Angriff von Rechtsaußen. Ronny Blaschke

Angriff von Rechtsaußen - Ronny Blaschke


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so dumm, fremdes Hausrecht zu verletzen. Ihr Wahlprogramm verteilen sie in einer Parkbucht an der Connewitzer Straße, auf öffentlichem Grund. Doch wer ins Stadion will, muss an den Nazis vorbei. Fans bleiben stehen, greifen nach Aufklebern, Kugelschreibern, Feuerzeugen der NPD. Ein älterer Mann nimmt seinen Mut zusammen und brüllt die Rechtsextremen an: „Soll ich eure Scheiben einschmeißen? Was soll dieses hässliche Grün?“ Ihm missfällt die Farbe des Autos. Es ist die Farbe des FC Sachsen, des großen Rivalen.

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      Kubald sieht Remmler während der Saisoneröffnung zum ersten Mal seit Langem. Er muss erfahren, wie die Polizei, die er gerufen hat, nach einer formalen Kontrolle wieder davonfährt. Und er muss beobachten, wie drei Jugendliche ohne Hemmungen auf das Fahrzeug der NPD zusteuern. Sie sind 14, vielleicht 15, tragen Schal und Trikot des 1. FC Lok. „Habt ihr Aufkleber für uns?“, fragt einer der Jungen, als würde die NPD zum Fußball gehören wie Fahne oder Torschrei. Remmler und Böhm freuen sich, Kubald ist fassungslos. Wie soll er reagieren? Wie kann er unnachgiebig wirken und doch gelassen? Er zögert, stellt die Jugendlichen vor die Wahl: Sticker oder Stadion. Sie entscheiden sich für Lok, gehen durchs Tor, sammeln Autogramme der Spieler. Bald darauf stehen sie wieder an der Straße. Kubald ist beschäftigt, kann sie nicht länger kontrollieren. Remmler und Böhm unterhalten sich mit den Jugendlichen, ungestört, ungefiltert. Auf einem Schulhof hätten sie es schwerer gehabt.

      Eine Woche vor den Landtagswahlen: Das Stadtderby steht an, Lok gegen den FC Sachsen, nicht im Plache-Stadion, sondern im sicheren Zentralstadion, dem schmucken Leipziger Spielort der WM 2006. Nach der torlosen Partie gibt es Ausschreitungen und Verletzte, tausende Lok-Fans schieben sich auf der Jahnallee Richtung Hauptbahnhof. Mittendrin fährt ein acht Meter langer Truck, darauf ist die Parole zu lesen: „Arbeit zuerst für Deutsche“. An Bord sind Holger Apfel, Chef der NPD-Landtagsfraktion, und seine Gehilfen, auch Enrico Böhm. Er reißt die Tür des Fahrzeugs auf, das er Flaggschiff nennt, wirft Aufkleber und Kugelschreiber in die Massen, auch die sogenannten Schulhof-CDs. Die Szene erinnert an einen Karnevalsumzug. Niemand protestiert, niemand. Einige Fans brüllen: „Hier regiert die NPD!“, Oder: „Nationaler Widerstand!“ Andere Parteien sind nicht unterwegs.

      Auf der Internetseite der NPD bilanziert Holger Apfel: „Unser heutiger Besuch beim Lokalderby sollte vor allem aber auch ein Bekenntnis zur sächsischen Fußballkultur und den sächsischen Traditionsvereinen sein. Dieses Zeichen ist mir besonders wichtig angesichts des Einstiegs des Getränkeherstellers Red Bull beim SSV Markranstädt und dem Eintrag von RB Leipzig ins Vereinsregister, denn der Einstieg von Red Bull wird in den kommenden Jahren unter Umständen gravierende Auswirkungen auf den Fußballsport im Freistaat haben. Für die Traditionsvereine im Freistaat wird es in Zukunft jedenfalls nicht leichter werden. Wir werben dafür, daß es in Sachsen auch künftig nicht nur durchkommerzialisierten Retorten-Fußball gibt, bei dem die Fans nur noch zu einer identitätslosen Masse von Konsumenten degradiert werden.“ Apfel berichtet gern von seiner Leidenschaft für Eintracht Braunschweig. Eine Interview-Anfrage lehnt er ab. Der Journalist Christoph Ruf zitiert ihn 2008 in seinem Buch „Ist doch ein geiler Verein – Reisen in die Fußballprovinz“: „Es geht mir darum, die NPD in der Mitte der Gesellschaft zu etablieren. Da ist Dynamo Dresden ein gutes Beispiel, auch Erzgebirge Aue und Lokomotive Leipzig. Das sind Vereine mit einem großen Potenzial, mit großer Akzeptanz im Volk. Deren Anhänger versuchen wir an die Partei heranzuführen.“ Und: „Natürlich ist mir – wie vielen Fans – zuwider, dass nur noch 45 Prozent der eingesetzten Fußballspieler Deutsche sind. Aber auch die Kritik der Fans an der Kommerzialisierung des Fußballs passt gut mit unserer Globalisierungskritik zusammen. Es geht uns um das Anliegen der Fans.“

