Die Amazonas-Detektive - Verschwörung im Dschungel. Antonia Michaelis

Die Amazonas-Detektive - Verschwörung im Dschungel - Antonia  Michaelis


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nicht mit ihm gesprochen hatte, sondern mit dem Hund. Der hatte sich ganz nah zu Ximena gestellt und die Zähne gebleckt. Er reichte ihr bis zur Brust und er sah wirklich Furcht einflößend aus mit seinem Wolfsgebiss.

      Ximena legte ihm eine blasse Hand auf den graufelligen Kopf.

      »Wenn Sie wirklich wissen wollen, was ich suche«, sagte sie sanft. »Es ist ein Student, der verschwunden ist. Ein Freund meines Freundes. Miguel.«

      »Verschwunden?«, echote der Betrunkene. »Oh, meine Kleine, wenn jemand verschwindet, davon sollte man die Finger lassen, glaub mir, niemand hat je einen Verschwundenen zurückgebracht. Wer verschwindet, verschwindet einfach, so ist das, leg dich bloß mit keinem an, das ist ein Fall für …«

      »… die Polizei?«, flüsterte Ximena ehrfürchtig.

      »Die … die … die Akten«, lallte der Betrunkene. »Aufschreiben, abheften, in den Schrank stellen – vergessen. Da kann man sowieso nichts machen.«

      »Für einen Privatdetektiv kommt das nicht infrage«, sagte Ximena entschlossen. »Wir schwören, unseren Ort zu be…«

      »Oh, wenn du ein Privatdetektiv wärst, würdest du genauso die Finger davon lassen«, antwortete der Betrunkene. »Dann wüsstest du, dass du am Ende auch nur verschwinden würdest. Da ist ein … ein schwarzes Loch da draußen, das … das saugt die Leute auf, die … die zu viel ändern wollen, glaub mir, junge Dame, Studenten sind immer gefährdet, sie denken zu viel, ja, denken viel zu viel …«

      »Oh, ich denke nicht, dass wir auch verschwinden werden«, sagte Ximena ganz ruhig, ohne die Hand vom Kopf des Hundes zu nehmen. »Wenn sie uns jetzt bitte durchlassen würden? Wir haben zu tun.«

      Damit schritt sie, hocherhobenen Hauptes, an dem Betrunkenen vorbei, den Hund an ihrer Seite, und Pablo beeilte sich, mit ihr Schritt zu halten.

      »Privatdetektiv?«, fragte er, als der Betrunkene außer Hörweite war.

      »Ja, das sind wir jetzt doch, oder nicht?«, fragte Ximena und wandte sich ihm zu und das Lodern in ihren Augen passte gar nicht zu ihrem lieblichen Äußeren.

      »Ich … äh … dachte, wir sind zwei Kinder, die einen Studenten suchen«, sagte Pablo nüchtern. »Und ganz ehrlich, ich suche ihn, weil er mir jede Woche ein Sandwich kauft.«

      »Du suchst ihn, weil er dein Freund ist«, sagte Ximena. »Und wir sind die … die Furchtlosen Drei vom Rio Negro. Die … ersten und einzigen Amazonas-Detektive. Und wir versprechen einander, nie, niemals zu verschwinden.«

      »Okay«, sagte Pablo zweifelnd.

      Ximena reichte ihm feierlich ihre blasse Hand und die Berührung ihrer kühlen Finger jagte einen kleinen Schauer über seinen Rücken.

      »Komm jetzt«, flüsterte sie. »Wir wollten zum Theaterplatz! Mit deinen Bekannten sprechen. Mal sehen, was die wissen.« Sie gingen weiter, leise, im Nachtschatten der Häuser, und Ximena wisperte aufgeregt: »Es ist wunderbar, weißt du? Wunderbar, hier draußen zu sein. Und endlich, endlich ein Abenteuer zu erleben. Danke.«

      Pablo nickte nur.

      Er erzählte ihr nichts von den Banditen, die man hier draußen traf, nichts von den Kinderbanden der Straße, die nachts ihre Kämpfe austrugen, nichts von Schießereien und zwielichtigen Geschäften im Schutz der Nacht. Für Ximena war alles nur ein Spiel.

      Sie schwebte in ihrem weißen Nachthemd, mit ihrem offenen Haar neben ihm durch die Dunkelheit wie ein Engel aus einer anderen Welt, und wenn er den Engel heil nach Hause brachte, hatte er gewonnen. Danach würde er auf eigene Faust weiter nach Miguel suchen.

      Auf gar keinen Fall würde er den Engel in Gefahr bringen.

