Hatz. Jørgen Gunnerud

Hatz - Jørgen Gunnerud


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Tür war verschlossen.

      »Ist jemand hier?«, fragte er Sørli.

      »Ein Junge und ein Sozialtherapeut. Die anderen sind auf einem Ausflug. Gehen Sie von der anderen Seite rein. Jenny hält Wache und der Arzt ist noch da.«

      Vor dem Souterrain lag eine große Thermopenscheibe. Sie war aus dem Fensterrahmen herausgeschraubt worden und lag ordentlich auf dem Rasen. In der Fensteröffnung stand eine Polizeibeamtin in dunklem Overall. Sie hatte eine gedrungene Nase und helles Haar. Ihr war sichtlich unwohl, und Asbjørn Gihle legte die Hand auf ihre Schulter und drückte sie vorsichtig. Dann drehte er sich zu Moen:

      »Das ist Jenny Kammerstuen.« Ihr erklärte er, wer Knut Moen war. Moen nickte und blickte sich um.

      »Wollen wir reingehen?«

      Die Polizeibeamtin reichte ihnen vier Überzüge. Die streiften sie sich über ihre Schuhe, und Moen warf einen Blick auf die Uhr. Die zeigte fast 08:00. Er kletterte durch die Fensteröffnung in den kahlen Kellerraum. Der Boden war mit Couronnesteinen übersät. Das Brett lag in einer Ecke zusammen mit dem Tisch, auf dem es gelegen hatte. Die Tür zum Kellerzimmer stand offen, und Moen schaute hinein. Er brauchte einen Moment, um zu begreifen, was er da sah. In gerader Linie von seinem Standort über das verschlissene Vinyl und weiter bis zur nächsten Tür zog sich eine etwa einen halben Meter breite Blutspur. Sie endete bei zwei Turnschuhen. Moen atmete tief durch. Er blickte zum Lensmann und ging vorsichtig weiter zur anderen Tür. Er hatte den Kellerflur erreicht. Dort lag eine Frau, die er auf Ende zwanzig tippte. Ihr Kopf ruhte auf der untersten Treppenstufe. Das viele Blut war durch ihre auf den Bauch gepressten Finger herausgelaufen, und Moen konnte sehen, dass sie arge Schmerzen gehabt hatte. Er beugte sich über sie, warf einen kurzen Blick auf die Wunde, richtete sich wieder auf und musterte die Frau aus geringer Entfernung.

      Dunkles, kurz geschnittenes Haar. Sonnengebräunt. Die Brüste spannten das enge T-Shirt. Motorradhosen aus Leder. Als Moen die schreckliche Verletzung für einen Augenblick außer Acht ließ, die Augen zusammenkniff und den Menschen betrachtete, der da lag, musste er feststellen, dass es eine ziemlich attraktive Frau war. Es gab etwas Raubtier- oder Katzenähnliches an ihrer ganzen Erscheinung.

      Er ging zurück in den Kellerraum, wo Asbjørn Gihle stand und verloren aussah. Moen ließ den Blick ein weiteres Mal prüfend durch den Raum gleiten. Ein schmutziges Viereck an der Holzverkleidung über dem verschlissenen Hüttensofa zeugte davon, dass etwas verschwunden war. Der Fernsehhocker in der Sofaecke stand einsam und verlassen da. Am Anfang des blutigen Streifens, den Anne Sørli hinterlassen hatte, sah er einen halben Fußabdruck. Asbjørn Gihle räusperte sich und zeigte auf etwas.

      »Da liegt ein Handy unter dem Sofa. Ob es wohl ihr gehört?«

      »Lass es liegen. Ist dir noch was anderes aufgefallen?«

      »Das hast du bestimmt schon gesehen. Ihr Schlüsselbund hängt am Gürtel.«

      Moen legte die Hand auf Gihles Schulter und sagte:

      »Wollen wir nach oben gehen und nachsehen, was wir dort finden?«

      Sie stiegen vorsichtig über Anne Sørlis Kopf hinweg und kamen hinauf in einen Gang innerhalb des Eingangsbereichs. Zur Linken führte eine offen stehende Tür in einen großen Aufenthaltsraum, auf der rechten Seite gab es eine Küche. Am Küchentisch saß ein Mann mit gebeugtem Kopf, die Hände vors Gesicht geschlagen. Beim Anblick der Polizisten zuckte er zusammen und erhob sich. Dann entdeckte er den Lensmann. »Gott sei Dank«, sagte er und ergriff Gihles Hand.

