Angriff von Rechtsaußen. Ronny Blaschke

Angriff von Rechtsaußen - Ronny Blaschke


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eröffneten Leipziger Fachstelle Extremismus tätig ist. „Eine kleine Gruppe kann langfristig eine Grundstimmung erzeugen, die es erschwert, aufgeklärte humanistische Werte einzufordern. So wird die Eroberung des öffentlichen Raums für Neonazis einfacher“, ergänzt der Politikwissenschaftler Adam Bednarsky. „Im nächsten Schritt schaffen sie sich mit Gewalt ihre Aktionsräume.“ Gemeinsam mit der Politikwissenschaftlerin Ulrike Fabich hatte Bednarsky 2008 die Studie „Fußball und Diskriminierung“ veröffentlicht – die bislang tiefgründigste Publikation über die Politisierung des Leipziger Fußballs. In ihrer „Initiative für mehr gesellschaftliche Verantwortung im Breitensport Fußball“, kurz IVF, setzen sich Fabich und Bednarsky gegen Rechtsextremismus ein.

      Die Liste der Gewalttaten

      Die Blue Caps prägen ein Klima. Tragen sie auch dazu bei, dass sich rechtsextreme Einstellungen in Gewalt entladen? Wie weit gehen Böhms Blue Caps tatsächlich?

      Dezember 2007: Weihnachtsfeier der Diablos, einer studentisch geprägten Fangruppe des Leipziger Klubs BSG Chemie, in einer Kneipe. Plötzlich knallt es, 40 Vermummte stürmen die Räume, werfen Rauchbomben, bedrohen Frauen und Kinder mit Baseballschlägern und Gaspistolen.

      November 2008: Im Leipziger Stadtteil Grünau wird nachts ein Kulturzentrum in Brand gesteckt, Betreiber ist der Schatzmeister der BSG Chemie.

      Januar 2009: 50 Angreifer mit Totenkopfmasken überfallen die Diablos auf ihrem Weg zu einem Hallenfußballturnier. „Töten!“, schreien die Angreifer. „Juden!“ Ein Jugendlicher muss ins Krankenhaus gebracht werden, bewusstlos, Verdacht auf Schädelbruch.

      Oktober 2009: An einer Tankstelle kommt es nach einem Kreisklassespiel der BSG Chemie zu einem Zusammenstoß von Chemie-Fans und rund 20 Neonazis, darunter Enrico Böhm und andere Lok-Fans. Ein Chemie-Anhänger wird von einem Auto angefahren und muss operiert werden.

      Oktober 2009: Während des Bezirksklassespiels beim FSV Brandis werden Spieler und Fans des antirassistischen Vereins Roter Stern Leipzig von rund 50 Neonazis überfallen, mit Holzlatten, Eisenstangen und Steinen. Ein Fan des Roten Sterns wird schwer verletzt und verliert fast sein Augenlicht.

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      NPD-Versammlung im Fanprojekt? Die sozialpädagogische Einrichtung im Stadtteil Stötteritz, die rechtsextremen Tendenzen entgegenwirken soll, steht in der Kritik.

      Die Beweislage ist immer dünn, die Opfer haben Angst vor einer Anzeige, wie so oft. Doch einige Begriffe fallen in den Antworten auf die Fragen der Ermittler immer wieder: Blue Caps. Neonazis. Fans aus dem Umfeld des 1. FC Lok.

      Wer den Blue Caps bei einem Treffen in Böhms Wohnung eine Weile zuhört, gewinnt den Eindruck, Gewalt sei die Voraussetzung für ein sorgloses Leben. „Natürlich müssen sich unsere Jungs hauen können“, sagt Jörn Zabel, Mitte zwanzig, der ebenfalls anders heißt. Manchmal hilft er auf dem Wahlkampfmobil der NPD, obwohl er nicht deren Mitglied ist. Er trägt Tätowierungen an Armen und Beinen, sein T-Shirt ist mit dem Namenszug einer faschistischen Fangruppe aus Rom bedruckt: „Irriducibili“, die Unbeugsamen. Er berichtet von seiner Jugend, in der ein falscher Blick oft mit einer blutigen Nase bezahlt wurde. „Mit zwölf hatte ich zum ersten Mal eine Waffe am Hals.“ Nach der Hauptschule bricht er die Schule ab, die Baufirma seines Vaters ist insolvent, er soll endlich Geld verdienen. Zabel sagt, er habe sich immer behaupten müssen. Er wird Stammgast des Kampfsportclubs Germania. Trainiert mit Türstehern und Leuten aus dem Rotlichtmilieu. „Fußball ist wie Politik“, sagt er. „Es zählt das Gesetz des Stärkeren.“ Dieses Motto wollen die Blue Caps weitertragen. Zum Beispiel an ihre Nachwuchsgruppe, die Crime Boys. Im September 2009 erteilt der 1. FC Lok auch dieser Gruppe Hausverbot.

