Angriff von Rechtsaußen. Ronny Blaschke

Angriff von Rechtsaußen - Ronny Blaschke


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Aufarbeitung ihrer Rolle im Nationalsozialismus gesträubt. Stattdessen graben Fans in der Geschichte ihrer Klubs

       „Vereine wollen pflegeleichte Spieler ohne politisches Profil“

       Interviews mit Yves Eigenrauch, ehemaliger Profispieler beim FC Schalke 04

       Die Horizont-Öffner

       Seit drei Jahrzehnten entwerfen Sozialarbeiter für junge Fans kreative Erlebniswelten, um rechtsextreme Einstellungen gar nicht erst entstehen zu lassen

       „Sozialarbeit sollte sich niemals in eine Allmachtsfantasie flüchten“

       Interview mit dem Erziehungswissenschaftler Thomas Schneider

       Klima des Misstrauens – Ein Ausblick

       Literatur

       Aktive Gruppen im Internet

       Der Autor

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      Hobbykicker in Gefahr: Am 24. Oktober 2009 überfallen 50 Neonazis den Verein Roter Stern Leipzig in der sächsischen Kleinstadt Brandis.

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      Waffen im Sport: Mit Holzlatten und Eisenstangen gehen die Angreifer auf den Roten Stern los, ein Fan verliert fast sein Augenlicht.

      Ideologie der Ungleichwertigkeit

      Einleitung

      Die Optik ist verzerrt, der Ton undeutlich, die Kamera wackelt. Junge Männer laufen durchs Bild, breitschultrig, aggressiv, ihre Gesichter vermummt, ihre Hände umklammern Eisenstangen und Holzlatten. Dazwischen ein dumpfer Schrei, Drohungen, Geräusche von schnellen Schritten. Das Video, das im Internet kursiert, zeigt einen gewalttätigen Angriff auf die Mannschaft von Roter Stern Leipzig in der sächsischen Kleinstadt Brandis. Rund fünfzig Hooligans und Neonazis überfallen am 24. Oktober 2009 den antirassistischen Verein während eines Auswärtsspiels in der Bezirksklasse. Freizeitspieler, die Tore schießen wollen, müssen sich in Kampfstellung verteidigen, ein Fan verliert fast sein Augenlicht. Selten wird Rechtsextremismus im Fußball so eindringlich dokumentiert. Sichtbar, hörbar, fast spürbar.

      Wer sich in der Republik umhört, unter Funktionären, Schiedsrichtern, Trainern, der hört die immer gleichen Antworten: „So etwas gibt es bei uns nicht.“ „Bei uns ist es zuletzt ruhig geblieben.“ „Wir haben zwar Glatzen im Stadion, aber die lassen die Politik draußen.“ „Die Anfeindungen gegen schwarze Spieler sind stark zurückgegangen.“ Noch immer dominiert die Wahrnehmung: Rechtsextremismus könne nur gefährlich sein, wenn es zu lautstarkem Rassismus auf den Rängen kommt, wenn Spieler antisemitisch geschmäht werden, wenn die NPD vor dem Stadion ihre Wahlprogramme verteilt. Nach einem ähnlichen Muster verfahren viele Medien. Sie berichten lange und laut, wenn der Stürmer Gerald Asamoah in Rostock beschimpft wird, wenn sein Kollege Adebowale Ogungbure in Halle getreten wird, wenn der jüdische Verein TuS Makkabi Berlin aus Protest und Angst vor Attacken ein Spiel abbricht. Viele Fußballvertreter und Journalisten erzeugen den Eindruck, dass Rechtsextremismus eine Mode-Erscheinung sei, eine lose Kette von öffentlichen Ereignissen. Doch Rechtsextremismus ist in der Regel kein öffentliches Ereignis.

      Rechtsextremismus ist laut dem Berliner Politikwissenschaftler Richard Stöss eine Kombination von Einstellungen, die einen gemeinsamen Kern haben: die Ablehnung der Gleichheit aller Menschen. Zu diesen Einstellungen zählen Rassismus, Antisemitismus, die Befürwortung eines Führers, die Verharmlosung des Nationalsozialismus oder die Herabsetzung von Minderheiten: von Homosexuellen, Menschen mit Behinderungen, Obdachlosen. Diese rechtsextremen Einstellungen müssen nicht zwangsläufig in rechtsextremes Verhalten übergehen, in Gewalt, Diskriminierung, Parteimitgliedschaft. Weder die Wählerstimmen für die NPD noch der Überfall auf den Roten Stern Leipzig geben ausreichend Auskunft über den Rechtsextremismus in Deutschland.

