich Sizilien unterwerfen. Mit den ungeheuren Reichtümern, die ihm aus dem Schatz der normannischen Könige zufielen, sicherte er sich die Anhängerschaft der deutschen Fürsten und Ritter. Eine zweite außerordentliche Einnahme verschaffte ihm die Gefangenschaft von Richard Löwenherz, der sich nur durch ein großes Lösegeld die Freiheit erkaufen konnte. Den Papst gewann er dadurch, daß er das Kreuz nahm, vermutlich ohne die Absicht, selbst den Kreuzzug anzutreten. Die nüchterne Art, wie er, einzig den politischen Nutzen im Auge, die Gebote der Ritterlichkeit und zuweilen auch die der Ehre und Menschlichkeit beiseite ließ, mißbilligte mancher Zeitgenosse; etwas Unheimliches lag in seiner Verbindung mit der Fremden, die Mutter seines Sohnes war und als Vertreterin ihres Volkes ihn haßte und, wie es hieß, ihn vergiftete. Wenn die trotzigen deutschen Fürsten keinen Widerspruch gegen ihren schneidigen Herrn wagten, wenn die Sizilianer sich unterwarfen und selbst das Glück an ihn gefesselt schien, der Tod blies gleichgültig das stolze Licht aus.
In Deutschland überwog