      Die Worte von Jörn Zabel machen deutlich: Der Fußball spiegelt die verschwimmenden Grenzen zwischen Gewalt und Rechtsextremismus. „Viele Fans suchen in der Bindung zur NPD einen Vorwand zum Prügeln“, sagt Zabel. Seine Abneigung richtet sich gegen die linksalternativen Diablos. Ihre Anhänger sind in den Stadteilen Connewitz und Südvorstadt unterwegs, sie engagieren sich gegen Rassismus, in Lesungen, Konzerten, Ausstellungen. Die Blue Caps betrachten die Diablos als Feinde. In Fußball – und Politik. Sie wissen, dass zu ihrem Freundeskreis der Rote Stern Leipzig gehört, deren Spieler sich fast an jedem Spieltag Beleidigungen und Provokationen anhören müssen. Auch ein Stadtratsmitglied der SPD, ein langjähriger Landtagsabgeordneter der Partei Die Linke und der Mitarbeiter eines grünen Bundestagsmitglieds sind im Umfeld der Diablos aktiv. Zabel schimpft. Ob er auch seine Fäuste sprechen lässt? Er grinst und sagt, von Überfällen und Drohungen habe er nur gehört. Beschreiben kann er diese Taten, als sei er selbst dabei gewesen.

      Enrico Böhm sitzt neben ihm, er gibt sich ahnungslos. Geht nur auf abgeschlossene Fälle ein. Sechs Ordner stehen im Regal über seinem Fernseher, er präsentiert sie stolz wie Urkunden: Post seines Anwalts, Anordnungen des Gerichts, Meldeauflagen. Elf Einträge sind zu diesem Zeitpunkt über ihn im Bundeszentralregister verzeichnet, Körperverletzung, Volksverhetzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz, Urkundenfälschung, Hausfriedensbruch, Landfriedensbruch, Unterschlagung oder Diebstahl. Zweimal wird seine Wohnung von der Polizei durchsucht.

      Wer ins Stadion will, muss an den Nazis vorbei

      Ob seine Wähler davon wissen? Die NPD distanziert sich von Gewalt, offiziell. Nachdem Mitglieder der Blue Caps während ihrer Weihnachtsfeier am 20. Dezember 2008 Polizisten mit Flaschen beworfen haben, lässt Helmut Herrmann, der Leipziger NPD-Kreisvorsitzende, auf der Internetseite der Partei mitteilen: „Wir distanzieren uns von den Tätern, die aus der Anhängerschaft des Fußballvereins Lok Leipzig sowie möglicherweise auch von auswärts kommen und mit der Leipziger NPD nichts zu tun haben.“ Böhm sagt, er habe das geschrieben. „Ich wollte den Schaden von der Partei abwenden und der Vereinsführung von Lok eins auswischen.“ Böhm wird auch nach dem Vorfall von der NPD bezahlt. Er wird von einem Szeneanwalt vertreten, der ihm einen Teil seiner Kosten erlässt. Böhm gibt das NPD-Quartier in der Odermannstraße im Impressum seiner Internetseite an – aus Angst vor Angriffen in seiner Wohnung.

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      Harmlose Mehrheit, radikale Minderheit: Tausende Fans stützen den sportlichen Aufstieg von Lok Leipzig.

      2009 braucht die NPD in Sachsen jede helfende Hand. Die Landtagswahlen stehen an, nur der erneute Einzug ins Parlament würde der klammen Partei staatliche Einnahmen in Millionenhöhe garantieren. 2004 hatte sie in Sachsen 9,2 Prozent der Stimmen erhalten, mehr als die FDP (5,9 Prozent), mehr als die Grünen (5,1), fast so viel wie die SPD (9,8). Allein im ersten Jahr der Legislaturperiode erhielt die NPD-Fraktion 1,3 Millionen Euro an Parteienfinanzierung.

      Enrico Böhm und Marco Remmler sind im Sommer 2009 jeden Tag unterwegs. Plakate kleben, Veranstaltungen sichern, Wahlprogramme und Parteizeitungen verteilen. Am 25. Juli 2009 verrichten sie ihren Dienst vor dem Bruno-Plache-Stadion. Es ist ein Nachmittag, an dem der 1. FC Lok ein Familienfest für seine Fans ausrichtet, mit Buden, Hüpfburg, Bratwurstgrill. Ein Nachmittag, an dem sich Klubchef Steffen Kubald wieder besorgt fragen muss: Wie viele sind es dieses Mal? Was haben sie vor? Draußen vor dem Stadion warten die Nazis, sprechen Besucher an. Kubald läuft über das Gelände, bittet Freunde um Rat, spricht mit Sponsoren. Wie soll sich ein Amateurklub in der fünften Liga verhalten, wenn ihn Rechtsextreme vereinnahmen wollen? Kubald ruft die Polizei. Sicherheitshalber.

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      Geschäftsfeld Fußball: Fans von Lok Leipzig posieren vermummt an einem Bahngleis, schnell verbreitet sich der Aufkleber in der Stadt.

      Draußen vor dem Stadion mit seinen Holztribünen und verrosteten Zäunen freuen sich Remmler und Böhm darüber, wie die Nervosität da drinnen den Frohsinn erstickt. „Das war unser Ziel“, sagt Böhm, „wir sind Gesprächsthema.“ Er trägt eine rote Windjacke, darauf der Schriftzug „Sozial geht nur national“. Hinter ihm steht ein altes Wohnmobil, dunkelgrün. Das Wahlkampfauto der NPD. „Lok ist unsere Zielgruppe“, sagt Remmler.

      „Ich möchte euch hier nicht sehen“,


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