Angriff von Rechtsaußen. Ronny Blaschke
Caps, die aus einem Freundeskreis im Osten Leipzigs entstanden sind. Die Blue Caps unterscheiden sich nicht von anderen hartgesottenen Ultra-Gruppen im Stadion. Sie unterstützen ihre Mannschaft mit Gesängen, Spruchbändern, Choreografien. Sie provozieren, prügeln sich, zünden verbotene Knallkörper. Für Agitation mit Breitenwirkung fehlt ihnen die Organisation. Noch.
„Ich habe Zugehörigkeit gefunden, die ich woanders nicht bekommen konnte. In der Gruppe fühle ich mich immer etwas größer.“ Enrico Böhm, treibende Kraft der Lok-Ultras Blue Caps und NPD-Stadtratskandidat 2009.
Im Stadion stehen die Blue Caps unter Beobachtung der Vereinsführung. Nicht aber im Leipziger Fanprojekt, das eigentlich rechtsextremen Tendenzen im Fußball entgegenwirken soll. Die sozialpädagogische Einrichtung liegt im Stadtteil Stötteritz, in einer ehemaligen Firmenkantine mit vergitterten Fenstern, umwuchert von Unkraut. Am 19. November 2007 ruft Böhm im Internetforum des Vereins unter seinem Tarnnamen „Gegengerade“ zu einem Arbeitseinsatz und einer Spendenaktion auf. Geld, Möbel, Baumaterialien werden für das Fanprojekt bereitgestellt. 30 Fans helfen bei der Sanierung, darunter die rechten Blue Caps. Sie putzen, streichen Wände, schaufeln Gräben für die Stromkabel.
Böhm und seine Mitstreiter haben ihren Ort gefunden. Sie dürfen im Fanprojekt einen Raum gestalten, pinseln das Bild eines Faustkampfes an die Wand, auch das Logo des italienischen Spitzenklubs Lazio Rom, zu dem die Buchstabenkombination SS gehört: Società Sportiva. „Das SS hat uns gut in den Kram gepasst“, sagt Böhm. Die Blue Caps trainieren an Fitnessgeräten, spielen Billard, veranstalten Videoabende. Am 1. Februar 2008, sagt Böhm, habe er im Fanprojekt ein Treffen von 20 Rechtsextremen organisiert, darunter NPD-Funktionäre. Auch Marco Remmler ist einmal Gast des Hauses, liefert Jugendlichen auf Bestellung rechtsextreme Literatur – im Rahmen eines Präventionsprojekts, das öffentlich gefördert wird. Die Stadt Leipzig zahlt dafür 83.160 Euro im Jahr 2008. Den Rest, 41.580 Euro, übernimmt der DFB.
In Leipzig hatten sich die Verantwortlichen darauf geeinigt, rechtsextremen Jugendlichen eine pädagogische Betreuung zu verweigern. Ende der neunziger Jahre war ein Jugendhaus im Stadtteil Grünau von Neonazis unterwandert worden. Fast 50 Fanprojekte existieren in Deutschland, einige betreiben sogenannte akzeptierende Sozialarbeit, Integration statt Ausgrenzung – auch von Rechtsextremen. Die Pädagogen haben einen schwierigen Auftrag: Sie müssen Nähe suchen und zugleich Distanz wahren. Wer ist Verführer in der rechtsextremen Szene? Und wer Verführter? Doch wie weit soll diese Betreuung gehen? Wie weit darf sie dem Übel entgegenkommen? Bis hin zu Hinweisen auf die SS?
Udo Ueberschär, Leiter des Fanprojekts, hat darauf keine einfache Antwort. Er bestreitet, dass es zu einem Treffen von Rechtsextremen gekommen sei. In seinem ersten Leben als Pädagoge hatte er straffälligen Jugendlichen während ihrer Resozialisierung geholfen, seit 2000 betreut er Fußballfans. Bei Lok habe er nicht bei null angefangen, sagt er, sondern bei minus hundert. Lange war er auch für die Fans des FC Sachsen verantwortlich, er bewegte sich in einem Spannungsfeld zwischen unversöhnlichen Rivalen. Die große Mehrheit der Lok-Fans, die er unterstützt, sei ausschließlich an Fußball interessiert. Aber er spricht auch von den Wurzellosen, die für rechtes Gedankengut empfänglich seien. Ueberschär glaubt, wer verführt wird, könne zurückgeholt werden: „Einige Jungs werden zu Strohmännern und wissen nicht, dass sie verbrannt werden. Wir versuchen, ihnen ihre Zukunft aufzuzeigen, wir wollen sie mit Fußball für positive Ideen begeistern.“ Doch das ist nicht so einfach, einige seiner Stammgäste können sich nicht mal eine Monatskarte für die Straßenbahn leisten. „Da sind welche dabei, die politisch nie auffällig geworden sind. Aber weil sie Geld brauchen, lassen sie sich zu Dummheiten hinreißen, die sie später bereuen.“ Ueberschär ist ein Mann von mächtiger Statur, er spricht leise. Er beobachtet seine Klientel mit Empathie, will ihr Chancen eröffnen. Doch manchmal muss er die Notbremse ziehen.
