Wer braucht schon eine Null. Christine Corbeau

Wer braucht schon eine Null - Christine Corbeau


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erzählen, was hier gerade so abgeht. Aber am Telefon? Wärst du … ich meine bist du vielleicht bald mal wieder in Pots… in Deutschland?«

      »Hmm, nee. Das wird auf absehbare Zeit nichts. Aktuell bin ich in Spanien.«

      »Oh, na ja, dann wird es wohl …«

      »Sein müssen, dass du zu mir kommst«, beendete Agata den Satz.

      Und schon war das Lächeln wieder auf meinem Gesicht, breiter und zufriedener als zuvor. Ich wusste, dass das keine leeren Worte waren. Mal vollkommen abgesehen davon, dass Agata nie etwas einfach nur dahinsagte, ohne es zu meinen, war sie auch ohne Probleme dazu in der Lage, es Wirklichkeit werden zu lassen. Sie war mit einem der reichsten Männer Europas verheiratet und so, wie ich die beiden zusammen erlebt hatte, würde er ihr den Wunsch, mich von Deutschland nach Spanien zu befördern, in Sekundenschnelle erfüllen. Aber letztendlich gehörten zu diesem Wunsch mehr als diese beiden. Auch ich musste es wollen.

       Bist du bekloppt? Natürlich willst du.

      Rein technisch war das kein Problem. Die Arbeit war abgegeben und ich hatte hier nichts mehr für die Uni zu tun.

       Eben, also nix wie weg.

      Aber was war mit Riga?

       Was soll damit sein?

      Ich hatte noch keine Gelegenheit gehabt, mich mit Simon darüber zu unterhalten, ob ich nun zu ihm fliegen würde.

       Um dann mit ihm und dieser Tüte was genau zu machen?

      Verdammt. Da war es wieder. Ob es nun die Schlaftrunkenheit gewesen war oder der dringende Wunsch, der Wirklichkeit zu entfliehen. Ich hatte vergessen, dass es da wohl keinen Grund mehr gab, um ins Baltikum zu fliegen. Aber nun sah ich im Geist alles erneut vor mir.

      Ich gab den inneren Widerstand auf und räusperte mich. »Okay, das hört sich nach nem Plan an. Wann könnte das denn losgehen?«

      »Der Jet startet morgen um 10:30 Uhr in Tegel.«

      Kopfschüttelnd, aber mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht, ließ ich mich nach hinten fallen.

      »Eigentlich hätte ich mir etwas in der Art denken können. Und welche Airline ist das dann?«

      »Es ist Cals Jet … und bevor du anfängst mir Vorhaltungen zu machen: Ja, ich weiß, dass du dir Gedanken um deinen ökologischen Fußabdruck machst. In diesem Fall ist es aber so, dass der Jet morgen auch ohne dich abheben wird, denn Cal braucht ihn hier. So lange wie seine neue Firma das Hybridflugzeug noch nicht zur Serienreife gebracht hat, muss es für ihn eben so gehen.«

      »Na gut. Du würdest ja sowieso keine Ruhe geben. Und mich hält hier gerade nichts.«

      Agata erklärte mir kurz, dass ich mir das Nötigste für ungefähr eine Woche mitnehmen sollte. Dann seufzte sie zufrieden. »So mag ich meine Freundin. Ich lass dich dann morgen gegen acht abholen. Hach, ich freu mich schon so.«

      Wir hielten uns nicht großartig mit der Verabschiedung auf, worüber ich sehr froh war. Wenn es sich in die Länge gezogen hätte, wäre ich vielleicht doch in Versuchung gekommen, Agata all das, was in mir brodelte, zu berichten. Dann wäre es zwar raus gewesen, aber ich hätte immer noch niemanden gehabt, der mich danach in den Arm nahm.

      Nachdem ich aufgelegt hatte, gab es einen Moment des ungläubigen Staunens. Dann warf ich mich herum und vergrub den Kopf tief in meinen Kissen. Das war auch gut so. Bei dem Schrei, den ich ausstieß, hätte es sonst bestimmt nicht lange gedauert, bis Hannes mit einem Baseball-Schläger durch die Tür gestürmt wäre, um sich der Zombie-Apokalypse zu stellen, die hier womöglich stattfand.

       Wie geil ist das denn bitte, eine Agata als beste Freundin zu haben?

