Hatz. Jørgen Gunnerud

Hatz - Jørgen Gunnerud


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getan, um ihre Spuren zu verwischen.«

      »Was glaubst du, was hat der Junge mit der ganzen Geschichte hier zu tun?«

      »Der Junge sagte, er wurde in seinem Zimmer eingeschlossen, als Olsby zusammen mit Anne Sørli hier war, doch dass die Tür wieder aufgeschlossen wurde, als Olsby ging. Es war irgendwas mit den Brandschutzvorschriften. Das Problem ist, irgendwer hat die Tür wieder abgeschlossen.«

      »Aber wie ist er dann die Treppe hinuntergekommen, wo Reidar Olsby ihn fand?«

      Moen zuckte mit den Schultern.

      »Das Fenster im Zimmer war offen. Das Erdgeschoss auf der Eingangsseite ist erhöht. Der Eingang zum Keller liegt auf der anderen Seite.«

      Gihles Gesicht legte sich in Sorgenfalten:

      »Was machen wir mit dem Jungen? Der arme Lehrer sitzt immer noch mit ihm da drinnen.« Gihle schwieg einen Moment, doch fuhr dann fort: »Müssen wir ihn in Untersuchungshaft nehmen? Der Abteilungsleiter ist vorhin da gewesen, als du weg warst. Er hat mit Olsby gesprochen und ist davon ausgegangen, dass die Polizei für Per Erik Henriksen zuständig ist.«

      »Was für ein Typ ist dieser Abteilungsleiter?«

      »Er heißt Mannsåker. Kjell Mannsåker. Er war nicht sonderlich kooperationsbereit. Tauchte zur gleichen Zeit auf wie deine Leute aus Oslo. Ihm ging es hauptsächlich darum, in sein Büro zu kommen, und da hat er sich dann mit der Einsatzgruppe gestritten. Mannsåker hat als Einziger Schlüssel für das ganze Haus, und der Einsatzleiter hat sie sofort beschlagnahmt. Ich dachte schon, sie müssten Gewalt anwenden, als er sein Büro nicht betreten durfte. Einer von deinen Leuten musste ihn beinahe bis zum Verwaltungsgebäude eskortieren, und das Gespräch über Per Erik verlief dabei im Sand.«

      Gihle wurde von seinem Handy unterbrochen. Kommentarlos hörte er zu und antwortete kurz: »In Ordnung.« Er legte das Handy auf den Tisch und blickte aus dem Fenster. »Das war Harald, mein Bruder. Die Heimleitung ist oben im Hauptgebäude versammelt. Sie wollen wissen, wie sie sich jetzt in dieser Situation verhalten sollen. Ich glaube, ich muss wohl selbst mit den Angehörigen von Anne Sørli sprechen – oder möchtest du tauschen?«

      Die Sonne stand tief im Westen. Ihre kraftlosen Strahlen erhellten gerade noch die schmutzig gelben Holzwände des Dienstgebäudes, das die Verwaltung der Einrichtung beherbergte. Moen warf einen Blick hinauf in die erste Etage. Zwei Fenster waren erhellt. Hinter einem standen Per Erik Henriksen und sein Lehrer. Moen stieg die Treppe hinauf und kam in einen Flur. Geradeaus gab es eine Doppelschwingtür, rechts und links waren Bürotüren. Auf der einen stand Verwaltung, auf der anderen Konferenzraum. Moen nahm die Tür zur Verwaltung, doch war sie verschlossen. Er probierte die andere, sie öffnete sich.

      Moen ging hinein und baute sich auf, breitbeinig und mit verschränkten Armen. Am anderen Ende des Raums, über die Seiten eines langen Konferenztisches verteilt, saßen vier Personen. Ein Mann und eine Frau in den Dreißigern links, auf der rechten Seite Reidar Olsby. Moen nickte ihm zu, konzentrierte seine Aufmerksamkeit jedoch auf den Mann, der vor Kopf saß, ein rotgesichtiger Mann in einer Tweedjacke. Seine Augen lagen hinter Falten versteckt, und er betrachtete Moen, als sei er ein Haar in der Suppe.

      »Was können wir für Sie tun?«

      »Ich habe es eher so verstanden, dass ich etwas für Sie tun kann.«

      »Wer sind Sie?«

      Moen fühlte Unmut in sich aufsteigen. Sein Blutzucker war niedrig und der Kaffee schwappte durch sein System.

      »Ich könnte Sie eigentlich dasselbe fragen.«

      Olsby warf ein: »Das ist der Mann von der Kripo.«

      Für einen Augenblick wurde es still, und die drei anderen starrten Moen an. Der Mann am Tischende verwandelte seinen Gesichtsausdruck in etwas, was einem jovialen Lächeln ähnelte.