      Drohungen in der Nacht

      Die NPD schafft am 30. August 2009 in Sachsen den Wiedereinzug in den Landtag. Wenige Tage später schildert der Autor dieses Buches in der Wochenzeitung „Die Zeit“ die Strategie von Marco Remmler und Enrico Böhm. Der Arbeitsvertrag Böhms mit der NPD wird auch wegen seiner Interview-Bereitschaft mit einem Journalisten nicht verlängert, er will sich nun mit einem Versandhandel selbstständig machen, doch das Projekt kommt nicht in Fahrt. Viele Mitglieder der Blue Caps kennen ein Gefängnis von innen. Böhm sagt: „Wenn jemand in den Knast muss, unterstützen wir ihn.“ Der Mitgliedsbeitrag in der Gruppe liegt bei fünf Euro im Monat. Bar zu zahlen beim Schatzmeister. Die Gruppe sammelt Spenden, besorgt Verpflegung. Auf seiner Internetseite richtet Böhm einen Gruß an die inhaftierten Mitglieder: „Die Staatsmacht versucht weiterhin, jede Gelegenheit zu nutzen, um uns knechten zu können. Doch wir bleiben standhaft!“

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      Derbyzeit ist Wahlkampfzeit: Eine Woche vor der Landtagswahl 2009 geht die NPD in der Nähe des Leipziger Zentralstadions auf Tour.

      Nicht am 1. Mai 2010. Nach einer Demonstration in Berlin landet Böhm in der Gefangenensammelstelle Moabit. Da er mit der Zahlung einer Geldstrafe wegen Körperverletzung aus dem Jahr 2009 im Verzug ist, muss er drei Tage in der Justizvollzugsanstalt Plötzensee verbringen. Erst als seine Freundin sich in Leipzig einen vierstelligen Betrag geliehen hat, wird Böhm freigelassen. Er bittet beim Landeskriminalamt Sachsen um eine Bilanz seiner Straftaten, er erhält ein Dossier von 16 Seiten. Böhm lebt nun von staatlicher Unterstützung. Seinen Passat-Kombi mit dem Kennzeichen L-EB 1488 braucht er nicht mehr. Vier Zahlen: Zufall oder Botschaft? Mit der 14 verknüpfen viele Rechtsextreme die Aussage des amerikanischen Rechtsterroristen David Eden Lane, die aus 14 Worten besteht: „We must secure the existence of our people and a future for white children.“ Zu Deutsch: „Wir müssen die Existenz unseres Volkes und eine Zukunft für unsere weißen Kinder sichern.“ Die 88 ist ein Code für den Hitlergruß, das zweimalige „H“, der achte Buchstabe ist das.

      Böhm hat wieder Zeit, um sich der Fanszene von Lok Leipzig zu widmen. Er organisiert einen Fototermin am S-Bahnhof Anger-Crottendorf, im Osten Leipzigs. Auf einem stillgelegten Bahnsteig posieren fast 80 Fans mit schwarzen Sturmhauben, es sind Mitglieder der Fangruppen Blue Caps, Blue Side Lok und Scenario. Im Winter 2010 entwickelt er mit Freunden ein 16 Seiten starkes Heft über die Fanszene. Er schreibt über angebliche Polizeiwillkür und bezeichnet die Arbeit des Klubchefs Steffen Kubald als Diktatur. Wie immer lässt er seinen Anwalt über die Texte schauen. Er besorgt einen Sponsor. Für das Lektorat des Hefts gewinnt er einen Autor, der es in der rechtsextremen Szene zu einer gewissen Bekanntheit gebracht hat. Im Gegenzug hilft Böhm bei der Renovierung von dessen Wohnung. Im Impressum tauchen beide nicht auf, das Heft soll ein kommerzieller Erfolg werden. Böhm lässt einen Sticker über die Blue Caps entwerfen, „Pyro im Bruno“, Stückpreis: zehn Cent. Ab einer Bestellung von 100 Aufklebern packt er ein Fanszeneheft dazu, kostenlos.

      2010 wächst die Kritik an Steffen Kubald, sein Rücktritt auf der Mitgliederversammlung am 5. Februar 2011 ist beschlossene Sache. An jenem Samstag sitzt Enrico Böhm an seinem Wohnzimmertisch und schreibt auf seiner Internetseite eine Chronik der Versammlung, ihrer Anträge und Wortmeldungen. Informationen erhält er per SMS von drei Freunden, die am Versammlungsort sind. Zeitgleich verfolgen bis zu 160 Personen Böhms Schilderungen im Internet. Ebenfalls im Februar üben Bekannte Böhms Druck auf die Ultra-Gruppe Blue Side Lok aus, die noch am ehesten an der ursprünglichen Unterstützung ihrer Mannschaft interessiert ist. Zum Derby gegen den FC Sachsen werden die Mitglieder der Blue Side nicht mehr im Stadion gesehen, auch ihre Internetseite ist abgeschaltet. Haben die Neonazis die aktive Fanszene damit gewaltsam auf ihre rechte Linie gebracht?

      Auch Steffen Kubald verfolgt diese Entwicklung mit Skepsis. Nach seinem Rücktritt strebt er den Posten als Sicherheitsbeauftragter des Vereins an. In diesem Punkt wird sich seine Arbeit nicht ändern. Er informiert sich beim Staatsschutz, was er gegen die Neonazis tun kann. Während der Spiele mustert er Zuschauer, sucht nach verfassungsfeindlichen Symbolen. „Das ist unser Verein!“, sagt er. „Bevor wir ihn den Nazis überlassen, kommt ans Stadiontor ein großes Schloss.“ Oft haben fremde Leute bei ihm zu Hause angerufen, meist in der Nacht. „Wir kriegen dich!“, haben sie gesagt und aufgelegt.

      Die nächsten Landtagswahlen in Sachsen sind 2014. Die NPD ist aus seinem Blickfeld verschwunden, vorerst, doch er weiß, das hat nichts zu bedeuten. Die Angriffe aus dem Hinterhalt, die er nicht sieht, von


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