Angriff von Rechtsaußen. Ronny Blaschke
der schlägt, brüllt, den Mittelfinger zeigt, muss ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild haben. Trotzdem ist der Fußball ein wichtiger Schlüssel für rechtsextreme Parteien, Autonome Nationalisten oder für Freie Kameradschaften, von denen es in Deutschland rund 150 geben soll. Dieses Buch beschreibt an ausgewählten Orten, wie sich die NPD den Fußball zunutze macht. Wie sie an Einstellungen, Meinungen, Aussagen von Fans und Spielern anknüpft, diese weiterentwickelt und für ihre parteipolitische Arbeit umdeutet.
Nicht überall muss wie im Umfeld von Lokomotive Leipzig der Fußball Teil einer Unterwanderungsstrategie sein, um Mitglieder und Wähler zu rekrutieren. Oft ist der Fußball für die NPD eine Bühne, auf der sich Botschaften verbreiten lassen. Gegen Polizeihundertschaften am Stadion – und damit gegen den Staat. Für eine neue Arena – und damit für die Jugend. Gegen den Kommerz in Vereinen – also gegen Globalisierung. Für heimische Talentförderung – gegen Ausländer. Immer wieder nutzen Rechtsextreme Schlagworte, die auch der Fußball nutzt: Kampfkraft, Ehre, Fairplay, Heimat, Männlichkeit. Diese Argumentation findet fernab der Stadien statt. Und außerhalb der Massenmedien, weil keine martialischen Szenen zu bestaunen sind.
Dennoch darf diese Argumentation nicht unterschätzt werden. Die NPD beteuert, in die „Mitte der Gesellschaft“ zu wollen. Also klammert sie sich an beliebte, ideologisch weniger aufgeladene Aktionsfelder – und welches Feld könnte akzeptierter sein als der Fußball? Ihre Kader beteuern, sie könnten als Ehrenämter Fußball und Politik auf dem Rasen kommunikativ trennen. Das mag sein, doch schon ihre Anwesenheit wirkt in die Gesellschaft hinein. Sie erwerben Akzeptanz, vor allem in der eigenen Szene. Sie betonen, dass auch Mitglieder der SPD oder der CDU im Fußball aktiv sind. Sie wollen nach den gleichen Maßstäben beurteilt werden, doch das würde das Demokratieverständnis schädigen. Die 6,7 Millionen Mitglieder des DFB stehen für Meinungspluralismus und Multikulturalismus – die NPD vertritt das Gegenteil. Sie hat sich für militante Neonazis geöffnet, dadurch hat sie ihre Mitgliederzahl verdreifacht, auf rund 6.600.
Dieses Buch lässt NPD-Funktionäre wie den Geschäftsführer Klaus Beier oder den Lüdenscheider Ratsherrn und Schiedsrichter Stephan Haase ausführlich zu Wort kommen; auch die Neonazis Enrico Böhm in Leipzig und Tommy Frenck in Hildburghausen schildern ihre ertragreiche Beziehung zum Fußball. Ihre Argumentationsmuster entlarven Demokratie- und Ausländerfeindlichkeit – ein Wertesystem, das Wilhelm Heitmeyer als „Ideologie der Ungleichwertigkeit“ bezeichnet. Wer ihre abstrusen Opfer- und Verschwörungstheorien wortwörtlich dokumentiert – ohne eine journalistische Einordnung und Kommentierung zu vernachlässigen –, der nimmt ihnen die demagogische und aufrührerische Kraft.
Dieses Buch begreift den Fußball als eine von vielen Landschaften einer rechten Erlebniswelt. Der Fußball darf nicht isoliert betrachtet werden von anderen Landschaften. Rechtsextreme nutzen Musik, Kleidermarken, Internet, Kunst, Symbole und Codierungen als Erkennungszeichen – und um ihre Gruppenidentität zu stärken. Alle Elemente sind verwoben. Die Bremer Rockband Kategorie C verdeutlicht dieses Netzwerk besonders. Sie besingt Fußball und Freundschaften, auf ihren Konzerten treffen unpolitische Jugendliche auf Neonazis, ihr Geschäftsfeld mit Tonträgern und Devotionalien ist lukrativ. Fahrlässig ist daher die Aussage von Funktionären, dass Rechtsextremismus ein Problem der Gesellschaft sei, der Politik und aller anderen – bloß nicht des Fußballs. Der Sport ist ein Sittengemälde, das rechtsextreme Strukturen und Strategien auch für andere Bereiche verdeutlicht.
Dieses Buch plädiert für eine politische Diskussionskultur. In einer Branche, die sich selten ihrer sozialen Verantwortung bewusst ist. In langen Interviews beschreiben Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden, DFB-Präsident Theo Zwanziger oder die Spieler Yves Eigenrauch und Halil Altintop den Fußball als Privileg, um gesellschaftliche Debatten voranzutreiben, den Kampf gegen Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Homophobie. Dieses Buch bezieht Position für Prävention: im Profifußball für die Stärkung der pädagogischen Fanprojekte, im Amateurfußball für aufklärende Initiativen wie jene der Sportwissenschaftlerin Angelika Ribler. Nur mit einem breiten Wissen lassen sich kreative Bildungsangebote entwerfen, um rechtsextreme Einstellungen nicht entstehen zu lassen. Doch in der kurzsichtigen Auseinandersetzung lässt sich ein nicht gezeigter Hitlergruß noch immer schwer als Erfolg verbuchen.