      »Tut mir leid. Ich heiße Arve Nerseth und arbeite für den Gesundheitsbezirk Ost. Wir diskutieren die Maßnahmen vor dem Hintergrund der entstandenen Situation. Wir hätten ein paar Fragen an ...?«

      »Knut Moen, Einsatzleiter der Kriminalpolizei. Wer sind die anderen?«

      »Olsby kennen Sie ja.« Er deutete auf die Frau. »Das ist Marita Mæhlum, Psychologin und fachverantwortlich für die Behandlung, und Kjell Mannsåker, Leiter der Abteilung, in der der Mord geschah.«

      Moen registrierte knapp zwei steife weiße Gesichter, die ihn anstarrten, und Nerseth fuhr fort: »Wir sind hier in einer schwierigen Situation. Sie wissen vielleicht nicht, dass die Leiterin der Einrichtung einen Zusammenbruch hatte. In einer Stunde kommen die Jugendlichen von einem Ausflug zurück, in eine Abteilung, die von der Polizei besetzt ist. Zu meiner Verwunderung muss ich auch feststellen, dass der Schüler, der den Mord gestanden hat, ohne Aufsicht der Polizei in der ersten Etage sitzt.«

      »Das waren jetzt mindestens drei Probleme, die in Ihrer Verantwortung liegen, nicht in meiner«, sagte Moen.

      »Die Polizei hat die halbe Einrichtung geschlossen. Wir können ja wohl eine Antwort erwarten, wie wir damit umgehen sollen und wie lange diese Situation andauern wird.« Es war die Psychologin, die sich äußerte.

      Moen erwiderte ruhig:

      »Die Abteilung bleibt so lange geschlossen, wie die Untersuchungen der Polizei es erfordern. Die Abteilung wird versiegelt und bewacht. Es wird ein paar Tage dauern, vielleicht eine Woche.« Er versuchte, etwas versöhnlicher aufzutreten, und fügte hinzu: »Wir sind uns der Unannehmlichkeiten bewusst, doch Gesetz und Ermittlung lassen uns keine andere Wahl.« Der Abteilungsleiter hob den Arm als wäre er in einer Schulklasse. Er hatte zurückgekämmtes, lockiges Haar und lächelte sardonisch mit ebenmäßigen, weißen Zähnen. Arve Nerseth nickte.

      »Ja, Kjell.«

      »Ist es wirklich wahr, dass ich nicht in mein eigenes Büro gehen kann, um Dinge zu holen, die ich in den nächsten Tagen hier für meine Arbeit brauche? Nicht einmal in Begleitung?«

      »Ja. So ist es.«

      »Das Büro war abgeschlossen, als ich es zuletzt verlassen habe, und niemand sonst hat Schlüssel. Das hat mit dem Fall doch nichts zu tun.«

      »Das wissen weder Sie noch ich, und hier gilt es Regeln zu folgen, nicht dem, was Sie oder ich denken.«

      »Das kann ich schlichtweg nicht akzeptieren.« Der Abteilungsleiter appellierte an Arve Nerseth.

      Moen hatte sich während dieser Unterhaltung hingesetzt, stand aber wieder auf. »Wir haben wohl alle ein paar Dinge, um die wir uns kümmern müssen. Auf Sie wartet eine Busladung mit Jugendlichen, und ich muss eine umfassende Untersuchung leiten.«

      Moen sah Reidar Olsby an. Er starrte verdrießlich auf seine Hände.

      Arve Nerseth stand auf, streckte die Arme aus, ließ sie aber wieder herabsinken:

      »Bitte setzen Sie sich einen Moment. Ich muss mich für uns alle entschuldigen, wir sind erschüttert und etwas ratlos. Eins müssen Sie uns beantworten. Was sollen wir mit Per Erik Henriksen machen? Reidar sagt, er habe den Mord gestanden. Stimmt das?«

      »Was Reidar Olsby sagt oder meint, möchte ich nicht kommentieren. Die Polizei hat eine verdächtige Person, die sich nun in Untersuchungshaft befindet. Mehr kann ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sagen.«

      Am Tisch wurde es still. Die Überraschung stand ihnen in die Gesichter geschrieben, nicht zuletzt Reidar Olsby.

      »Persönlich bin ich ziemlich überzeugt davon, dass Per Erik Henriksen ein verstörter junger Mann ist, und überlasse ihn Ihrer fachkundigen Obhut.«

      Draußen auf dem Wirtschaftshof war es feucht und kalt. Unten am Hügel strahlte der Tatort wie ein Weihnachtsbaum in der Oktobernacht. Moen steckte Reidar Olsbys Schlüssel in die Tasche und bereute für einen Moment seine Arroganz. Er musste aufpassen, dass sich die Verbitterung über den abgebrochenen Urlaub nicht auf die Untersuchung auswirkte, aber er war und blieb allergisch gegenüber dem Abschieben von Verantwortung. Ein Volkswagen-Transporter brauste mit eingeschaltetem Fernlicht auf den Hof, und


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