Neue Technologien in der Pflege. Группа авторов
Ethische Überlegungen
Technische Systeme entwickeln sich kontinuierlich weiter. Ethische Überlegungen begleiten sie dabei. Deshalb handelt es sich um einen fortlaufenden Prozess. Damit unerwünschte Folgen vermieden werden, sind vielfältige Fragen mit dem Einsatz technischer Systeme in Pflege und Versorgung verbunden. Gleichzeitig sind mögliche Folgen nicht immer absehbar und damit auch nur bedingt gestaltbar (Manzeschke 2013). Insgesamt betten ethische Überlegungen das technische System, Nutzen wie Folgen, in den Kontext gesellschaftlicher Normen. Die ausgeprägte Diskussion soll hier nicht aufgegriffen werden. Vielmehr finden sich ethische Überlegungen in jedem Beitrag in diesem Band. Zusammenführend wird an dieser Stelle auf Ausführungen des Deutschen Ethikrats (2020) verwiesen: Entscheidend dafür in welcher Weise und in welchem Umfang technische Produkte in Pflege und Versorgung zur Anwendung gelangen, muss das Wohl der auf Pflege oder Versorgung angewiesenen Menschen sein (Deutscher Ethikrat 2020).
Weiteren grundsätzlichen Überlegungen widmen sich Petersen und Manzeschke (
4.7 Anwenderakzeptanz
Der Begriff Anwenderakzeptanz wird vielförmig verwendet. Im Wesentlichen geht es um die Annahme oder Ablehnung von Technik. Erwartungen, Überzeugungen und Gefühle sind dabei ein maßgeblicher Schlüsselfaktor (Kohnke 2015). Eine ausreichend hohe Akzeptanz neuer Technologien wird gemeinhin als Voraussetzung für deren erfolgreichen Einsatz im Kontext Pflege angesehen. Der erwartete oder wahrgenommene Nutzen spielt dabei eine große Rolle. Deshalb ist die Akzeptanz aus Perspektive der beteiligten Personengruppen zu differenzieren (Pflegeabhängige, Zugehörige, Pflegende etc.). Eine gelegentlich angenommene generelle Ablehnung technischer Unterstützungssysteme durch professionell Pflegende oder ältere Menschen ist inzwischen empirisch vielfach widerlegt.
Eine aktuelle Befragung zur Technikakzeptanz von professionell Pflegenden (Zöllick et al. 2019) spricht diesen eine hohe allgemeine Technikbereitschaft zu. Daneben wurden in der Studie spezifische Einstellungen zur Technikunterstützung in vier verschiedenen Funktionsbereichen erfragt. Dabei zeigt sich, dass Pflegende einer Techniknutzung im Bereich »soziale und emotionale Unterstützung« deutlich kritischer gegenüberstehen als technischen Systemen zur körperlichen Unterstützung, zum Monitoring oder zur Dokumentation. Die Autoren schlussfolgern, »dass eine Technisierung zwischenmenschlicher Interaktion dem professionellen Selbstverständnis der Pflegenden widerspricht« (ebd.).
Den vorgestellten Befragungen ist gemein, dass sie die Einstellung der Befragten zu technischen Systemen erheben, mit denen diese in der Regel keine eigenen Nutzungserfahrungen haben und die zum Teil noch gar nicht existieren – man spricht dabei von Einstellungsakzeptanz. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die tatsächliche Nutzungsakzeptanz, also die Bereitschaft, zur Verfügung stehende technische Systeme auch zu nutzen, deutlich von der Einstellungsakzeptanz abweichen kann, und zwar in beide Richtungen. Derartige Befragungen sind deshalb mit Vorsicht zu betrachten. Deren Ergebnisse können stark von der Art der Darstellung der vorgestellten Lösungen und dem Befragungskontext abhängen. Erhebungen zur Nutzungsakzeptanz sind im Vergleich zur Einstellungsakzeptanz eher rar. Das liegt daran, dass digitale technische Systeme mit wenigen Ausnahmen bisher wenig Verbreitung gefunden haben und noch weniger wissenschaftlich evaluiert sind.
Überraschend wenig betrachtet wurde bisher der Umstand, dass Anwenderakzeptanz keine konstante Eigenschaft ist, sondern sich – eigentlich naheliegend – abhängig von vielen Kontextfaktoren mit der Zeit ändern kann. Die Nutzungsbereitschaft für technische Unterstützungssysteme durch ältere Menschen hängt beispielsweise u. a. von deren Passung auf konkrete Versorgungsbedarfe, den zur Verfügung stehenden Alternativen (z. B. Unterstützung durch Zugehörige), der Unterstützung durch das soziale Umfeld oder finanzieller Unterstützung ab (Peek 2017). Brüche im bestehenden Versorgungsarrangement, wie z. B. eine Verschlechterung der funktionalen Gesundheit oder wegfallende Unterstützung durch Zugehörige können nachvollziehbar zu einer veränderten Bewertung technischer Systeme führen (ebd.).
