Handbuch Qualitätsmanagement im Krankenhaus. Heidemarie Haeske-Seeberg

Handbuch Qualitätsmanagement im Krankenhaus - Heidemarie Haeske-Seeberg


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jedem Patienten geholfen werden könnte. Nun muss konstatiert werden, dass der tatsächlich durch diese Methode erreichbare Nutzen nicht für alle Patienten erreicht werden kann: einerseits wegen fehlender Ressourcen (nicht vorhandenes Spezialinstrumentarium, ungenügende Ausbildung des Operateurs) oder andererseits wegen Limitationen aus medizinischer Ursache beim Patienten (atypischer Abgang eines Gallenganges, extreme Fettleibigkeit des Patienten). Um diese Gruppen subtrahiert verbleibt eine Anzahl von Patienten, für die mit der endoskopischen Cholezystektomie eine »optimale Behandlung« verbunden wäre. In der Realität wird jedoch wiederum nur für einen Teil der Patienten der »erreichbare Nutzen«, nämlich eine erfolgreiche endoskopische Operation, auch tatsächlich umgesetzt. Ursache hierfür sind Ausführungsfehler, z. B. eine ungenügende OP-Technik mit intraoperativer Blutungskomplikation oder das Unterlassen wichtiger Maßnahmen, beispielsweise die ausreichende Relaxierung des Patienten, die zum Abbruch der endoskopischen und konventionellen Beendigung der Operation führen.

      Bei diesen beiden letztgenannten Gruppen, die auf Fehler in der Ausführung (in unserem Beispiel der OP-Technik) bzw. Fehler durch Unterlassung (in unserem Beispiel ungenügende Relaxierung des Patienten) zurückzuführen sind, soll Qualitätsmanagement ansetzen. Hier soll durch die systematische Verbesserung der Prozesse und Abläufe mit den Methoden des Qualitätsmanagements der Anteil der Patienten vergrößert werden, für den der erreichbare Nutzen auch tatsächlich erreicht wird.

      5.3 Grenzen der Qualitätssicherung in der Medizin

      Die Möglichkeit der Anwendung von Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen ist heute unumstritten. Immer wieder wird jedoch darauf hingewiesen, dass Qualitätsmanagement – wie jedes Werkzeug – seine Grenzen hat und die Erwartungen an die Wirksamkeit und den Nutzen realistisch sein sollten.

      • Die Einmaligkeit des Patienten

      • Die in der Natur des Gegenstandes liegenden Grenzen einer Standardisierung

      • Die Grenzen einer Evaluation von Placebos und der Droge Arzt

      Dabei weist er darauf hin, dass auch er die Möglichkeiten und den Nutzen von Qualitätssicherung in der Medizin erkennt, gleichwohl durch das Aufzeigen der Grenzen die Wirksamkeit untermauern will. Er begründet die von ihm angeführten Grenzen wie folgt:

      1. Die Qualität ärztlicher Leistungen ist für Patienten häufig nicht beurteilbar. Selbst Ärzten einer Nachbardisziplin ist es oft nicht möglich, die Qualität eines Kollegen zu beurteilen. Aus diesem Grund ist der Patient darauf angewiesen, ärztliche Leistungen auf der Basis von Glaubensgütern in Anspruch zu nehmen. Seine Wahl bestimmt nicht selten der Glaube an die Kompetenz und sein Vertrauen in einen bestimmten Arzt.

      2. Für den einzelnen Patienten wird sich der beabsichtigte Heilerfolg durch eine ärztliche Intervention nicht immer zuverlässig einstellen. Es kommt zu unvorhergesehenen Komplikationen oder zu Defektheilungen, ohne dass aufgrund der Komplexität der Krankheit, der Behandlungsmethode oder einfach des Systems Mensch die Vorhersage einer zuverlässigen Heilung im Einzelfall erfolgen kann. Anders als in den klassischen Naturwissenschaften können Gesetzmäßigkeiten nach dem Prinzip »wenn A dann B« häufig nicht angewendet werden. Lediglich mit einer gewissen statistischen Wahrscheinlichkeit gilt dieser Zusammenhang. Für den einzelnen Patienten können also Ergebnisse nicht sicher vorausgesagt werden.

