Öffne dein Herz. Hanna Berghoff
freuen konnte.
Jana hustete. »Ich glaube, ich habe genug gesehen«, sagte sie etwas undeutlich, leicht krächzend. »Ich wollte sowieso nur –« Sie brach erneut hustend ab.
Deine Neugier befriedigen? setzte Melanie in Gedanken fort. Damit du beim nächsten Dorfklatsch etwas zu erzählen hast?
»Ich kann hier auch nichts mehr tun.« Sie nickte. »Und heute«, sie blickte auf ihre Uhr, »werde ich wohl auch niemanden mehr erreichen. Also kann ich nur noch in mein Hotel gehen.« Sie zuckte die Schultern. »Ab wann ist die Dorf- . . . ich meine, die Freiwillige Feuerwehr morgen früh ansprechbar?« Fragend blickte sie Jana an.
»Sie halten mich anscheinend für die Auskunftsstelle vom Dienst.« Jana lachte mit immer noch etwas rauer Stimme. »Aber das kann ich Ihnen wirklich nicht sagen.«
»Warum sollten Sie auch?« Melanie wollte tief durchatmen, aber schon bei dem Versuch merkte sie, warum Jana gehustet hatte, deshalb kürzte sie ihren Atemzug auf einen normalen ab. »Sie sind ja nicht bei der Feuerwehr.«
»Nein, bin ich nicht«, bestätigte Jana. Gleichzeitig legte sie leicht den Kopf schief. »Sie wohnen bei Gerbingers? Weil Sie sagten: Hotel.«
»Bei einer Familie Brandl«, erwiderte Melanie erstaunt.
»Ach so.« Jana wandte sich in die Richtung, aus der sie gekommen war. »Das ist ein Landgasthof, kein Hotel.« Sie schmunzelte. »Hotels gibt es bei uns hier nämlich eigentlich gar nicht. Deshalb hatte ich mich gewundert.«
Melanies Auto stand in der entgegengesetzten Richtung, deshalb wäre es komisch gewesen, wenn sie Jana jetzt gefolgt wäre. Warum hatte sie also das Bedürfnis dazu?
»Ich hätte es wissen müssen«, erwiderte sie leicht entschuldigend. »Ich bin nämlich eigentlich gern auf dem Land in der Natur. Und oft. Jedes Wochenende, wenn ich kann. Ich habe eine Schaluppe in Waren-Müritz liegen.«
Statt in die andere Richtung zu gehen, wie sie es anscheinend vorgehabt hatte, drehte Jana sich um und kam auf Melanie zu. »Tatsächlich? So hätte ich Sie gar nicht eingeschätzt. Ich dachte, Sie wären eine richtige Großstadtpflanze.«
»Wahrscheinlich bin ich das auch«, gab Melanie fast etwas verlegen zu. »Mittlerweile. Wenn man schon so lange in Berlin lebt wie ich, bleibt man davon nicht unberührt. Auch wenn Göttingen eine viel kleinere Stadt ist.«
»Sie haben ein eigenes Schiff?« Das schien Jana zu interessieren. Ziemlich nah vor Melanie blieb sie stehen und blickte sie fragend an.
»Eine Schaluppe. Das ist mehr ein Boot. Ein ziemlich kleines Boot«, berichtigte Melanie Janas Vermutung.
»Aber kein Ruderboot.« Janas Lächeln war so hinreißend, dass Melanie sich ärgerte, dass sie nicht gleich zu ihrem Wagen gegangen war.
»Nein, kein Ruderboot«, bestätigte sie. »Es hat eine Kabine. Und ein Segel. Für Notfälle und Flauten sogar einen Motor.«
»Eine richtige Jacht«, stellte Jana immer noch hinreißend lächelnd fest.
Wie komme ich da jetzt wieder raus? Melanie brach fast der Schweiß aus. »Das nicht«, sagte sie. »Aber für eine Person reicht’s.«
»Nur für eine Person? Sie sind immer allein, wenn Sie da in Waren-Müritz segeln?« Es klang wie eine ganz harmlose Frage, aber es war alles andere als das.
Das wurde Melanie jedoch erst bewusst, nachdem sie zuerst einmal gestutzt hatte. Janas leicht fragend geöffnete Augen schauten sie immer noch an, und selbst wenn sie das gewollt hätte, hätte Melanie die Antwort auf die Frage nicht verweigern können. Sie war fast wie in Hypnose. »Meistens«, sagte sie.
Die Antwort schien Jana für den Moment zu genügen, aber ihr Lächeln beendete sie nicht. Es war, als wollte sie ausprobieren, wie lange Melanie es aushielt. Oder wie so ein Wett-Starren, bei dem der verloren hatte, der zuerst wegschaute.
