Wer braucht schon eine Null. Christine Corbeau

Wer braucht schon eine Null - Christine Corbeau


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liegt er bestimmt warm und trocken. Aber irgendwie ungünstig, um ihn mir jetzt zu zeigen.«

       Scherzkeks.

      Ich schloss kurz die Augen und versuchte dann entschuldigend zu lächeln. Aber meine Lippen brachten nur ein säuerliches Grinsen zustande.

      »Ja, das ist echt Mist. Ich bin vorhin einfach losgerannt, weil ich unbedingt nochmal in die Uni … ach, ist auch egal. Und jetzt?«

      Mein Gegenüber beherrschte, im Gegensatz zu mir, erstaunlicherweise die Disziplin des entschuldigenden Lächelns.

       Na bravo, Freitag. Wenigstens hast du nen Kontrolleur und Gentleman für mich parat.

      »Tja, dann ist an der nächsten Haltestelle Ende, es sei denn, Sie haben das erhöhte Beförderungsentgelt …«

      »Wie viel?«, unterbrach ich ihn stöhnend.

       Perfekt, du haust die Knete, die du gar nicht hast, ja ordentlich raus.

      »Sechzig Euro.«

      »Moment.« Ich klappte das Portemonnaie auf. »Die hab ich … auch nicht. Nur fünfzig.«

      »Entweder sechzig jetzt oder wir steigen zusammen aus. Dann brauche ich Ihre Personalien, damit Ihnen die Zahlungsaufforderung zugeschickt werden kann. Und wenn Sie eine nicht übertragbare Karte haben …«

      »Sagen Sie jetzt bloß nicht, dass es dann noch teurer wird!«

      »Nee, dann wird’s billiger.«

      »Okay, jetzt sind wir auf der richtigen Spur. Ich hab ja eine persönliche Karte. Mein Semesterticket ist doch auf dem Studi-Ausweis drauf.«

      »Aussteigen müssen Sie trotzdem. Den Ausweis müssen Sie in einer der Geschäftsstellen vorzeigen.«

       Wäre ja auch zu schön gewesen.

      In diesem Moment hielt der Bus und der Typ machte eine einladende Handbewegung.

       Wohl eher eine ausladende.

      Als ich ausgestiegen war, konnte ich erkennen, dass wir wenigstens schon an meinem ersten Umsteigepunkt angekommen waren. Ich füllte mit dem Kontrolleur zusammen das Formular aus. Dann verabschiedete er sich und stieg in den nächsten Bus, um dort weiter sein Tagwerk zu verrichten. Ich schaute mich um. Weder auf dem Bahnsteig noch draußen gab es einen Fahrkartenautomaten. Kurz war ich versucht, einfach in die eintreffende Regionalbahn zu steigen.

       Na klar. Und bei deinem Glück wirst du gleich nochmal erwischt und vielleicht zu noch mehr Geld verknackt.

      Ich stand vor dem heruntergekommenen Bahnhofsgebäude und versuchte, mich daran zu erinnern, wie ich notfalls zu Fuß nach Hause kommen könnte, da hupte es. Ich schaute mich um und entdeckte auf der anderen Straßenseite einen kleinen verbeulten Wagen, aus dessen Fenster jemand seinen Arm gestreckt hatte und wild damit winkte. Als ich nicht sofort reagierte, gesellte sich zu dem Arm auch noch ein Kopf. Ich erkannte Thorben, einen von Simons Kommilitonen, und winkte zurück.

      »Hey, Traumfrau«, rief er zu mir herüber. »Was geht? Bist du unterwegs?«

      »Das wäre ich gern. Bin aber eben rausgezogen worden, weil ich kein Ticket dabei hatte. Und hier scheint es auch keine zu geben. Werd ich wohl laufen müssen.«

      »Ach Quatsch. Komm rüber. Ich fahr dich schnell.«

       Soll ich wirklich?

      Thorbens Angebot war natürlich verlockend, aber ich war mir nicht sicher, ob ich bereit war, den Preis dafür zu zahlen. Seine Anrede von eben war nicht einfach nur ein Spruch gewesen. Seit er mir zum ersten Mal bei uns in der WG begegnet war, schien ich ihm nicht mehr aus dem Kopf zu gehen. Die Tatsache, dass ich kurze Zeit später mit Simon zusammengekommen war, hatte seinen Enthusiasmus zwar gebremst, aber nun war Simon hunderte Kilometer entfernt. Das konnte zu einem ungewollten Reload seiner Bemühungen führen.

