Angriff von Rechtsaußen. Ronny Blaschke

Angriff von Rechtsaußen - Ronny Blaschke


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keinen Grund zu handeln. Es hat sich bei uns kein einziger Verein gemeldet und gesagt, dass sie ihn nicht als Schiedsrichter haben möchten. Warum sollen wir jetzt das Feuer legen?“

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      Großes Echo: Schlagzeilen der örtlichen Zeitungen zum „Fall Haaase“.

      Anderthalb Jahre später hat Bernd Benscheidt die Artikel der Lokalpresse auf seinem Esstisch ausgebreitet, er schüttelt den Kopf. „Natürlich kann Herr Haase Politik und Fußball nicht trennen. Unmöglich!“ Die Antwort kommt ohne Zögern. „Unbewusst nimmt er seine Gesinnung mit auf den Platz.“ Bernd Benscheidt ist Sprecher der Friedensgruppe Lüdenscheid, seit 1999 setzt sie sich ehrenamtlich gegen Diskriminierung und für Toleranz ein. Er skizziert eine Chronik der Verharmlosung und Verdrängung. Denn die Debatte verstummt, ehe sie richtig beginnt.

      Bernd Benscheidt wendet sich Ende 2009 mit seiner Friedensgruppe an den DFB und den Zentralrat der Juden. Daraufhin findet im März 2010 ein zweistündiges Gespräch im Sportzentrum Kamen-Kaiserau statt. Vertreter des Fußball- und Leichtathletikverbandes Westfalen und des Fußballkreises Lüdenscheid kommen unter der Moderation des DFB-Vize und Landesverbandschefs Hermann Korfmacher zu dem Schluss, dass Stephan Haase juristisch nicht auszuschließen sei. „Haase darf weiter pfeifen“, titeln die „Lüdenscheider Nachrichten“ am 20. März 2010. Bernd Benscheidt: „Wir hatten einen langen Schriftwechsel und ein vertrauensvolles Gespräch. Viele schöne Worte, aber am Ende kam nichts dabei heraus. Der DFB gibt viel Geld für Kampagnen gegen Rassismus aus. Aber wenn es darauf ankommt, stehen wir allein da. Da fühlt man sich hilflos.“

      Benscheidt geht es nicht nur um den Namen Haase, es geht ihm um die Ideologie, die Haase mit seiner Anwesenheit mit Bedeutung auflade. „Wir gehen nicht davon aus, dass er sein Schiedsrichteramt für Diskriminierungen missbraucht. Aber er kommt im Fußball immer wieder mit jungen Leuten ins Gespräch. Bewusst oder unbewusst spielt Politik da eine Rolle.“ Benscheidt wünscht sich einen Rauswurf Haases aus dem Fußballverband, auch wenn dieser danach mit einem Einspruch erfolgreich sein könnte. „Zumindest hätten wir eindeutig Flagge gezeigt“, glaubt Benscheidt. „Wir haben viele Vereine angeschrieben, aber niemand wollte sich äußern. Wir fühlen uns im Stich gelassen. Die Diskussion ist eingeschlafen. Herr Haase darf weitermachen – als wäre das ganz normal.“

      Der NPD-Kreisvorsitzende Timo Pradel überschreibt den Protest gegen Haase 2009 auf der Internetseite seiner Partei für Lüdenscheid mit den Worten: „Totalitäre Machenschaften: Linksextreme Hatz auf NPD-Ratsherrn“. Weiter schreibt er: „Die selbsternannten Gesinnungswächter haben bereits ohne Erfolg im Vorfeld der Kommunalwahl versucht, mit Hilfe der politisch gleichgeschalteten Lokalpresse Druck auf die heimischen Fußballvereine und den Deutschen Fußballbund auszuüben. In einem Anflug geistiger Umnachtung wandten sich die Pseudodemokraten sogar an den ‚Zentralrat der Juden‘. Man darf schon jetzt gespannt sein, ob der DFB Stephan Haase, der sich als Schiedsrichter übrigens noch nie etwas zuschulden kommen lassen hat, den Rücken stärkt, oder ob er vor den totalitären Machenschaften einiger durchgeknallter Gesinnungswächter einknickt.“

      Stephan Haase wählt für die gleichen Gedanken harmlosere Worte: „Meine Gegner werfen mir vor, ich sei gegen die Demokratie. Aber sie selbst wollen mich aus dem Sport ausschließen – das ist keine Demokratie.“ Haase richtet den Protest gegen die Protestierenden. „Ich kann die Heuchelei des politischen Gegners wunderbar in Unterhaltungen einfließen lassen, dadurch wird meine Position gestärkt, das honoriert auch die NPD.“ Spätestens im nächsten Wahlkampf kann Haase mit seinem Ehrenamt wuchern – und mit seiner vermeintlichen Standfestigkeit.

