Hatz. Jørgen Gunnerud
von hinten in die Kniekehle trat, sodass er auf den Boden fiel. Als er sich aufzurichten versuchte, packte Sørli ihn mit dem Polizeigriff und hielt ihn am Hals umklammert fest. Plötzlich erschienen zwei uniformierte Polizisten auf dem Acker. Als Sørli sah, dass Handschellen zum Einsatz kommen sollten, verlor er für einen Augenblick die Konzentration. Sein Griff löste sich und der Festgenommene stand in einem Kreis von Polizeibeamten. Er stolperte herum, und in seiner scheinbar nicht zu bremsenden Aggression drehte er sich zu Jenny hin, die Hüften vorgeschoben, und machte mit der Hand eine lang gezogene, obszöne Geste.
»Bist du ’ne Lesbe, oder fickst du mit Ausländern?«
Im nächsten Moment überwältigten ihn die beiden Beamten aus Gjøvik und fesselten seine Arme auf dem Rücken.
Moen stand im Keller des kleinen Häuschens. Das geschlachtete Reh hing von der Decke herab. Die Eingeweide lagen in einem alten Zinkkübel vor der Tür, doch der Tierkörper war noch nicht gehäutet. Auf dem Rand eines Steinbeckens stand eine leere Colaflasche. Moen schnüffelte vorsichtig daran. Der Alkoholgeruch war stechend. Die Flasche war offenbar für Schwarzgebrannten wiederverwendet worden. Im Becken lag ein großes samisches Messer, das ungesäubert war, obwohl Reinigungsmittel auf dem Rand des Waschbeckens standen. Moen hielt nach einer Messerscheide Ausschau, doch die oberflächliche Suche führte zu keinem Ergebnis. In der Ecke fand er einen schmutzigen Lappen mit etwas darauf, das nach Blut aussah. Er schüttelte sich beim Anblick der Pumpgun hinter der Tür, dann trat er wieder ins Licht hinaus. Der Angreifer lag immer noch mit der Nase am Boden und spuckte Gift und Galle. Jenny fragte, ob sie ihn nicht knebeln könnten. Moen tätschelte ihren Unterarm, ging die Stufen hinauf und betrat das Haus.
Es gab zwei offene Türen in dem kleinen Vorbau. Geradeaus, in einer kleinen Kammer, stand ein ungemachtes Bett. Links war die Küche. Moen verschaffte sich einen raschen Überblick. In dem kleinen Raum roch es verbrannt, der Geruch kam von einem kleinen Ofen an der Tür. Ohne Umschweife füllte er ein schmutziges Küchenglas mit Wasser aus dem Hahn und öffnete die Ofentür. Er schaute hinein, bevor er das Wasser in den Ofen schüttete. Undeutlich hatte er erkannt, dass es dem Ärmel eines Pullovers zu gleichen schien, was da im Ofen verkohlt war. Als er das Glas zurück auf die Arbeitsplatte stellte, entdeckte er ein schweres amerikanisches Bowiemesser. Es lag blitzrein und glänzend auf einem Holzbrett, das schon lange kein Wasser und keine Seife mehr gesehen hatte.
Die Tür zum letzten Zimmer war angelehnt, und Moen schob sie mit dem Zeigefinger auf. Im Wohnzimmer war für eine Party gedeckt worden. Das dominierende Möbelstück war ein Esstisch, übersät mit leeren Bierdosen und Colaflaschen. Er schnupperte an einer Colaflasche. Sein Blick fiel auf eine Tablettenschachtel. Er schob ein paar Dinge zur Seite und las auf der Schachtel: Rohypnol. Er legte sie auf den Tisch, und als er den Kopf hob, sah er in der Ecke ein Bündel liegen. Er lief hinaus und winkte Sørli herbei.
Auf dem Sofa lag ein junger Typ. Er trug kurze enge Hosen und eine schwarze Bomberjacke, die mindestens vier Nummern zu groß für ihn war. Er hatte eine große blaue Schwellung an der Schläfe. Sørli blickte Moen erschrocken an. Eine Hand hielt das Funkgerät, mit der anderen fuhr er sich über die Kehle. Das internationale Zeichen für plötzlichen Tod. Es knackte im Funkgerät, Sørli drückte auf den Knopf und sagte lakonisch: »Wir haben hier wieder etwas.«
»Wieder« war das richtige Wort, dachte Moen, während er sich davon überzeugte, dass der Mann tot war. Es war nicht nur der Schlag an der Schläfe. Er hatte auch eine Verletzung am Hinterkopf. Das Sofakissen war voller Blut.
