Angriff von Rechtsaußen. Ronny Blaschke

Angriff von Rechtsaußen - Ronny Blaschke


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Remmler waren früher Hooligans, sie haben sich für ihren Klub geprügelt. Dass Remmler in der rechtsextremen Szene unterwegs ist, scheint niemanden im „Treibhaus“ zu interessieren. Manche teilen seine Ansichten. Sie brauchen jede helfende Hand. Auf Politik wollen sie keine Rücksicht nehmen.

      Marco Remmler, geboren 1977, will erfolgreichen Fußball sehen, doch er hat noch ein anderes Ziel: Er will ein Stadion ohne farbige Nachwuchsspieler, ohne Andersdenkende, ohne Homosexuelle. Lok soll ein „nationaler Familienverein werden“. An Spieltagen klemmt er einschlägige Flugblätter hinter die Scheibenwischer der Autos. Hilft beim Verkauf von Fanutensilien. Schwärmt von einem der meistverkauften Artikel: einem dunkelblauen T-Shirt, verziert mit dem Wappen von Lok, darauf der Reichsadler, umrahmt von altdeutscher Schrift: „Wir sind die Größten der Welt!“ An Wochenenden trifft Remmler Kinder und Jugendliche, die sich für den Fußballverein begeistern. Sie sehen Remmlers trainierte Schultern, seinen rasierten Schädel, seine Tätowierungen. Im Stadion kursieren Geschichten aus seiner Vergangenheit, Schlägereien mit gegnerischen Fans und Polizisten. Die Jungen schauen zu ihm auf. Remmler beschreibt seine Bewegung mit Worten, die den Jungs gefallen: unangepasst, rebellisch, heldenhaft.

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      Oben: Agitation mit Breitenwirkung: Marco Remmler ist Grün dungsmitglied von Lok und seit 2006 Mitarbeiter der NPD

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      Rechts: Begehrtes Kleidungsstück: Marco Remmler schwärmt von einem dunkelblauen T-Shirt, verziert mit dem Wappen von Lok, darauf der Reichsadler, umrahmt von altdeutscher „Wir sind die Größten der Welt!“

      Lange darf der Neonazi Remmler schalten und walten. Das ändert sich mit dem sportlichen Erfolg. Lok spielt besser, als viele erwarten, stürmt von Aufstieg zu Aufstieg, vor tausenden Zuschauern. Damit steigt der Druck auf den Präsidenten Steffen Kubald, sich von rechtsextremen Anhängern zu distanzieren. Die Trennung von Remmler gipfelt im Februar 2007 in einem Hausverbot. „Eigentlich wollte ich niemanden aus der Familie ausschließen. Ich dachte, die kriegen sich alle wieder ein. Irgendwann“, sagt Kubald drei Jahre später, „doch das war falsch. Manche haben mir ins Gesicht gelächelt und hinter meinem Rücken über mich gelacht.“ Drei Jahre lang, seit der Wiedergründung 2003, hat Kubald alle reingelassen, die mitmachen wollten. Er brauchte die Eintrittsgelder, die Mitgliedsbeiträge. Ob er die verlorene Zeit aufholen kann?

      Steffen Kubald, geboren 1962, wirkt wie aus einem Feld geschlagen, er hat Hände wie Schaufeln. Lange arbeitet er, morgens vier Stunden als Abteilungsleiter einer Gebäudereinigungsfirma, danach ist er bis zum späten Abend im Verein – ehrenamtlich. „Es gibt Fans im Stadion, die ihre Gesinnung verbergen“, sagt er, „aber ich kann am Eingang nicht jedes Parteibuch kontrollieren.“ Es gehört zu seinem Alltag, sich von Personen zu distanzieren, zu denen er keinen Kontakt pflegt. Zum Beispiel von der NPD, die im sächsischen Landtag über Sicherheit im Fußball diskutieren will, auf dem Rücken von Lok. Doch manchmal erzeugen Kubalds Worte auch Kritik und Ratlosigkeit. So wie im ARD-Magazin Kontraste, das am 8. März 2007 Antisemitismus unter Leipziger Fans thematisiert, zum Beispiele Gesänge wie „Juden Aue“. Kubald sagt in die Kamera: „Und hier muss ich auch sagen: Es gab schon zu DDR-Zeiten solche Sprüche, und ich denke schon, dass einige, die bisschen älter sind schon, das auch kennen.“

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      „Es gibt Fans im Stadion, die ihre Gesinnung verbergen, aber ich kann nicht jedes Parteibuch kontrollieren.“ Steffen Kubald, Lok-Chef von 2003 bis 2011.

      Kubald würde lieber von der harmlosen Mehrheit sprechen, aber er wird nach der radikalen Minderheit gefragt. Ständig muss er Journalisten erklären, warum die Rechten sich seinen Verein ausgesucht haben. Einen Klub, der am Boden war, eine leichte Beute. Kubald spricht von 300 Mädchen und Jungen in seinem Verein. Aus 13 Nationen, wie er betont. Einigen hilft er, eine Lehrstelle zu finden, andere begleitet er bei Behördengängen. Dutzende Fans helfen bei der Sanierung des Stadions, schaufeln Sand, schleppen Steine, mähen Rasen. Sie bekommen bei Kubald ein Mittagessen, aber keinen Cent. „Wir holen die Kinder von der Straße“, sagt Kubald. Viele Stunden spricht er mit Sponsoren, um die Finanzierung zu sichern. Sponsoren mögen keine Nazi-Schlagzeilen. Nazi-Schlagzeilen können alles zunichte machen. Die bekommt Kubald mit keinem Behördengang mehr aus der Welt.