      „Freundliche Gastgeber, ob 1936 oder 2006“

      Manchmal erweckt Stephan Haase den Eindruck, als sei er enttäuscht, dass seine Schiedsrichtertätigkeit nicht zu einem größeren, bundesweit diskutierten Politikum geworden ist. Er sagt, er habe im Januar 2007 eine Anzeige in der Lokalzeitung gelesen und sich spontan für den Schiedsrichter-Lehrgang angemeldet. „Ich habe dort nicht über meine NPD-Tätigkeit gesprochen, das mache ich an der Supermarktkasse oder vor dem Busfahrer auch nicht. Ich habe damit gerechnet, dass mich jemand erkennt und ich meinen Schein vielleicht nicht erhalten würde.“ Von Beginn an bittet Haase um Einsätze in der Kreisliga C, deren Spiele am Sonntag stattfinden, er braucht für seine Partei an einem Tag des Wochenendes Planungssicherheit. Welche Spiele er leitet, bestimmt ein Computerprogramm. Haase ist Mitglied von Rot-Weiß Lüdenscheid, auch dort hat man nichts gegen ihn. „Vor dem Spiel kontrolliere ich die Tore und Spielfeldlinien, während des Spiels pfeife ich, danach schreibe ich einen Bericht und fahre nach Hause.“ Was passiert in der Kabine, auf dem Parkplatz, im Klubheim? „Theoretisch besteht die Möglichkeit, aber das mache ich nicht.“

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      Bürgermeister Dieter Dzewas

      Folgt man der Argumentation von Stephan Haase, so hat er zwei Identitäten, die er wie ein Kostüm beliebig über- und abstreifen kann. Dass er durch seine Aussagen, seine Vergangenheit, sein Umfeld Einfluss auf das Demokratie- und Toleranzverständnis des Sports nimmt, ob er auf dem Rasen steht oder nicht, will er nicht zugeben. Er sagt, dass er sich von der Nationalmannschaft, deren Spieler verschiedene Wurzeln haben, nicht repräsentiert fühle. Er kritisiert jene Kicker, die das Singen der Nationalhymne verweigern. Allerdings pfeift er in der Kreisliga C Woche für Woche Miniaturformationen dieses Multikulturalismus. Er sagt: „Im Sport vertreten wir Nationaldemokraten in der Gegenwart, genau wie die Nationalsozialisten früher, die Meinung, dass der Beste gewinnen soll. Wir Deutschen waren immer faire und freundliche Gastgeber, ob 1936, 1972, 1974 oder 2006.“ Er bringt Olympia im Dritten Reich mit den Spielen in München oder der Fußball-WM auf eine Ebene – auch auf Nachfrage will er keine Trennlinie zu Hitlers Propagandashow ziehen. Wie würde er mit Migrantenvereinen umgehen, wenn die NPD an der Macht wäre? „Da wir den Ausländeranteil herunterfahren würden, würde sich diese Frage schnell erledigt haben.“

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      Friedensaktivist Bernd Benscheid.

      Das Interview, das Stephan Haase für dieses Buch gibt, sei sein zweites überhaupt zum Thema Fußball. Die Lokalreporter schreiben über ihn, aber reden nicht mit ihm, dabei sei er für jeden zugänglich. Juristisch sei ihm nichts vorzuwerfen, verkünden Funktionäre der Fußballverbände, nur durch Proteste könne er zum Rücktritt bewegt werden. Eine Protestbewegung der Zivilgesellschaft könnte sich an den demokratiefeindlichen Aussagen Haases entzünden. Oder an seinen Nebentätigkeiten als Schiedsrichter: Am 14. Juli 2010 berichtet der Rechtsextreme René Laube auf der Internetseite der NPD in Düren: „Dank gebührt auch dem stellvertretenden Landesvorsitzenden der NPD-NRW, Stephan Haase, der den ganzen Tag über als Schiedsrichter auf dem Platz stand.“

      Vier Tage zuvor: Der Kreisverband Düren veranstaltet ein Turnier für „nationale Aktivisten“. Die Teams heißen Sturm 8, Freie Nationalisten Siegen, Freie Kräfte Köln, NS Wuppertal, NS Essen, Nationaler Widerstand Leverkusen, Skinhead Front Dorstfeld, SC Schafspelz oder Asoziale Randgruppe Istanbul. Ein Video im Internetportal YouTube, unterlegt mit dramatischer Musik, zeigt Kicker auf einen staubigen Bolzplatz. Claus Cremer, Chef der NPD in Nordrhein-Westfalen, sagt: „Solche Veranstaltungen dienen der Kameradschaftspflege und sind wunderbar geeignet, den Zusammenhalt untereinander zu fördern.“ Teilnehmer sprechen von „gelebter Volksgemeinschaft“ oder dem „Kennenlernen von Kameraden für den Kampf gegen das System“. Ein Spieler bezeichnet sich als „nationalen politischen Soldaten“, Stephan Haase ist in dem Film nicht zu erkennen. Dass er möglicherweise mit Mitgliedern von verbotenen Kameradschaften Sport getrieben hat? Wäre ihm egal: „Die Verbotspraxis des Staates ist ein Witz. Wo Gruppen verboten werden, gibt es keine Demokratie.“

      Darf jemand an einem Tag Begegnungen zwischen Spielern leiten, die den Staat ablehnen, und am nächsten Tag die Bühne des Breitensports betreten, die der Staat mit Millionen fördert? Natürlich dürfe er das, sagt Stephan Haase, und verweist auf Kollegen der NPD, die Probleme im Sport bekommen haben sollen. Zum Beispiel der Landeschef: Claus Cremer hatte in Bochum eine Jugendmannschaft betreut. Die DJK Wattenscheid


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