Die Amazonas-Detektive - Verschwörung im Dschungel. Antonia Michaelis

Die Amazonas-Detektive - Verschwörung im Dschungel - Antonia  Michaelis


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hob er plötzlich den Kopf und sah sie an, obwohl er doch nichts sehen konnte.

      »Geht«, sagte er. »Fragt nicht nach eurem Freund Miguel und den anderen. Fragt besser nicht. Zu gefährlich. Wer zu viel fragt, bekommt einen der Tode ab. Einen kleinen in eurem Fall. Ihr seid noch so jung.«

      Ximena zupfte Pablo am Ärmel. »Ist er … besoffen?«, flüsterte sie.

      »Nein«, wisperte Pablo. »Er ist Poet. Das ist fast das Gleiche. Wenn er keine Opern singt, sitzt er hier und schreibt Gedichte auf alte Papierschnipsel. Komm.«

      »Aber …«

      »Dumme Jungs«, sagte jemand von unten herauf und Pablo drehte sich um. Ein Bettler in einem alten Rollstuhl war herangerollt, es war tatsächlich ein Stuhl auf Rollen oder vielmehr ein alter Korbsessel. »Dumme Jungs, alle miteinander, dein Miguel und seine Freunde«, schnaubte der Bettler, ein alter Mann mit schütterem grauem Haar und hellgrauen Augen. »Aber wir waren wie sie, was, Tom? Dumme Jungs. Wollten die Welt ändern. Sieh dir an, was aus uns geworden ist.«

      »Wer ist das?«, wisperte Ximena.

      Pablo zuckte mit den Schultern. »Wir nennen ihn den Reisenden. Aber seine Reisen macht er nur noch mit dem Rollstuhl und hält die Hand auf. Keiner weiß, woher er stammt, er redet nicht darüber. Irgendwo aus Europa.«

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      »Himmel!«, rief eine Frau, und als Pablo sich diesmal umdrehte, blickte er in das breite, freundliche Gesicht einer Frau, auf deren Arm ein Baby schlief. Sie stand hinter einem kleinen Wagen voller Gläser und Plastikflaschen mit buntem Inhalt. »Maria«, sagte Pablo. »Die beste Saftverkäuferin von Manaus.« Zu Marias Füßen lagen in einer Holzkiste, die sie an den Saftwagen geschraubt hatte, zwei weitere kleine Kinder, zwei oder drei Jahre alt, und schliefen unter einer bunten Decke. Eine Handvoll etwas größerer Kinder tobten um sie herum, nachtwach wie Eulen. Sie jagten sich und kicherten.

      »Ich kann mir nie merken, wie viele Kinder sie hat und wie sie heißen«, flüsterte Pablo. »Was meintest du mit Himmel, Maria?«

      »Ich meinte: Himmel noch mal, warum reden die Männer alle um den heißen Brei?«, sagte Maria. »Ihr Angsthasen! Ihr Duckmäuser!« Sie strafte den Reisenden im Rollstuhl, Tom Weißfeder und den Geiger mit verächtlichen Blicken. »Diese Kinder haben eine einfache Frage gestellt und verdienen eine Antwort. Und Miguel verdient es, dass jemand endlich losgeht und versucht, ihn zurückzuholen.«

      Sie musterte Ximena kritisch. »Auch wenn der eine Jemand ein Nachthemd trägt und der andere so ein Nichtsnutz ist wie Pablo.« Sie kam um ihren Wagen herum und tätschelte Pablo liebevoll den Kopf, wodurch seine Schiebermütze leider verrutschte und vielleicht nicht mehr ganz so lässig aussah. »Hört gut zu«, sagte Maria und jetzt sprach sie ganz leise. »Miguel und seine Freunde sind in den Wald gefahren, um gegen den neuen Staudamm zu demonstrieren, den sie im Regenwald bauen wollen. Er hat es mir erzählt. Und der Staudamm war auch in der Zeitung. Als wunderbares Projekt, das uns viel Strom bringt und Arbeitsplätze schafft. Aber um den Staudamm zu bauen, müssen sie ein Riesengebiet fluten. Ade, Urwald. Manche Leute murmeln, es würde sich nicht mal lohnen, diesen Staudamm zu bauen, weil die Hälfte des Jahres über gar nicht genug Wasser in den Flüssen ist. Aber jemand verdient wohl viel Geld daran, das Ding zu bauen. Jemand, der Macht und Einfluss hat. Sie sind demonstrieren gegangen, dein Freund und seine Leute. Gegen den Staudamm. Sie wollten den Urwald retten. Und jetzt sitzen sie irgendwo fest, weil das jemandem nicht gefallen hat.« Sie nickte. »Geht los und sucht sie. Die Erwachsenen haben alle zu viel Angst. Aber ihr seid mutig, richtig?«