Im Fall Enrico Böhm dauert es bis September 2008, ehe er im Fanprojekt zur unerwünschten Person erklärt wird. Böhm macht sich fortan immer wieder lustig über die Mitarbeiter des Projekts. Vor allem auf der Internetseite der Blue Caps, auf der er bunte Fankurvenfotos mit Propaganda mischt. Unter der Überschrift „Reizwort Böhm“ schreibt er über die frühere Beziehung zu den Sozialarbeitern: „Das Verhältnis war sehr gut und fast familiär. Man konnte tragen, was man wollte, und trank reichlich Alkohol mit dem Sozialarbeiter. Auch war es kein Problem, ein Treffen mit Vertretern der Nationalen Szene im Fanprojekt abzuhalten, natürlich gegen zwei Flaschen Goldkrone. Des Weiteren sagte keiner etwas, als man Bücher vom Mord am ehemaligen Reichsminister Rudolf Heß im Fanprojekt verkaufte.“ Das Fanprojekt stellt bald darauf Strafanzeige gegen Böhm und beschuldigt ihn der üblen Nachrede, Wochen später wird das Verfahren eingestellt.
Braune Choreografie: Während eines A-Jugend-Spiels formieren sich Fans von Lok Leipzig im Februar 2006 zu einem Hakenkreuz.
Provokation in der Kurve: Lok-Fans bekennen 2002 auf einem Transparent „Wir sind Lokisten – Mörder und Faschisten“.
Wo man in Leipzig auch fragt, beim verantwortlichen Jugendamt, beim Sportbürgermeister der Stadt: Rundum zufrieden scheinen mit dem Fanprojekt nur wenige zu sein. Daher begibt man sich auf die Suche nach einem neuen Träger, der das Projekt modernisieren soll. Aber auch der wird beim Kampf gegen die Neonazis in derselben Klemme stecken wie Vereinschef Steffen Kubald: Ruft er zu laut nach Hilfe, gilt er als überfordert. Benennt er offen den Ernst der Lage, gefährdet er womöglich die Existenz des Klubs. Greift er zu hart durch, verliert er viele Anhänger – und damit Geld, das der Verein zum Leben braucht.
Balancieren im Internet
Wie viel freier können da die Rechtsextremen agieren: Nach seinem Rauswurf aus dem Fanprojekt widmet sich Enrico Böhm dem Internet. Im Oktober 2008 ruft er in seinem Portal zu einer Demonstration der Jungen Nationaldemokraten auf, der Jugendorganisation der NPD. Motto: „Unser Volk stirbt! Volkstod aufhalten!“ Forderung: „Todesstrafe für Kinderschänder“. Kurz zuvor war in der Umgebung von Leipzig die geschändete Leiche der acht Jahre alten Michelle gefunden worden. Böhm wiederholt seinen Aufruf, meldet selbst eine Demonstration an, wirbt für ein Konzert der Rockgruppe Kategorie C, beliebt bei Hooligans und Neonazis. Böhm baut die Plattform aus. Er bittet um eine Probeabstimmung, fast 80 Prozent seiner Gäste im Forum würden NPD wählen. Zeitweilig ist auf seiner Seite das Bild eines Freundes zu sehen, der den Hitlergruß zeigt. Die Klickzahlen steigen von 120 auf über 1.000 pro Tag. Immer wieder gehen Beschwerden ein, mehrfach muss er den Internetanbieter wechseln.
Im selben Monat möchte Böhm auf der Vereinshomepage für eine rechte Demonstration werben. Vereinsboss Kubald lehnt ab – und nutzt die Gelegenheit, die Blue Caps im Stadion zu verbieten. Wer sich auf dem Vereinsgelände zu der Gruppe bekennt, durch Symbole oder Kleidung, wird rausgeworfen. Nur als Einzelpersonen sind die Mitglieder weiter willkommen. Bei Böhm ist Kubald konsequent: Er darf das Stadion nicht mehr betreten. Böhm orientiert sich stärker an der NPD. Die sächsische Landtagsfraktion hat ihm im September 2008 einen Posten als Mitarbeiter angeboten, als Partner seines Kumpels Marco Remmler. Böhm wertet das als Prämie für seine Leistungen. Als Karrieresprung.
Böhm lebt nun von der NPD, eine seiner Aufgaben ist die Rekrutierung von Nachwuchs. Er verschickt Handyvideos an Jugendliche, darin sind Szenen aus dem Stadion zu sehen, aggressive Fans, Polizisten oder Leuchtkugeln, die sich in Häuserfassaden fressen. Spektakuläre Bilder für den ersten Kontakt. An manchen Tagen sitzt er stundenlang vor seinem Computer, fahndet nach neuen Kräften. Im Fanforum des Vereins ist er anonym unterwegs und sucht Diskutanten, von denen er hofft, sie könnten seine Ansichten teilen. Zunächst, auf der öffentlichen Ebene des Forums, belässt er es bei belanglosen Beiträgen. Auf der zweiten Ebene, den persönlichen Nachrichten unter Mitgliedern, verschärft er den Ton. Nach einem Small Talk, einem Witz über den Teamkapitän oder einem Ausblick auf das nächste Spiel, versteckt er Hetze in seichten Formulierungen, balanciert an der Grenze zur strafrechtlichen Relevanz. Farbige sind bei ihm „maximal pigmentierte Ortsunkundige“. Über