      Eine Weile später machte ich mich daran, Sachen für den unerwarteten Urlaub zusammenzusuchen. Schließlich hatte ich meine Tasche fast fertig. Nur meine Waschtasche fehlte noch. Ich war schon fast aus dem Zimmer, als mein Blick auf das Skateboard fiel, das neben der Tür an der Wand lehnte. Sofort wusste ich wieder, was ich vergessen hatte.

      »¿Qué tal, bonita?«, drang die sonore Stimme meines Vaters aus dem Telefonhörer.

      »Hey Paps. Sorry, dass ich mich nicht gemeldet habe.«

      »Ach Quatsch, bleib cool. Immerhin ist es noch heute … na ja, jetzt nicht mehr, aber angerufen hast du ja noch vor zwölf.« Er gluckste. »Und? Wie ist es gelaufen?«

      »Meinst du die Arbeit oder das Skypen?«

      »Ja, in der Reihenfolge.«

      Ich konnte nicht anders, als zu lächeln. Im Geist sah ich ihn vor mir, wie er auf seiner Terrasse saß und auf den Glindower See blickte, einen selbstgemachten Smoothie in der Hand. Eigentlich war es auch Mams Terrasse, aber sie war ja so gut wie nie da. Prompt bogen meine Gedanken ab.

       Das Türschild »Hier leben und lieben Mary, Mick und Martha«. Wen wollen wir damit eigentlich belügen? Die anderen? Oder uns?

      Die Vorstellung von Paps’ Gesichtsausdruck half mir jedoch wieder aus dieser Sackgasse heraus. Bestimmt war er entspannt, aber doch interessiert, mit blitzenden Augen und einem leichten Lächeln auf den Lippen. Von ihm hatte ich, so lange ich mich erinnern konnte, noch nie ein harsches Wort gehört. Daher fiel es mir auch leicht, ihm alles zu erzählen. Fast alles. Das mit Mam war mir einfach selbst noch zu unklar, um es ausgerechnet ihm zu berichten. Vielleicht hatte ich mich ja auch getäuscht und innerlich überreagiert.

      »Klingt nach nem Tag wie ein Wipe-Out«, sagte er sinnierend. »Aber wie ich dich kenne, wirst du aus der Gischt auftauchen, dein Haar ausschütteln und lächeln.«

      Ich musste unwillkürlich schmunzeln.

       Einmal Surfer, immer Surfer.

       Er vielleicht schon, aber ich nicht.

      »Ach Paps, so einfach ist das …«

      »Doch. Ich denke, es ist genau so einfach. Wart’s ab. Es wird ein Weilchen dauern, aber dann schaust du auf heute zurück, zuckst mit den Schultern und machst weiter.«

      »Das hoffe ich.«

      »Ja, Honey. Du weißt doch. Hang loose.«

      »Und was ist mit unserem Wochenende?«

      »Was soll damit sein?«

      »Wir wollten doch zusammen wakeboarden, jetzt, wo das alles durch ist.«

      »Dazu ist auch noch Zeit, wenn du aus Spanien zurück bist. Versprich mir nur, dass du Spaß haben wirst und deine düsteren Gedanken hinter dir lässt.«

      »Das mach ich. Danke schön.«

      »Take care, Bumblebee! Aloha.«

      »Ich hab dich lieb.«

      »Dito«, sagte er und gab mir einen Luftkuss, bevor ich auflegte.

       Warum können Gespräche mit Mam eigentlich nie so entspannt sein? Und was hat die beiden damals wohl dazu gebracht, ein Paar zu werden, so verschieden wie sie sind?

      Der Gedanke ließ mich nicht los. Während ich Shampoo, Duschgel und weitere Kosmetika zusammen mit meinem Zahnputzzeug in die Tasche räumte, rief ich mir die beiden ins Gedächtnis. Mam, die immer adrette und überkorrekte Karrierefrau auf der einen Seite, und Paps mit seinem Faible für die Galerie, seinen Sport und ein entspanntes Leben auf der anderen. Wenn ich mich recht erinnerte, dann musste wohl auch Mam einmal so etwas Ähnliches wie locker gewesen sein. Sonst wären die beiden nicht aufeinander abgefahren, als sie sich in den Achtzigern auf Fuerteventura beim ersten Surf-World-Cup über den Weg gelaufen waren. Alles, was ich je darüber in Erfahrung bringen konnte, hat Paps mir erzählt. Er meinte, er hätte damals den Cup nur knapp verfehlt, aber stattdessen ihr Herz gewonnen. Und ich war mir sicher, dass er es immer noch so sah, auch wenn die beiden inzwischen nur


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