      »Natürlich«, sagte Ximena. »Wir sind die Furchtlosen Drei vom Rio Negro. Die Amazonas-Detektive.«

      »Ja, zum Amazonas werdet ihr wohl hinausmüssen, um eine Spur zu finden«, sagte Maria und nickte. »Und der Amazonas ist nicht ohne.«

      »Wer, der Fluss oder der Wald?«, fragte Pablo. »Heißt doch beides Amazonas, was? Das hat mich immer schon durcheinandergebracht.«

      Sie schnaubte. »Ich meine auch beides. Sie zerstören ihn, den ganzen Wald mit all seinen Flüssen nach und nach. Aber noch hat er Macht und er ist nicht immer freundlich zu Reisenden. Ihr werdet eine Menge Dinge brauchen. Hängematten. Proviant für viele Tage. Ausreichend Wasser. Medikamente. Moskitonetze. Morgen. Morgen könnt ihr aufbrechen. Jetzt solltet ihr schlafen.«

      »Aber wohin müssen wir? Wohin genau?«

      »Das erkläre ich euch morgen, wenn ihr ausgeschlafen seid«, sagte Maria. »Hier auf den Bänken schläft es sich gut. Es ist spät, seht ihr, die Leute packen ihre Sachen alle ein. Selbst die ängstlichen Männer mit ihren Geigen und Radios und Rollstühlen. Und ich werde meinen Kindern hier ein Lager machen, ich werde über ihren Schlaf wachen und über euren.« Sie lächelte. »Dann können wir morgen früh weiterreden.«

      »Aber Ximena muss zurück ins Silberhaus«, sagte Pablo. »Ich werde alleine in den Amazonas gehen.«

      »O nein, das wirst du nicht«, sagte Ximena, kletterte auf eine der steinernen Bänke und rollte sich gähnend zusammen wie eine Katze. Eine Katze in einem weißen Nachthemd. Pablo schob ihr seine bunte Umhängetasche hin, als Kopfkissen, und sie lächelte dankbar.

      »Aber … wird dein Großvater nicht die ganze Stadt auf den Kopf stellen, um dich zu finden, wenn du am Morgen nicht in deinem Bett bist? Er wird dich hier finden!«, sagte Pablo.

      »Nicht wenn wir früh genug aufstehen«, murmelte Ximena und schloss die Augen.

      Pablo träumte von einem riesigen See mit glänzender Oberfläche und mitten auf dem See saß Miguel ganz allein in einem Einbaum. »Viele kleine Tode«, sagte er und sah Pablo an. »Schau, du siehst sie überall.«

      »Ich sehe nichts«, sagte Pablo in seinem Traum.

      »Eben«, meinte Miguel. »Sie sind unter dem Wasser. Pablo, bitte hilf mir. Ich kann nicht mehr ans Ufer. Ich habe das Paddel verloren.«

      »Aber ich kann nicht schwimmen!«, rief Pablo verzweifelt.

      »Dann nimm die Hand des Engels, der bei dir ist, und flieg!«, sagte Miguel. »Flieg zu mir. Finde mich. Ich warte auf dich.« Aber als Pablo versuchte, sich vom Boden abzustoßen, sprang aus dem Wasser vor ihm ein Kaiman, ein großer grüner, besonders langer Kaiman. Er sprang direkt auf ihn zu und riss das scharfzahnige Maul auf. Und er spürte die Zunge des Kaimans auf seinem Gesicht und wusste, dass sein Ende gekommen war.

      Der Urwald war zu gefährlich. Sie hatten alle recht gehabt.

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image VIERTES KAPITEL,
in welchem die Amazonas-Detektive ein Gespräch hinter einem roten Vorhang belauschen und der Hund Kaffee trinkt

      »Pablo? Pablo! Guck nicht so entsetzt, es ist nur der Hund, kein Monster!«

      Pablo blinzelte. Und blickte in Ximenas Gesicht, das irgendwo über ihm schwebte. Der Hund, der offenbar Pablos Gesicht abgeleckt hatte, zog sich eben zurück.

      »Ich … ich dachte, du wärst ein Kaiman«, murmelte Pablo und wischte sich Hundespucke von der Wange. »Wo ist Maria? Sie wollte uns erzählen, wo genau die Studenten …« Er sah sich um.

      Es war später Morgen, die Sonne hing goldgelb über den Bäumen am Platz und der Platz selbst war leer gefegt. Nur hier und da eilten an seinem Rand Menschen vorbei.

      »Weg«, sagte Ximena. »Maria ist weg. Samt all ihrer Kinder.«

      Ihre blauen Augen sahen ernst aus.

      »Na ja, sie … sie ist wahrscheinlich nach Hause gegangen, um neuen Saft zu machen, den sie dann verkaufen kann«, sagte Pablo, aber er hatte ein komisches


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