       Mach dich nicht lächerlich. Du kannst dich jetzt nicht einfach umdrehen und so tun, als ob du ihn nicht gehört hättest.

      Ich machte das Daumen-hoch-Zeichen und ging zu ihm hinüber.

      »Lieb von dir«, sagte ich im Einsteigen und platzierte meinen Rucksack so auf dem Schoß, dass sie eine Umarmung durch ihn von vornherein unterband.

       Wehret den Anfängen.

      Thorben bemerkte es entweder nicht oder er war so taktvoll, nichts dazu zu sagen. Er wendete und brauste dann Richtung Babelsberg.

      Eigentlich war die Fahrt nicht lang und doch kam sie mir wie eine Ewigkeit vor. Ich suchte in meinem Kopf nach etwas Unverfänglichem, um sie wenigstens nicht durch die typische Art peinlichen Schweigens noch unangenehmer zu gestalten.

      »Hast du eigentlich deine Auslands-Semester schon komplett?«, kam Thorben mir zuvor. An seinem Gesichtsausdruck meinte ich zu erkennen, dass auch er froh war, nun endlich eine Möglichkeit für ein Gespräch gefunden zu haben.

      »Oh, ja. Ich wär auch ganz schön spät dran, wenn es jetzt noch nicht so wäre. Hab ja gerade meine Master-Arbeit abgegeben.«

       Urks. Was sage ich denn da? Oh, bitte, frag jetzt nicht nach der Arbeit.

      Doch diesmal tat mir der Freitag den Gefallen, es nicht schlimmer zu machen als es schon war, denn Thorben stieg nicht auf meine Bemerkung ein.

      »Ach, stimmt ja. Das ist bei euch Lehrern ja anders. Wo warst du denn?«

      »Na ja, das Auslandsjahr habe ich vor zwei Jahren in Mexiko verbracht. Und letztes Jahr war ich zur Vorbereitung der Arbeit für ein paar Wochen weg, aber in Italien.«

      »Hä? Warum denn Italien?«

      »Dachte mir schon, dass du fragst.« Ich schmunzelte, als ich daran dachte, wie mir meine damalige Urlaubsbekanntschaft die gleiche Frage gestellt hatte. »Mein Dad wollte, dass ich mich in aller Ruhe vorbereiten kann. Also hat er mich in so ein verschlafenes Nest in Süditalien geschickt. Dann hab ich da allerdings Agata kennengelernt.«

      »Agata?«

      »Wenn du hin und wieder mal in nem Wartezimmer auf die Titelseiten von Gala und Co. schaust, dann ist sie dir vielleicht schon mal begegnet.«

      »Ernsthaft? Diese Freifrau von Dingsbums?«

      »Joachimsthal, ja. Aber woher weißt du denn den Namen?«

      Thorben grinste schief. »Meine Freundin verschlingt alles, was mit der zusammenhängt.«

       Freundin? Yes!

      In den Monaten, die wir uns nicht begegnet waren, hatte sich offensichtlich auch in seinem Leben einiges getan. Ich entspannte mich ein wenig und lächelte Thorben zu.

      »Hey, Glückwunsch.«

      Er erwiderte mein Lächeln mit einem Schulterzucken. »Ja, manchmal kommt es aus einer Richtung, mit der man so gar nicht rechnet. Wir haben uns letzten September auf nem Klassentreffen wiedergetroffen und es hat sofort reingehauen. Aber nochmal zu deiner Freundin …« Er ließ seine Stimme verklingen.

      »Willst du mich fragen, ob wir uns hin und wieder sehen?«

      Sein Lächeln wurde vorsichtig breiter.

      »Das tun wir tatsächlich, auch wenn das letzte Mal schon ein Weilchen her ist. Aber ich war auf ihrer Hochzeit.«

      »Nicht dein Ernst.« Thorben blickte mich mit großen Augen an.

      »Doch, doch. Immerhin war ich ja fast dabei, als sie mit ihrem jetzigen Ehemann zusammengetroffen ist.«

      »Meinst du, du könntest von ihr mal’n Autogramm oder so besorgen? Ich hab bei Charly einiges gutzumachen.«

      Ich zog eine Augenbraue hoch.

      


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