      3. Qualitätssicherung in der Medizin fordert Standardisierung und die Einhaltung struktureller und prozessualer Normen. Dies steht im Widerspruch zu der im ärztlichen Berufsleben erlebten Einmaligkeit der Arzt-Patienten-Beziehung und der Individualität des Patienten. Dieser Konflikt ist im Erleben der Ärzte oft nicht auflösbar. Erkenntnistheoretisch ist deutlich, dass in Teilbereichen der ärztlichen Tätigkeit Gemeinsamkeiten vorhanden sind, die sich in Gesetzmäßigkeiten fassen lassen. Je technischer ein Ablauf ist, desto größer ist die Berechenbarkeit zwischen Ursache und Wirkung. Die Teilbereiche sind jedoch eingebunden in komplexe Systeme, sodass ihr Verlauf und ihr Ergebnis durch die Einmaligkeit der Konstellation nicht sicher vorhergesagt werden kann. Damit ist keine Berechenbarkeit gegeben. Dies wird jedoch von Ärzten nicht immer wahrgenommen.

      4. Standardisierung – so eine Befürchtung – könnte zu einer Verödung und Verarmung ärztlichen Handelns führen. Geschieht die Verallgemeinerung eines Standards so früh, dass er noch nicht als allgemein anerkannt gelten kann, könnte die Therapiefreiheit ungerechtfertigt eingeschränkt und die Weiterentwicklung der Medizin behindert werden.

      5. Qualitätsmanagement zielt auf Effizienzsteigerung ab. Effizienz wird durch den Vergleich zwischen dem Ziel einer Tätigkeit und dem Ausmaß der Zielerreichung ermittelt. In der Medizin ist das Ziel einer ärztlichen Handlung nicht immer exakt bestimmbar. Viel weniger noch kann das Ausmaß der Zielerreichung immer konkret gemessen und angegeben werden. Verwendete Messmodelle geben oft nicht die Komplexität des tatsächlichen Sachverhaltes wieder und sind so mit erheblicher Unsicherheit behaftet.

      6. Im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung hat sich das Leistungsgeschehen auf das Effektive zu beschränken. Placebo-Wirkungen von echten Wirkungen abzugrenzen und die Effektivität von Therapien nachzuweisen ist jedoch häufig aufwendig und nur mit komplexen Studiendesigns zu erreichen. Bei der gegenwärtigen Attraktivität besonderer Therapierichtungen (z. B. Homöopathie, Physiotherapie, Verfahren der anthroposophischen Medizin) in der Patientenschaft ebenso wie in der Ärzteschaft kommt die Bedeutung von Verfahren mit nicht nachgewiesener Wirksamkeit zum Ausdruck.

      7. Medizin ist in vielen Bereichen weit davon entfernt, als exakte Wissenschaft bezeichnet werden zu können. Zahlreiche Handlungsweisen sind nicht wissenschaftlich begründet und beruhen auf Erfahrungen und tradierten Handlungen. In Ihrer Gesamtheit haben diese eine Sozialfunktion, die entscheidend von der »Droge« Arzt abhängt.

      All diese Argumente führen nach Arnold jedoch nicht zu der Erkenntnis, dass Qualitätssicherung oder Qualitätsmanagement im medizinischen Bereich nicht möglich oder nicht sinnvoll sei.

      6 Der Kundenbegriff im Qualitätsmanagement in der stationären Versorgung

      Qualitätsmanagement zeichnet sich durch verschiedene Kerngedanken bzw. Grundkonzepte aus. Im Folgenden sollen die Grundkonzepte Kundenorientierung, Führung und Zielkonsequenz sowie Mitarbeiterorientierung, Management mit Prozessen und Fakten, Kontinuierliches Lernen, Innovation und Verbesserung unter den Besonderheiten des Gesundheitswesens beleuchtet werden. Insbesondere gilt es, das besondere an der Kundenrolle im Gesundheitssystem zu beleuchten und in den Möglichkeiten und Grenzen der Kundenorientierung und der Kunden-Lieferanten-Beziehungen aufzuzeigen.

      6.1 Kundenorientierung

      Das Grundkonzept der Kundenorientierung ist ein zentrales Merkmal des Qualitätsmanagements. Kundenorientierung bedeutet:

      • Dienstleistung verstehen als Prozess, dessen Ziel es ist, den Kunden zufrieden zu stellen, nicht: eine Dienstleistung zu erbringen

      • Leisten, was der Kunde braucht und will,


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