      Und auf allergarkeinsten Fall eine Detektiv-Agentur mit ihm zusammen gründen.

      »Die Furchtlosen Drei vom Rio Negro«, murmelte er vor sich hin. »Das klingt … das klingt …« Er wollte »kindisch« sagen. Aber stattdessen hörte er sich sagen: »Das klingt ziemlich gut.«

image DRITTES KAPITEL,
in welchem ein Geiger ohne Orchester, ein blinder Opernsänger, die mutige Maria und ein Reisender vorkommen, der nicht mehr reist

      Nacht in Manaus: Ratten und Katzen huschten durch die Schwärze, Menschen schliefen auf dem Boden, ein Liebespärchen drückte sich eng umschlugen an eine Mauer.

      Aber dann wurde es heller in den Straßen und Pablo und Ximena kamen ins Zentrum, wo Licht aus den Bars schien, wo Musik die Luft füllte, wo Trauben junger Leute vor den Eingängen der Tanzschuppen standen: Studenten vielleicht wie Miguel. Hatte auch er hier mit seinen Freunden herumgestanden? Getrunken? Getanzt? Aber was war dann geschehen?

      Hatte der schadhafte Asphalt sich aufgetan und sie einfach verschluckt?

      Wie verschwinden Menschen?

      Ximena nahm die bunte Nachtwelt mit großen Augen in sich auf.

      »Man kann sogar jetzt nachts was zu essen kaufen, schau!«, sagte sie. »Da sind die Wagen der Tortilla-Sandwich-Verkäufer! Sie fahren auch nachts herum?«

      »Klar«, sagte Pablo. »Hast du Hunger?«

      Ximena nickte. Sie griff unter ihr Nachthemd und Pablo sah erstaunt, wie sie eine kleine Umhängetasche darunter hervorangelte. Sie musste diesen Ausflug geplant haben. Warum zum Teufel hatte sie sich dann nicht etwas anderes angezogen?

      Ximena reckte sich auf die Zehenspitzen und reichte dem Verkäufer hinter seinem Wägelchen einen Schein. Der Verkäufer sah den Engel und lächelte.

      image»Eine Tortilla für die junge Dame, bitte sehr … Wenn ich fragen darf, kommen Sie gerade aus dem Theater? Gab es dort eine Vorstellung mit Elfen oder Feen?«

      »Jaja«, sagte Ximena nur und dann teilten sie die Tortilla, auch mit dem Hund, während sie weitergingen. »Das ist vermutlich das Beste, was ich je gegessen habe«, sagte Ximena zufrieden. »Im Silberhaus gibt es dreigängige Menüs, die man mit verschiedenen Arten von Messern und Gabeln essen muss. Es gibt nichts Öderes, als mit einem alten Mann am Tisch zu sitzen, der die ganze Zeit nur vor sich hin denkt und schweigt.«

      Sie wischte die schmierigen Finger an ihrem Nachthemd ab, was interessante Streifen hinterließ.

      »Da vorne ist das Theater, siehst du? Wir sind fast da!«

      Pablo nickte. Die glänzende, angeleuchtete Kuppel ragte golden in den dunklen Himmel und erzählte vom Reichtum vergangener Zeiten.

      Und dann – dann waren sie auf dem quadratischen Platz neben dem Theater, auf dem sich das ganze Leben der Nacht entfaltete.

      Jongleure jonglierten, ein Geiger geigte, jemand hatte unter einem der Bäume eine kleine Leinwand aufgestellt und zeigte in einer Ecke irgendeinen alten Film. Verkäufer schoben ihre Wägelchen herum. Jeder versuchte, mit irgendetwas Geld zu verdienen, bis tief in die Nacht hinein.

      Um den Platz herum standen die Stühle von vier Cafés in der warmen Nacht, dort saßen die Touristen. Bettler bewegten sich wie Schatten zwischen den Stühlen hindurch.

      »Wenn sie einen guten Tag draußen im Urwald hatten, sind sie spendabel«, sagte Pablo und grinste. »Wenn sie rosa Delfine gesehen haben, gibt es drei Münzen. Bei Brüllaffen vier. Und wenn sie die Spuren eines Jaguars entdeckt haben, geben sie fünf.«

      »Der Urwald«, wiederholte Ximena, fast ehrfürchtig. »Warst du schon mal da?«

      »Noch nicht«, sagte Pablo ernst. »Aber ich werde hingehen.«

      »Ich auch«, sagte Ximena. »Ich meine, das ist doch verrückt, er ist überall um die Stadt herum, aber ich habe ihn nie gesehen! Manchmal,


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