Der Verfassungsschutz geht in Deutschland von 26.000 Rechtsextremen aus, sie organisieren sich immer weniger in festen Strukturen, 9.000 von ihnen gelten als gewaltbereit. Daran gemessen war es eine kleine Gruppe, die den Roten Stern Leipzig im Oktober 2009 in einen Schockzustand versetzt hat. Doch rechtes Gedankengut reicht weiter: Wenige Wochen zuvor war in Sachsen der neue Landtag gewählt worden. Die NPD hatte den Wiedereinzug ins Parlament geschafft: mit 5,6 Prozent, das sind mehr als 100.000 Wähler. Zwar hat die NPD im März 2011 den Einzug in den Landtag Sachsen-Anhalts verpasst, doch für Entwarnung ist es zu früh: Von den Männern zwischen 18 und 24 Jahren gaben der Partei laut dem Umfrageinstitut Infratest dimap 18 Prozent ihre Stimme. Nicht sichtbar, nicht hörbar, aber deutlich spürbar.
Wohnzimmer Plache-Stadion: Im Dezember 2003 beleben 13 Gründungsmitglieder den Traditionsverein 1. FC Lok Leipzig neu, der 1987 im Europacup-Finale der Pokalsieger stand.
Stimmenfang am Stadion
Neonazis unterwandern die Fanszene des 1. FC Lokomotive Leipzig, rekrutieren dort Mitglieder und schöpfen Wählerstimmen für die NPD. Ein Hausverbot hält sie nicht ab – im Internet und per SMS organisieren sie sich ohnehin viel effizienter. Trägt dieses Klima dazu bei, dass sich rechtsextreme Einstellungen der Anhänger in Gewalt entladen?
Als Holger Apfel am Abend des 30. August 2009 durch die überfüllten Flure des Dresdner Landtages eilt, ist da immer ein Mann, der ihm eine Schneise durch die Menschen öffnet. Der schiebt und drückt und drängt. Entschlossen und mit ernstem Blick. Apfel ist Chef der sächsischen NPD, er freut sich an jenem Sonntag über den Wiedereinzug seiner Partei ins Parlament des Freistaates – nie zuvor war das einer NPD-Fraktion in Deutschland gelungen. 5,6 Prozent der Wähler haben den Rechtsextremen an diesem 30. August ihre Stimme gegeben. Nun baut sich Apfel vor immer neuen Fernsehkameras auf. Währenddessen wartet Marco Remmler, der Leibwächter, hinter einer Absperrung, breitbeinig, die Schultern nach vorn geschoben, die Hände vor dem schwarzen Sakko gefaltet. Nach jedem Interview muss Remmler für seinen Boss eine Schneise schlagen. Schneisen schlagen, das ist Remmlers Aufgabe, in der Politik, im Fußballmilieu. Doch eigentlich sind Politik und Fußball in Sachsen nicht mehr voneinander zu trennen. Vor allem in Leipzig.
Die NPD hat in Sachsen ihr größtes Stammwählerpotenzial, das hat sie auch ihrem Einfluss im Fußball zu verdanken. In keinem anderen Klub ist die NPD so nah an die Fans herangerückt wie beim 1. FC Lokomotive Leipzig. Einige Anhänger erleichtern der Partei die lokale Verankerung, den angestrebten Weg zu mehr Akzeptanz. Die NPD macht sich im Umfeld des 1. FC Lok einen rechten Grundtenor zunutze, den viele Fans im heimischen Bruno-Plache-Stadion teilen. Das Stadion liegt in Probstheida, im Südosten Leipzigs. Die neu erblühte Stadtmitte ist fünf Kilometer entfernt, doch hier draußen sind die Häuser unsaniert, die Straßen voller Schlaglöcher. Immer wieder brechen Einstellungen der Fans heraus: Im Februar 2006 stellen sich Lok-Fans während eines A-Jugend-Spiels im Stadion so auf, dass ein menschliches Hakenkreuz entsteht. Auf einem Transparent steht 2002: „Wir sind Lokisten, Mörder und Faschisten“. Regelmäßig beschmieren sie Wände mit fremdenfeindlichen Parolen. Aber das sind nur die sichtbaren Zeichen einer Bewegung, die immer seltener sichtbar wird. Doch wie genau verwandelt die NPD diese Ausbrüche in ein politisch messbares Ergebnis? Wie gewinnt sie aus dem diffusen Weltbild junger Fans, das sich oft in Diskriminierungen und Aggressionen erschöpft, ihre Wählerstimmen? Und wie rekrutiert sie im Fußball Nachwuchs für die Partei? In Leipzig lassen sich Antworten auf diese Fragen finden.
Der Reihe nach: Lokomotive Leipzig, Nachfolger des VfB Leipzig, des ersten Deutschen Meisters von 1903, zählt zu den erfolgreichsten Vereinen der DDR, steht 1987 im Finale des Europacups der Pokalsieger. Im Jahr 2003 geht der Klub zum zweiten Mal pleite – ihm droht die Abwicklung. Fans wollen den Verein wiederbeleben, in der elften Liga, ganz unten. Am 10. Dezember gründen 13 Mitglieder in der Leipziger Kneipe „Treibhaus“ den neuen 1. FC Lok. Den Vereinsvorsitz übernimmt der gelernte