Die Amazonas-Detektive - Verschwörung im Dschungel. Antonia Michaelis

Die Amazonas-Detektive - Verschwörung im Dschungel - Antonia  Michaelis


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sagte Pablo. »Oder? Also war sie eine Dame. In Europa sind alle reich.«

      »Pfft«, machte Ximena wieder. »Das glaubst auch nur du. Der alte Herr meint, sie hatten nichts, meine Eltern, nicht einen Centavo, und dass meine Eltern verrückt waren, beide, und dass ich froh sein soll, dass er mich aufgenommen hat. Er hatte immer das Geld, nur er. Mein Vater hätte es erben können, aber er ist nach Europa gegangen und hat meine Mutter da getroffen und wetten, sie waren auch Abenteurer?«

      »Sie sind nach Brasilien zurückgekommen und … haben was genau gemacht?«

      Ximena zuckte mit den Schultern. »Darüber redet der alte Herr nicht. Wenn ich ihn frage, tut er, als hätte er nichts gehört, und fummelt an seinem Hörgerät herum. Dabei hört er prima, das weiß ich. Ich wette, sie haben ein wahnsinnig tolles Abenteuer erlebt und dann …«

      Sie verstummte. »Ich weiß nicht. Dann sind sie irgendwie gestorben. Oder verschwunden.«

      »Verschwunden«, sagte Pablo. »Wie … Miguel.«

      »Nein, anders«, sagte Ximena. »Ohne Nachricht und Hund. Vielleicht haben sie mich auch einfach hiergelassen, bei dem alten Herrn im Silberhaus, weil sie mich nicht wollten. Weil sie ohne mich bessere Abenteurer sein konnten.« Sie sah so traurig aus, dass Pablo einen Arm um sie legte, aber dann blickte sie auf und ihre blauen Augen blitzten. »Aber ich werde auch ohne sie eine Abenteurerin, das sollst du mal sehen«, flüsterte sie. »Und jetzt gehen wir los und bringen in Erfahrung, wo Miguel steckt. Irgendwer in der Stadt muss doch was wissen.«

      »Die Stadt ist groß«, sagte Pablo. »Und es ist ein verschwundener junger Mann. Nur einer.«

      »O nein«, sagte Ximena geheimnisvoll. »Ich habe den alten Herrn reden hören. Es ist eine ganze Gruppe. Er war Student, oder?«

      »War? Er ist immer noch Student«, sagte Pablo.

      In diesem Moment öffnete sich fünf Meter entfernt ein Fenster unten im Silberhaus. »Ist da jemand?«, fragte eine heisere Stimme aus dem Fenster. »Hallo?«

      Der Kegel einer starken Taschenlampe wanderte über den Kieselsteinplatz und die Treppe vor der Hintertür.

      Aber Ximena und Pablo saßen längst nicht mehr dort. Sie hatten sich hinter die Stufen geduckt und winzig klein gemacht. Nur der Hund saß verwirrt noch immer vor der Tür.

      image»Ach, bloß ein Hund«, murmelte der alte Herr. »He! Du! Geh weg!« Und dann flog etwas durch die Luft, und der Hund sprang auf und kroch winselnd durch die Hecke.

      »Teufel auch, ich hätte schwören können, dass die Hecke dicht genug ist, um nichts und niemanden durchzulassen«, sagte der alte Herr und schloss das Fenster. »Wir bleiben hier alle schön in unserem Bereich, Hund, hörst du? Nicht dass das Kind eines Tages auf Ideen kommt. Zu gefährlich da draußen. Viel, viel zu gefährlich.«

      Ximena und Pablo atmeten beide langsam aus, sahen sich an und lachten. Allerdings ganz leise.

      »Nichts und niemanden durchzulassen, der hat eine Ahnung«, flüsterte Ximena.

      »Was hat er denn nun gesagt, über Miguel?«, wisperte Pablo.

      »Über Miguel gar nichts, er kennt ihn ja nicht«, sagte Ximena. »Aber neulich saß er vor seiner englischen Zeitung vorne am Gartentisch und hat den Kopf geschüttelt und zum Gärtner gesagt, der vorbeikam: ›Schau dir diese Studenten an, Juan, fahren die da doch wirklich raus und glauben, sie könnten etwas ändern.‹

      Juan hat mit ihm in die Zeitung geguckt und ›Ja, Senhor‹ gesagt, das sagt er immer.