»Rettungswagen und Arzt sind unterwegs«, sagte Sørli, »aber das ist wohl nur eine Formalität. Hoffentlich ist es nicht derselbe Arzt, der bei Anne war.« Sørli trat einen Schritt näher. »Ich glaub, ich weiß, wer der Typ ist. Er wohnt in einer Einrichtung außerhalb von Kolbu. Der ist so dumm, dass er nicht strafmündig ist. Wurde unzählige Male bei Einbrüchen in Kindergärten und anderen Einrichtungen erwischt. Er klaut die Kaffeekasse der Betreuer.« Sørli schüttelte resigniert den Kopf und ging zur Tür. Moen, der in seinen existenziellen Betrachtungen unterbrochen worden war, blieb zurück und knirschte mit den Zähnen, und wie immer, wenn er nicht wirklich wusste, was er machen sollte, zündete er sich eine Zigarette an, dann setzte er sich auf die Treppe.
Auf dem Boden vor ihm drehte Sørli den Festgenommenen auf den Rücken. Moen blickte zu seinen Kollegen. Wenn sie an Ort und Stelle eine Abstimmung über ein Todesurteil gefällt hätten, wäre sie einstimmig ausgefallen. Vielleicht begriff der Mann auf dem Boden das, denn er schwieg, als Sørli sich quer auf seine Brust setzte.
»Da liegt ein toter Mann im Haus. Du wirst mindestens eines Mordes verdächtigt.«
»Er lebte, als ich heute Morgen weggefahren bin.«
»Jetzt ist er tot.«
»Ich war es nicht.«
»Wer sollte so jemandem wie dir schon glauben?«
Moen verfolgte den Auftritt wie einen Film.
»Wenn du es nicht warst, wer war es dann?«
»Die Lesbe hat ihn umgebracht.«
»Von welcher Lesbe schwätzt du jetzt?«
»Du kennst sie gut.«
»Redest du von meiner Cousine?« Sørli packte den Mann am Kragen seines Overalls. Der öffnete den Mund und lachte.
Sørlis Kollegen schielten unsicher zu Moen, doch er rauchte einfach weiter.
Der Festgenommene kniff fröhlich die Augen zusammen. »Sie hat ihm den Kopf eingeschlagen. Jetzt ist er tot.« Er lachte wieder, und Sørli gab ihm einen kurzen Kinnhaken mitten ins Gesicht. Der Mann öffnete die Augen. Es kam nicht ein Laut über seine Lippen, obwohl das Blut herabströmte wie ein Bach. Er raunte Sørli etwas zu, was Moen nicht verstand. Sørli hob die Faust, um noch einmal zuzuschlagen. Moen erhob sich von der Treppe und kommandierte: »Es reicht.«
6
Moen ließ die Schultern herabsinken. Es saß in der Internatsküche mit einer Tasse dünnem Kaffee zwischen den Händen und fantasierte von Elchsteaks und Aquavit. Sein Gastgeber an diesem ersten Urlaubstag, Asbjørn Gihle, unterbrach die Stille.
»Ich bin dir zu großem Dank verpflichtet, Knut, aber bist du ganz sicher, dass wir den Täter haben?«
»Seine Äußerungen im Zusammenhang mit der Festnahme waren genauso gut wie ein Geständnis. Ich habe Schrauben und einen Schraubenzieher in seiner Hosentasche gefunden, außerdem zwei große Messer. Eines davon war blutig.«
Moen massierte seine steifen Kiefergelenke.
»Wenn die Presse fragte, könnte ich das so nicht sagen, aber ich glaube an eine rasche Aufklärung. Wie heißt er noch mal, sagst du?«
Gihle sah auf seinen Zettel.
»Tore Hakksveen. Was meintest du damit, seine Äußerungen seien wie ein Geständnis?«
»Er sagte, es war Selbstverteidigung, aber er war so zugedröhnt, dass es nicht möglich war, etwas Vernünftiges aus ihm herauszubekommen. Er sagte, Anne Sørli habe seinem Kumpel den Kopf eingeschlagen.«
Gihle nickte.
»Dann hat also der Junge nicht zugestochen. Ist ja fast eine Erleichterung. So ein bedauerlicher kleiner Vogel.«
Moen dachte ein wenig an den bedauerlichen kleinen Vogel, bevor er antwortete. Dass jemand so sehr in seinem eigenen Kopf leben konnte, war eine neue Erfahrung für ihn.
»Es sieht am ehesten so aus, dass die Nachtwache sie überrascht hat, als sie gerade das Diebesgut hinaustrugen. Wahrscheinlich hat sie den Kleinen getreten oder geschlagen, sodass er hinfiel und sich den Kopf aufschlug, und der andere Typ hat sie dann während der Rangelei erstochen. Wahrscheinlich war der Kleine noch am Leben, als er zurück ins Haus kam. Solche Kopfverletzungen sind unberechenbar. Natürlich besteht auch die Möglichkeit, dass Hakksveen ihn erledigt hat.« Moen breitete die Hände aus. »Ich betone, dass das Spekulationen sind. Die Leute aus Gjøvik werden für Hakksveens Haus Zeit brauchen, und meine Leute werden hier die ganze Abteilung durchkämmen. Das ist doppelt so viel Arbeit