Hatz. Jørgen Gunnerud
verschloss die Tür hinter sich.
In der Küche saß Asbjørn Gihle, tief versunken über einem Teller Tomatensuppe mit Makkaroni. Er sah auf, als Moen hereinkam. Er deutete auf den Teller. »Kriegsbeute. Bedien dich. Du musst ja völlig ausgehungert sein.«
Moen plumpste auf einen Stuhl und Gihle stand auf, um die Suppe zu servieren. Er stellte sie vor Moen hin.
»Du siehst nicht gut aus«, sagte Gihle. »Iss eine Kleinigkeit.« Moen blickte ihn an:
»Du siehst auch nicht besonders glücklich aus. Hast du mit den Eltern gesprochen?«
»Ja, hab ich.«
»Was für Leute sind Anne Sørlis Eltern?«
»Bauern. Sie haben einen mittelgroßen Hof in Vestre Toten.«
»Wohnte sie zu Hause?«
»Ja, sie bewohnt das Altenteil.«
Moen probierte einen Löffel voll Suppe. Sie schmeckte, und er nahm noch einen.
Als er wieder aufblickte, hatte Gihle das Gesicht in den Händen verborgen.
»Wirklich, gar nicht mal so schlecht.«
»Sie war ihr einziges Kind.«
»Wir müssen wohl bald an die Presse.«
Was Moen den Journalisten zu erzählen hatte, war nicht viel. Es war der erste Tag der Untersuchung, und wenn es nach Moen gegangen wäre, hätte er kein einziges Wort gesagt. Sein Publikum kannte das und war daran gewöhnt. Eine weibliche Nachtwache in einer psychiatrischen Einrichtung für Jugendliche war am Morgen ermordet aufgefunden worden, im Zusammenhang mit einem Einbruch.
Ein einunddreißigjähriger Mann, vorbestraft wegen Körperverletzung, Beschaffungskriminalität und Drogenbesitz, war in seinem Haus ungefähr fünfhundert Meter vom Tatort entfernt festgenommen worden. Dort hatte man einen weiteren Toten gefunden, doch die Umstände dieses Todesfalls waren noch ungeklärt.
Natürlich gab es Nachfragen vom Presselager. Die weniger Erfahrenen stellten ihm Fragen, die er selbstverständlich nicht beantworten wollte. Wie sie umgebracht worden war und so weiter. Die Geschickteren wollten, dass er eventuelle »Quellen« preisgab. Wer hatte die Verstorbene gefunden? Wie viele waren im Haus? Moen gelang es auszuweichen, indem er darauf hinwies, dass die Abteilung wegen eines Ausflugs »praktisch« leer gewesen war und dass er beim gegenwärtigen Stand der Ermittlungen nichts hinzuzufügen habe. Die Nachfragen erstarben alsbald, denn die Journalisten wussten, dass es nun an ihnen selbst lag, Leute auszugraben, die reden wollten, wie zum Beispiel das Personal der Einrichtung oder – was Gott verhindern mochte – Moens eigene Kollegen. Als Moen ging, kreisten bereits die Journalisten von den großen Zeitungen um ihre Kollegen von den Lokalblättern, die hier einen Vorsprung hatten: Sie kannten die örtlichen Verhältnisse. Ein paar von ihnen hatten noch weitere Vorteile. Sie waren jung, sie waren Frauen, und sie waren blond.
Draußen wartete Asbjørn Gihle mit dem Wagen. Er hatte die Einquartierung der Mannschaft beordert. Es war dunkel wie in einem Sack und so kalt, dass Moen die Hände in die Taschen seiner Feldjacke stecken musste. Dort fand er etwas zu rauchen und zündete sich eine Zigarette an. Eine Weile zog er gierig daran, bis Gihle sagte:
»Du kannst im Auto rauchen.«
Es war dreiundzwanzig Uhr, als Gihle Knut Moen und seine Truppe in der kleinen Pension an der Landstraße außerhalb von Lena, Østre Toten verließ. Es war die einzig freie Unterbringungsmöglichkeit, abgesehen von den üblichen Rica/Clarion/Quality/Choice-Kästen in Gjøvik, und lag am nächsten. Moen hatte geglaubt, ein Zimmer in der ersten Etage zu bekommen, doch da wohnten die Wirtsleute, und er war etwas verdutzt, als er sah, dass die Zimmer unter dem Dach für eine einfache Unterbringung konzipiert waren. Schließlich wählte er ein Zimmer mit Doppelbett und eigenem Bad.
Seine Laune wurde etwas besser, als er herunterkam. Die Wirtsleute hatten versprochen, die Reste von einer Geburtstagsfeier zum Siebzigsten aufzutischen. Es gab nicht weniger als Elchsteak mit allem, was dazugehört. Die Einsatzgruppe aus Oslo setzte sich an den Tisch und blickte verstohlen zu Moen hinüber, als die Wirtin – vorsichtig – fragte, ob sie zusätzlich noch etwas haben wollten. Auf dem Tisch stand Wasser.