      Wie tief Einstellungen in der Gesellschaft verankert sind, dokumentiert die Langzeituntersuchung zur „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ des Bielefelder Gewaltforschers Wilhelm Heitmeyer. Seit 2002 erforscht sie die Abwertung von gesellschaftlichen Gruppen. In der neunten Ausgabe dieser repräsentativen Studie, die im Dezember 2010 veröffentlicht wurde, stimmen 49 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass in Deutschland zu viele Ausländer leben würden. 26 Prozent befürworten die Forderung, dass Muslimen die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden solle. 16 Prozent geben an, dass Juden zu viel Einfluss hätten. Und elf Prozent stützen die Meinung, dass „die Weißen“ zu Recht führend in der Welt seien. Angesichts dieser Zahlen ist die oft bemühte Trennung zwischen einem intoleranten „Rand“ und einer toleranten „Mitte“ der Gesellschaft nicht mehr als eine politische Floskel. Rechte Positionen und die Ablehnung von Gruppen sind tief in der Gesellschaft verankert. Nur sind sie nicht immer – wie beim Überfall auf den Roten Stern Leipzig – sichtbar, hörbar oder spürbar.

      Der Berliner Sozialwissenschaftler Gerd Dembowski ist der Meinung, dass das Fußballstadion wie ein Brennglas wirke, unter dem gesellschaftliche Zustände verstärkt sichtbar werden: „Nicht unbeachtet bleiben darf, dass der Fußball durch sein starres Regelwerk mit Befehl, Gehorsam und Bestrafung auch ein Präsentationsfeld für patriarchale Wertvorstellungen und autoritäre Charaktere schaffen kann. Das ihm zugrunde liegende männliche Weltbild kann autoritäre Charakterstrukturen, Identitätsdenken, Nationalismus, Rassismus, Homophobie, Sexismus verstärken.“ Selten dringen Ausbrüche aus dem Amateurfußball an die Öffentlichkeit: Im Dezember 2007 hatte ein Funktionär des TSV Lingenfeld in Rheinland-Pfalz über ausländische Gegner getönt: „Wenn ich solche Mannschaften sehe, bin ich nicht mehr stolz darauf, ein Deutscher zu sein. Wenn ich beim Verband etwas zu sagen hätte, würde ich solche Mannschaften zwangsabmelden. Die gehören in den Rhein gejagt.“ Er sprach eine Meinung aus, die Millionen Deutsche für sich behalten.

      In den Bundesligastadien sind die Auswirkungen von rechtsextremen Einstellungen zurückgegangen, dank moderner Sicherheitsarchitektur und professioneller Fanarbeit, Urwaldgesänge gegen schwarze Spieler sind nicht mehr zu hören, Reichskriegsflaggen nicht mehr zu sehen. Das bedeutet nicht, dass sich Einstellungen verändert haben, wie die umfangreiche Studie „Rechtsextremismus im Sport“ von 2009 belegt, geschrieben von einem wissenschaftlichen Team unter der Leitung des Hannoveraner Sportsoziologen Gunter A. Pilz. Während Rassismus und Antisemitismus auch wegen der deutschen Geschichte tabuisiert sind, flüchten sich Anhänger oft in Homophobie oder Sexismus, in Diskriminierungen, die weniger geächtet sind. Funktionäre, Medien und Spieler tragen dazu bei, dass eine gefährliche Rangliste der Schmähungen entstanden ist. Erinnert sei an einen Konflikt zwischen Gerald Asamoah und Roman Weidenfeller. Der ehemalige Schalker Stürmer hatte dem Dortmunder Torwart im August 2007 vorgeworfen, ihn als „schwarzes Schwein“ beschimpft zu haben. In der Verhandlung des Sportgerichts soll man sich auf „schwules Schwein“ geeinigt haben. Statt für sechs Spiele gesperrt zu werden, soll Weidenfeller deshalb nur drei Partien zugeschaut haben. Die Lesben- und Schwulenszene protestierte gegen dieses Urteil, fühlte sich stigmatisiert.

      Dieses Buch untersucht die Auswirkungen von rechtsextremen Einstellungen auf den Fußball, vor allem auf Amateurebene. Entfremdung, sozialer Frust, verschwommene Vorurteile gegenüber Muslimen, Juden oder Sinti und Roma finden im Fußball ein Ventil. Auf dem Rasen öffnet sich dieses Ventil unter Emotionen, auf den Tribünen öffnet es sich


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