      »Ich heiße Reidar Olsby. Ich habe sie gefunden.«

      »Gihle«, antworte der Lensmann. »Das ist Knut Moen, Kommissar von der Kripo-Zentrale. Sind noch andere hier?«

      »Einer der Bewohner, Per Erik Henriksen. Er saß auf der Treppe bei Anne und war voller Blut. Aus einer Verletzung an der Hand floss das Blut wie in Strömen.«

      »War er alleine mit ihr?« Gihle stand auf. »Wo zum Teufel ist der Junge jetzt?«

      »Er ist im Wachraum, zusammen mit dem Arzt. Er hat was zur Beruhigung bekommen.«

      Gihle ging zum Eingang, schloss die Tür auf und schrie Odd Sørli an, er solle seinen Hintern in Bewegung setzen. Sørli stolperte fast in den Flur hinein und erhielt den Befehl, auf den Arzt aufzupassen. Sørli und Gihle verschwanden in dem Zimmer, das Olsby als Wachraum bezeichnet hatte. Die Hälfte der Tür war aus Verbundglas, mit einem sternförmigen Sprung in der Mitte.

      Moen setzte sich an den Küchentisch, zündete sich eine Zigarette an und wurde gleich darauf hingewiesen, dass es eigentlich nicht erlaubt sei, innerhalb des Internats zu rauchen.

      »Vielleicht könnten Sie uns etwas Kaffee machen?«, erwiderte Moen freundlich. Reidar Olsby lächelte zum ersten Mal. Er stand auf und machte sich an der Kaffeemaschine zu schaffen, während Moen ihn betrachtete. Er war ein gut aussehender, dunkelhaariger Typ, etwas älter als Moen zunächst gedacht hatte. Er hatte einen hellblauen Jeansanzug mit weißem T-Shirt an, à la James Dean, und trug Holzschuhe, etwas, das Moen seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hatte. Die glatte Olivenhaut wurde nur durch eine hässliche Narbe am Kinn verunstaltet.

      »Ich muss Sie etwas fragen: Was ist das hier eigentlich? Ist es ein Jugendheim?«

      Reidar Olsby schraubte am Kaffeefilter herum und lehnte sich rücklings gegen die Arbeitsplatte.

      »Nein, wir sind hier in der Jugendpsychiatrie, oder besser gesagt, einer psychiatrischen Einrichtung für Jugendliche. Zwölf bis achtzehn. Ein Jugendheim ist Teil der Jugendhilfe. Wir gehören zum Gesundheitswesen.« Olsby grinste schwach. »So steht es auf alle Fälle in den Papieren.«

      Moen fragte nicht, was er damit meinte, und rauchte weiter.

      »Wollen Sie mich nicht fragen, was passiert ist?«

      »Wenn Gihle hier ist. Schenken Sie ihm auch was ein.«

      Moen hatte dies in breitestem Oppland-Dialekt von sich gegeben, sodass Olsby ihn erstaunt ansah und fragte, ob er aus Toten komme. Moen erwiderte wahrheitsgemäß, dass er aus Hadeland stamme. Daraufhin lächelte Reidar Olsby schwach und sagte:

      »Die Prügelei verschieben wir dann wohl auf später.«

      »Es war sieben, als ich zur Arbeit kam. Wir fangen um acht Uhr an, aber ich bin gerne rechtzeitig hier.« Reidar Olsby blickte auf seine Hand, in der er die Tasse hielt. Sie zitterte, und mit einem Klappern stellte er die Tasse ab. »Können Sie nicht einfach nur Fragen stellen? Ich bin etwas aufgeregt.«

      »Nehmen Sie sich Zeit«, gab Gihle zurück.

      »Also, ich habe gleich bemerkt, dass irgendwas nicht stimmte. Jemand hatte versucht, das Verbundglas der Tür zum Wachraum einzuschlagen. Die Tür war verschlossen, ich habe einen Schlüssel, aber Anne war nicht da drin. Ich hab eine Weile hier oben gesucht, und dann fand ich sie im Keller.« Er seufzte schwer, und seine Stimme klang ein wenig gebrochen.

      »Per Erik saß mitten auf der Treppe. Er war blutüberströmt.

      Ich weiß nicht, ob es sein Blut war oder das von Anne, denn er hatte sich ziemlich übel die Hand verletzt.«

      Moen unterbrach: »Wie hat er sich benommen?«

      »Er wiegte sich hin und her und war völlig in seinen eigenen Gedanken versunken.« Reidar Olsby zuckte leicht mit den Schultern.

      »Er hat ja große Probleme. Das Einzige, was er mir gesagt hat, war, dass er es getan hat.«

      Das war erst mal eine Erleichterung, dachte Moen und sah zu Gihle, der mit Olsby beschäftigt war.

      »Was haben Sie dann gemacht?«, fragte der Lensmann. »Sie hatten alleine Wachdienst, nicht wahr?«

      »Per Erik saß ruhig auf der Treppe, während ich einen Rettungswagen rief. Danach telefonierte ich mit der Dienststelle des Lensmanns und wurde zu Sørli durchgestellt. Er sagte, Sie seien auf Jagd und Ihr Telefon sei abgestellt. Er meinte, dass man Sie holen müsse, und er fragte mich, ob ich solange die Stellung halten könne. Er werde so schnell wie möglich eine andere Kollegin herschicken,


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