»Ein Bier vielleicht?«, fragte Moen die anderen. Alle nickten und lächelten einer wie der andere.
Dann sagte die Wirtin, ohne eine Miene zu verziehen: »Soll es außerdem noch was sein? Sie sehen aus, als ob Sie etwas Scharfes brauchen könnten.«
Die komplette Gruppe lächelte lautlos in sich hinein. Ja, das stimmte wohl. Sie brauchten einen Schnaps, und der kam auf den Tisch. Einige Minuten genossen sie ihr Glück in aller Stille, bevor die unumgängliche Nachbesprechung kam. Sie fiel kurz aus.
»Habt ihr etwas in seinem Zimmer gefunden?«
»Ein Kollege aus Gjøvik hat das gemacht. Wir haben die Sachen, die er gefunden hat, nur zur Dienststelle des Lensmanns gebracht.«
»Ihr habt nicht nachgehört, was es war?«
»Es ging alles etwas schnell.«
»Alles ist verschlossen und versiegelt?«
»Alles verschlossen und plombiert.«
»Auch bei Hakksveen?«
»Ich glaube, alles, was für die Untersuchung von Bedeutung ist, wurde weggebracht.«
»Und das ist auch alles verschlossen und plombiert?«
»Ay, ay, Boss.«
Die Wirtin trug den Tisch ab.
»Es ist spät, meine Herren, aber ich darf Sie fragen: Soll es noch etwas sein, bevor wir schließen?«
7
Knut Moen saß vor Kopf am Tisch des Konferenzraums in der Dienststelle des Lensmanns. Immerhin verfügte er über die größte Erfahrung als taktischer Fahnder in Der nationalen Einheit für die Bekämpfung organisierter und anderer schwerwiegender Kriminalität, was ein witziger Bursche einmal zu Dneboask verkürzt hatte, von den Behörden in ihrer Weisheit jedoch als Kripo bezeichnet worden war, da sich die Welt in ihrer Eigensinnigkeit geweigert hatte, den neuen Namen ernst zu nehmen, und das Tier bei seinem alten Namen nannte. Sein Hauptgebiet war allerdings weniger das prestigeträchtige Feld der organisierten Kriminalität oder eines der anderen Gebiete, welche zu jeder Zeit die besondere Aufmerksamkeit der Medien, der Politiker und der Bürokratie genossen. Seine Spezialität war der gute alte norwegische Mord. In nüchterner Prosa hatte es Die nationale Einheit für die Bekämpfung organisierter und anderer schwerwiegender Kriminalität im Rahmen ihres Jahresberichts so ausgedrückt: »Wie schon früher ist der typische norwegische Täter ein Mann im Alter zwischen einundzwanzig und dreißig Jahren, der keiner geregelten Arbeit nachgeht und das Opfer kennt. Die meisten Morde werden infolge einer Streiterei am Wohnort des Opfers oder des Täters verübt, wobei häufig Rauschmittel im Spiel sind. Das Messer ist immer noch die üblichste Mordwaffe in Norwegen.«
So wie er es beurteilte und ausgehend vom Kenntnisstand der Polizei zum momentanen Zeitpunkt, passte diese Sache gut in den Rahmen. Der Verdächtige, Tore Hakksveen, verfügte zusätzlich zu seinen Drogenproblemen über einen langen kriminellen Lebenslauf. Er war einunddreißig Jahre alt und als Sechzehnjähriger zum ersten Mal verurteilt worden. Die meisten Jahre zwischen seinem zwanzigsten und dreißigsten Geburtstag hatte er wegen zahlreicher Delikte im Bereich der Drogen- und Beschaffungskriminalität sowie aufgrund einer Verurteilung wegen Vergewaltigung im Gefängnis zugebracht. Sein verstorbener Kumpel, Arvid Jakobsen, genannt »Mini«, hatte sich, sofern überhaupt möglich, aufgrund noch viel mehr Straftaten zu verantworten. Die meisten betrafen Mundraub, Ladendiebstähle und Einbrüche, doch er war niemals verurteilt worden. Jakobsen wurde als vollzugsuntauglich eingestuft und als derart geistig zurückgeblieben beurteilt, dass man ihn so gut wie überhaupt nicht für seine Taten zur Verantwortung ziehen konnte. Er hatte seine Karriere in der Jugendhilfe begonnen und in einem Jugendheim gewohnt. Beide waren also in den polizeilichen Archiven vermerkt, mit Bildern und Fingerabdrücken. Von den gefundenen Messern kam mindestens