      ›Ich werde dir was sagen, Juan‹, hat der alte Herr gesagt, ›die werden allesamt verschwinden, diese verrückten Studenten, die sieht keiner je wieder.‹

      Und ich habe ihn gefragt, worüber er redet. Ich saß am Tisch und habe Hausaufgaben gemacht. Aber er hat nur geknurrt und gesagt, dafür wäre ich noch zu klein, und hat die Zeitung mitgenommen und ist ins Haus gegangen, obwohl er seinen Kaffee nicht ausgetrunken hatte, und seine Schultern waren ganz krumm, krummer als sonst, und irgendwie glaube ich, er dachte an seinen Sohn. Meinen Vater. Der auch nie wiedergekommen ist – von wo auch immer.«

      »Das heißt, eine ganze Gruppe von Studenten ist verschwunden?«, wisperte Pablo. »Hast du dir die Zeitung angeguckt?«

      »Die ist auch verschwunden«, sagte Ximena. »Wie die Studenten. Ich habe sie in seinem Arbeitszimmer gesucht, als er nicht da war, aber er hat sie zu gut versteckt. Er will nicht, dass ich diesen Artikel lese.«

      »Weil es gefährlich ist«, wisperte Pablo. »Es ist sogar gefährlich, den Artikel nur zu lesen.«

      Und er spürte, wie es in ihm kribbelte vor Aufregung.

      »Gefährlich«, wiederholte Ximena. »Wie alles draußen vor der Hecke.« Dann stand sie auf. »Dein Hund wartet da draußen.«

      »Ja, ich … sollte gehen«, sagte Pablo.

      Ximena nickte, er sah es nur gerade so im Dunkeln. »Ich wette, es gibt eine ganze Menge Leute in der Stadt, die die eine oder andere Sache wissen. Und die um diese Zeit nicht schlafen. Es ist gerade halb elf.«

      Pablo nickte langsam. »Ich habe ein paar Freunde, die am Theaterplatz … arbeiten«, sagte er. »Man hört eine Menge, wenn man da arbeitet. Es ist die Mitte der Stadt. Die Mitte aller Mitten.«

      »Dann sollten wir gehen«, sagte Ximena.

      »Moment – wir?«, fragte Pablo.

      »Natürlich«, flüsterte Ximena, huschte barfuß über den Kieselsteinplatz, um sich auf alle viere niederzulassen. Da saß sie, in ihrem weißen Nachthemd, vor dem Durchschlupf in der Hecke, und ihre Augen blitzten wieder. »Komm! Wir sind dabei, in ein Abenteuer zu geraten, ist dir das nicht klar? In ein richtiges Abenteuer! Das ist die Chance!«

      »Aber du kannst nicht …«, begann Pablo. Da war Ximena schon durch die Hecke gekrochen und er seufzte und kroch ihr nach. »Das gibt Ärger«, wisperte er. »Das gibt verdammt Ärger mit dem alten Herrn vom Silberhaus.«

      »Ach was«, sagte Ximena. »Bis morgen früh bin ich wieder da.«

      Aber Pablo dachte, dass man das nie wusste.

      Es war merkwürdig, mit Ximena durch die nächtlichen Straßen von Manaus zu wandern. Er hatte darauf bestanden, sie an der Hand zu nehmen, obwohl sie ihn ausgelacht hatte. Sie wusste nicht, welche tatsächlichen Gefahren in den Schatten lauerten. Sie wusste nicht, wie recht ihr Großvater hatte.

      imageSie war nie nachts hier draußen gewesen. Oder überhaupt alleine draußen.

      Der Hund lief neben ihnen her.

      Und dann spuckten die Schatten ganz plötzlich eine Gestalt aus, die vor ihnen auf die Straße taumelte: einen Betrunkenen. »Hey … hey!«, lallte er. »Was … sucht denn so eine junge Dame um die… diese Zeit auf der Straße?« Er kam direkt vor ihnen zum Stehen und dann schnellte sein Arm plötzlich vor und packte den weißen Kragen von Ximenas Nachthemd. »Was … sucht sie, hmmm?«

      »Lass sie los!«, fauchte Pablo. »Hau ab!« Aber der Betrunkene, der ein ganzes Stück größer war als Pablo, lachte nur, wobei man seine fauligen Zähne sah. »Na? Ein kleiner Kavalier, hm? Hey, du bist doch der Junge, der auf dem Turm dieser Bruchbude schläft, was? Ein Turm auf einem Müllplatz voller Schlingpflanzen? Was machst du denn mit … so einer feinen kleinen Dame?«

      Pablo sah es vor sich: Wie er seinen silbernen Degen aus der Scheide holte. Wie er ihn durch die Luft sausen ließ und dem Betrunkenen ein Stück seines ungepflegten Bartes absäbelte. Wie er pfiff und ein feuriger Rappe angeschossen kam, auf den er Ximena hinaufhob, sein Rappe, wie er den Hut lüftete, einen breitkrempigen Stohhut mit einer Blume daran – und mit Ximena in die Nacht davongaloppierte. Ein echter Abenteurer.

      Der Betrunkene ließ Ximena los und taumelte rückwärts. »Ist


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