4.8 Wirksamkeit
Digitalen Technologien werden in vielen Anwendungskontexten der Pflege hohe Potenziale zur Verbesserung der Versorgung zugeschrieben – nicht zuletzt von deren Herstellern und Anbietern. Aber können technische Systeme diese Versprechen auch einhalten? Im Sinne einer evidenzbasierten Pflege wäre es wünschenswert, die Wirksamkeit technischer Systeme anhand wissenschaftlicher Studien zu bewerten. Tatsächlich liegen belastbare wissenschaftliche Ergebnisse zu Pflegeassistenzsystemen nur in sehr geringem Maße vor. Ein in Deutschland durchgeführtes aktuelles systematisches Review (Krick et al. 2019) stellt fest, dass Pflegetechnologien, wenn überhaupt nur in Nutzerstudien mit kleinen Fallzahlen und ohne Kontrollgruppe evaluiert wurden. Hochwertige randomisierte Studien sind selten, insgesamt konnten im Review nur 34 solcher RCTs für alle Formen der Techniknutzung in der Pflege in allen Kontexten identifiziert werden. Besonders schlecht ist die Evidenzlage für die Techniknutzung im häuslichen Setting und durch pflegende An- und Zugehörige (ebd.).
Zudem bilden Studien meist nur einen Ausschnitt der Versorgungssituation ab und sind häufig kaum vergleichbar. Pflegetechnologien betreffen praktisch immer mehrere Stakeholder (z. B. Pflegeempfänger, professionell und informell Pflegende, Angehörige anderer Gesundheitsberufe, Institutionen des Gesundheitswesens), für die jeweils mehrere mögliche Outcomes (wie z. B. funktionale Gesundheit, Gesundheitsverhalten, Lebensqualität, psychische Belastungen) betrachtet werden können. Diese wiederum können auf sehr verschiedene Arten gemessen werden. Für die Erfassung von Lebensqualität z. B. existieren unzählige Erhebungsinstrumente, die je nach Anwendungskontext mehr oder weniger geeignet sind. In der Vergangenheit orientierten sich Evaluationsansätze häufig auch eher an technischen oder medizinischen Forschungsfragen. Gleichwohl werden Untersuchungen aus pflegewissenschaftlicher Perspektive in jüngerer Zeit verstärkt betrachtet (vgl. Krick, Huter, Seibert, Domhoff & Wolf-Ostermann 2020).
Der spärliche Forschungsstand zur Wirksamkeit von Technologien in der Pflege steht in Kontrast zu den umfassenden Aktivitäten im Bereich der Technikentwicklung und zur Nutzung von Pflegetechnologien in der Praxis. Als Beispiel kann auf digitale häusliche Monitoringsysteme verwiesen werden, die einen Beitrag zur Entlastung von pflegenden Angehörigen und zur Stabilisierung von häuslichen Pflegearrangements leisten sollen – wissenschaftliche Nachweise für entsprechende Effekte liegen aber bisher kaum vor.
Viele Pflegetechnologien sind aber auch noch nicht sehr lange verfügbar, und qualitativ hochwertige Evaluationsstudien benötigen Zeit und sind sehr aufwändig. Für eine fundierte und belastbare Entscheidung zum Einsatz von technischen Lösungen in der Pflege sind dennoch für die Zukunft mehr und qualitativ bessere Studien wichtig.
4.9 Wissensmobilisierung
Um neue Technologien mit Pflege und Versorgung zusammenzubringen, braucht es digitale Kompetenzen und eine systematische Wissensmobilisierung. Auch das ist ein Ziel dieses Buches. Wissensmobilisierung ist ein Oberbegriff, der ein breites Spektrum von Bedürfnissen und Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem Informationsbedarf potenzieller Nutzerinnen und Nutzer umfasst. Er ist in verschiedene Aspekte unterteilt: Auf der einen Seite besteht ein Bedarf an Informationsverarbeitung über Möglichkeiten, Auswirkungen und Alternativen (zwischen Pflegetechnologien einerseits und zu Pflegetechnologien andererseits). Potenzielle Nutzerinnen und Nutzer sind in die Lage zu versetzen zu entscheiden, ob, wann und welche Technologie für ihre Bedürfnisse am besten geeignet ist. Gleichzeitig ist die Wissensmobilisierung für Pflegende relevant. Denn es werden Kompetenzen benötigt, um mit Technik zu pflegen, Pflegeempfänger über Technik zu informieren, Pflegeempfänger und informell Pflegende im Kontext Technik anzuleiten und zu schulen und eine effektive Beratung zu gestalten, Diskussionen zu ermöglichen, und Betroffene zu befähigen, lebensdienliche Entscheidungen zu treffen (Meißner 2018). Daneben sind auch Kompetenzen nötig, um Technik betriebsfähig zu halten und an die eigenen Bedürfnisse anzupassen (Pols 2017).
Die Förderung digitaler Kompetenzen hat aus unterschiedlichen Gründen bis heute nur vereinzelt