      Steffen Kubald und Marco Remmler haben sich nichts mehr zu sagen. Remmler teilt die Menschen, die ihm begegnen, in Patrioten und Feinde ein. Während eines Interviews trägt er ein braunes T-Shirt, bedruckt mit dem Schriftzug „Königstiger“. Es ist der Name eines Panzers aus dem Zweiten Weltkrieg. Remmler schimpft auf den Staat, die Kapitalisten, die Ausländer, er scheint sich von allen verfolgt zu fühlen. Seit 2006 ist Remmler Mitarbeiter der sächsischen Landtagsfraktion der NPD, arbeitet als Leibwächter und Chauffeur der Abgeordneten – und soll, wie jeder Mitarbeiter, Parteimitglieder gewinnen. Dafür nutzt er weiter den Fußball, ohne ins Stadion zu dürfen: Am 17. August 2007, wenige Monate nachdem Remmler im Stadion Hausverbot erhalten hat, geht er mit dem rechtsextremen Aktivisten Henrik Ostendorf auf Deutschland-Tour. Sie steuern einen weißen Laster, auf dem ein großes Bild von Rudolf Heß prangt, daneben die Botschaft: „Mord verjährt nicht“. So begehen sie den 20. Todestag von Hitlers Stellvertreter. In Leipzig halten sie vor dem Völkerschlachtdenkmal und dem Bruno-Plache-Stadion. Sie stellen Fotos auf eine Internetseite und schildern ihren Weg in einem Video, unterlegt mit pathetischer Musik. Medien greifen die Aktion auf. Als gegen Remmler ein Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet wird, verklären ihn Neonazis zum Märtyrer. Im Internetforum Altermedia ruft jemand zu Spenden für ihn auf. Klubchef Kubald führt dutzende Telefonate, um sich von seinem einstigen Mitstreiter zu distanzieren. Remmler und Ostendorf werden später freigesprochen.

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      Gedenken für Hitlers Stellvertreter: Im August 2007 begehen Marco Remmler und der rechtsextreme Aktivist Henrik Ostendorf den 20. Todestag von Rudolf Heß, sie posieren vor dem Plache-Stadion und instrumentalisieren den 1. FC Lok für ihre Propaganda.

      NPD-Treffen im Fanprojekt?

      Es ist ein Vorstoß nach dem Geschmack von Enrico Böhm. Im Bruno-Plache-Stadion grölt er versteckt in der Masse seit Langem fremdenfeindliche Parolen. Nach der Neugründung des Vereins meldet er sich 2004 als ehrenamtlicher Helfer an, er erhält eine der ersten Mitgliedsnummern: die 101. Schleppt Bierfässer ins Stadion, beseitigt Unkraut, hilft beim Aufbau des Internetradios Lokruf. Böhm genießt Privilegien, darf Interviews mit Ehrengästen führen, mit Rekordnationsspieler Lothar Matthäus oder Trainer Udo Lattek. Böhm trifft sich mit Spielern. Er könnte es bei Lok zu etwas bringen. Wenn er sich an die Regeln hielte.

      Böhm ist 24, als er Remmler kennenlernt. Böhm hat seine Lehre als Kfz-Mechatroniker abgeschlossen, trotz großer Probleme mit seinem Chef. Familiäre Schwierigkeiten kommen hinzu. In wenigen Monaten verliert er mehr als 30 Kilo. Böhm steckt in einer Krise, sucht Ablenkung und Arbeit – in beiden Fällen kann Remmler ihm helfen. Remmler geht mit Böhm Bier trinken, besorgt ihm Gelegenheitsjobs, lädt ihn zu Konzerten ein, wo Bands wie Endstufe spielen. Er empfiehlt ihm Vorträge von Kriegsveteranen, auch von dem einstigen Gefängniswärter von Rudolf Heß, dem Tunesier Abdallah Melaouhi, der die These vertritt, dass Heß 1987 im Kriegsverbrechergefängnis Spandau nicht Selbstmord begangen habe, sondern durch den englischen Geheimdienst ermordet worden sei.

      Langsam führt Marco Remmler Enrico Böhm, geboren 1982, aus dem Fanblock in die Politik, aus dem unorganisierten Spektrum hin zu den Strukturen der NPD. Remmler lässt seine einnehmende Art wirken. Mit den immergleichen Leitmotiven: Kameradschaft, Identifikation, Loyalität. Den Verein nutzt Remmler als Bindeglied, als gemeinsamen Nenner. „Ich habe Zugehörigkeit gefunden, die ich woanders nicht bekommen konnte“, sagt Böhm. „In der Gruppe fühle ich mich immer etwas größer.“ Es sind einfache Antworten auf eine komplexe Frage: Wie mutiert eine gemäßigte Einstellung zu einer radikalen Haltung? Überzeugt von sich wie der Eiferer Remmler wirkt Böhm nicht. Er ist ein unauffälliger Typ, blass. Er redet viel, aber wenig selbstsicher: „Wer weiß, was ohne Fußball aus mir geworden


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