»Ich denke . . .«, Melanie zog sich ein paar Schritte zurück, ohne den Blick von Jana zu lösen, »ich sollte jetzt wirklich in mein Hotel . . . ähm . . . in meinen Landgasthof . . .«
»Zenzi Brandl ist meine Cousine«, sagte Jana. »Grüßen Sie sie von mir.«
»Ihre . . . Cousine . . .«, wiederholte Melanie etwas überfordert.
»Eine von mehreren in der Gemeinde«, erklärte Jana. »Wie Sie sich vielleicht vorstellen können, sind einige von uns hier auf dem Dorf miteinander verwandt.«
»Ja . . . ähm . . . ja. Das kann ich mir vorstellen.« Seit wann stotterst du so herum? Melanie hatte das Gefühl, sie wäre in eine völlig fremde Welt eingetreten, in der sie wie verloren war.
Sie hatte dieses Gefühl nicht gehabt, bis Jana aufgetaucht war. Aber vor allem in den letzten paar Minuten hatte sie es ganz entschieden.
»Sie wissen, wo es ist?«, fragte Jana jetzt zweifelnd. »Oder soll ich es Ihnen zeigen?«
Oh ja, bitte! »Nein, danke«, sagte Melanie. »Ich war schon dort. Ich weiß, wo es ist.«
»Na dann . . .« Jana lächelte wieder, aber diesmal schien sie nichts damit bewirken zu wollen. »Ich muss dann hier zurück.« Sie wies leicht mit dem Arm auf die Richtung, aus der sie gekommen war.
»Und ich in die.« Melanie wies in die andere Richtung. Sie lachte leicht. »Also trennen sich unsere Wege wohl hier.«
»Ja.« Obwohl sie zuvor schon auf dem Weg zu ihrem Wagen gewesen war, schien Jana jetzt zu zögern. »Also dann . . .«, bemerkte sie noch einmal.
»Auf Wiedersehen«, sagte Melanie. »Ich nehme an, in diesem Dorf hier«, sie hüstelte, »Entschuldigung: Stadt werden wir uns wahrscheinlich das eine oder andere Mal ganz ungewollt über den Weg laufen, ohne dass wir uns verabreden müssen.« Sie konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.
»Damit können Sie rechnen.« Auch Jana lachte. »Ich muss manchmal sogar bei der Feuerwehr vorbei.« Mit einem mutwilligen Zwinkern warf sie noch einmal einen Blick auf Melanie, drehte sich dann um und ging so davon, als ob sie in jeder Lage geradeaus laufen könnte, auch mit nicht allzu festen Absatzschuhen und auf diesem sehr unwegsamen Untergrund hier.
Melanie blickte ihr hinterher. Janas schwingender Rock hatte etwas Aufmunterndes. Oder vielleicht Aufforderndes? Lag das an diesem Orangeton? Der wirkte sehr lebensbejahend und winkte Melanie beinah lockend zu, Jana zu folgen.
Ach, das bildest du dir doch alles nur ein! Verärgert über sich selbst riss Melanie ihren Blick von dem sich immer mehr entfernenden orangenen Fleck los und drehte sich ruckartig um.
Bei weitem nicht so elegant und geschmeidig wie Jana stapfte sie zu ihrem Wagen zurück.
Was war das nur mit dieser Frau? Selbst jetzt hätte sie sich gern noch einmal umgedreht und ihr hinterhergeschaut. Obwohl sie mittlerweile wahrscheinlich längst hinter den heruntergebrannten schwarzen Mauern verschwunden war.
Von so etwas durfte sie sich einfach nicht ablenken lassen, solange sie hier war. Sie hatte in diesem . . . Dorf einen Job zu erledigen, weiter nichts. Dann würde sie wieder nach Berlin zurückfahren und das alles hier vergessen.
Wenn der Papierkram erst einmal erledigt war. In Berlin warteten wahrscheinlich schon wieder die nächsten Fälle auf sie, die sie zu untersuchen hatte.
Statt sie nur zu öffnen, riss sie ihre Wagentür mit einer Gewalt auf, die gar nicht nötig gewesen wäre. Worüber sie sich erneut ärgerte. Demolierte sie jetzt sogar noch ihren Wagen nur wegen dieser . . . Dorfschönheit? Konnte sie ihr dafür eine Rechnung schicken?
Endlich konnte sie sich nicht mehr zurückhalten und blickte noch einmal in die entgegengesetzte Richtung, als sie sich in ihr Auto hineinsetzte. Zu ihrer Entschuldigung konnte sie immer anführen, dass sie sich dazu nun einmal umdrehen musste. Anders ging es gar nicht.
Aber von Jana war – wie sie schon vermutet hatte – nichts mehr zu sehen.
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»Wo