Handbuch Qualitätsmanagement im Krankenhaus. Heidemarie Haeske-Seeberg
Abb. 12: Kunden-Lieferanten-Beziehungen im Gesundheitswesen
6.1.3 Kundenorientierung bei Patienten mit eingeschränkten Selbstbestimmungsmöglichkeiten
Im Idealfall sollte der Kunde einer Dienstleistung die Anforderungen an diese beschreiben können. Im Gesundheitswesen setzt dies voraus, dass ein Patient in der Lage ist, Ausmaß, Auswirkungen und Risiken einer geplanten diagnostischen, therapeutischen oder rehabilitativen Maßnahme zu erfassen, zu beurteilen, Vor- und Nachteile von Alternativen zu bewerten und dann eine kompetente, individuelle Entscheidung zu treffen.
Dazu ist eine Anzahl von Patienten bei geeigneter Aufklärung in der Lage. Es setzt allerdings voraus, dass der Therapeut sich individuell auf die patienteneigenen Möglichkeiten einstellt und seine Aufklärung entsprechend gestaltet. Es gelingt jedoch nicht bei allen Patienten gleichermaßen, obwohl die patientenseitigen Voraussetzungen dazu vorhanden wären. Für die Leistungsanbieter muss dies ein Ansporn sein, geeignete Instrumente zu entwickeln, die unterstützend dabei wirken, den Patienten die Möglichkeiten zur Selbstbestimmung zu geben.
Häufig finden wir im Gesundheitswesen jedoch die Situation, dass Patienten Voraussetzungen mitbringen, die die Selbstbestimmungsmöglichkeiten einschränken. Hierunter fallen z. B.
• Kinder,
• bewusstlose, verwirrte, nicht ansprechbare oder desorientierte Patienten,
• psychisch Kranke, Suchtkranke, geistig Behinderte oder
• Patienten im Maßregelvollzug und in geschlossenen Einrichtungen.
Für diese Patienten übernehmen andere Personen oder Institutionen Entscheidungen. Die kundenorientierte Ausrichtung von Dienstleistungen erfordert hier spezielle Überlegungen der Leistungsanbieter.
• Wer ist der Kunde? Sind es neben dem Patienten selbst die Eltern bzw. Angehörige, das Gesundheitsamt oder die Justizbehörde?
• Bei wem können Kundenbedürfnisse eruiert werden? Ist es möglich, bei Selbsthilfegruppen, ehemaligen Betroffenen oder Angehörigen Auskünfte über Kundenbedürfnisse zu erhalten?
• Wie weit können oder müssen bei Entscheidungen Bedürfnisse des Patienten selbst berücksichtigt werden, wie weit die Bedürfnisse Dritter?
Oft genug wird in diesen Fällen eine Entscheidung in Bezug auf Diagnostik oder Therapie stark vom Leistungserbringer selbst geprägt. Wichtig ist es, nach Möglichkeiten zu suchen, die Qualitätsanforderungen an Dienstleistungen generell sorgfältig zu definieren und die Einbeziehung der Kundenperspektive zu ermöglichen. Für Patientengruppen und einzelne Patienten mit eingeschränkten Selbstbestimmungsmöglichkeiten erfordert dies besondere Kreativität, Sorgfalt und Vorbereitung.
Als Weg in die richtige Richtung ist die Verwendung von Patientenverfügungen zu nennen. Der Wille zur Berücksichtigung von Patientenverfügungen als Instrument der Formulierung von Kundenwünschen und -erwartungen nimmt nach einer Untersuchung der Abteilung Medizinische Soziologie der Universität Ulm in Kooperation mit dem Tumorzentrum des Ulmer Universitätsklinikums zu.108 Die Autoren zeigen auf, dass bei der Erarbeitung einer Patientenverfügung mehrere Voraussetzungen eine herausragende Rolle spielen:
1. Der Patient muss über Hintergründe und Folgen eines solchen Dokumentes genau unterrichtet sein. Es muss seinem Wunsch entsprechen, eine solche Verfügung zu verfassen.
2. Der Arzt muss den Patienten gut kennen.
3. Der Erstellung der Patientenverfügung sollten ein, besser mehrere ausführliche Gespräche mit dem Patienten vorausgehen, in denen eine Aufklärung über die Krankheit, deren Konsequenzen und die Handlungsoptionen besprochen werden.
4. Die Gespräche müssen zu einem Zeitpunkt stattfinden, zu dem der Patient die Möglichkeit hat, bei klarem Verstand und nach ausreichender Auseinandersetzung seine Entscheidungen zu treffen und die Verfügungen formulieren zu können.
Dazu ist es notwendig, dass der Arzt selbst sich rechtzeitig mit der Möglichkeit einer Patientenverfügung beschäftigt und die Patienten, die nicht selbst über diese Möglichkeit informiert sind, auf diese aufmerksam macht und ggf. bei der Erarbeitung behilflich ist.
6.2 Merkmale von Dienstleistungen im Gesundheitsbereich
Einen Überblick über Merkmale von Dienstleistungen und deren qualitätsrelevante Folgen im Gesundheitswesen liefert nachfolgende Tabelle (
Tab. 2: Merkmale von Dienstleistungen und deren qualitätsrelevante Folgen im Gesundheitswesen (Quelle: Schmiemann/Dahlgaard 1995, S. 23b)
Merkmal der DienstleistungQualitätsrelevante Folgen
6.3 Patientenrechte und Patientenunterstützung im Gesundheitswesen
All das, was über die Rolle und die Möglichkeiten der Patienten im Gesundheitswesen beschrieben wurde, legt nahe, dass gesellschaftliche Aktivitäten zur Stärkung der Rolle der Patienten im Gesundheitswesen wichtig sind. Bereits auf der 5. Konferenz der europäischen Minister für Gesundheit 1996 forderten die Minister denn auch die Neubestimmung und Absicherung der Rechte der Patienten im Gesundheitswesen als zentrales Element der neuen sozialen Übereinkunft über Gesundheit.109 Als Aktivitäten schlagen sie vor:
• Förderung der aktiven, ausbalancierten und dialogischen Beteiligung von Patienten(-organisationen) in Gesundheitsfragen.
• Aktive Einbeziehung des Patienten in den Behandlungsprozess durch Information und Aufklärung.
• Respektierung der Rechte des Patienten; Verantwortlichkeit und Transparenz; effektive Vorgehensweise bei Beanstandungen.
• Förderung der Patientenbeteiligung bei der Einführung von Qualitätsstandards der Versorgung.
• Unterstützung der demokratischen Teilnahme an gesundheitspolitischen Entscheidungen.
• Patientenbezogene Qualifizierung der Professionellen.
In dem Maße, in dem im Gesundheitswesen Patientenorientierung greifen soll, ist es notwendig, die Rechte der Patienten für diese transparent und zugänglich zu machen. Ein wichtiger Bereich ist die bessere Ausstattung von Patienten mit den sie betreffenden bzw. von ihnen benötigten oder gewünschten Informationen. Dazu schrieb Stuchlik in seiner Sonderexpertise »Bürgerorientierung des Gesundheitswesens« 1997110, dass es wichtig ist, den medizinischen Laien in seinem Verhältnis zu den wichtigen Akteuren im Gesundheitssystem zu stärken. Dazu sei es erforderlich, dass er sich entsprechend informieren kann, ohne durch schwer überwindbare Barrieren daran gehindert zu werden. Er fordert einen guten Zugang für Patienten zu relevanten Informationen z. B. über das Internet, aber auch über andere gut zugängliche Medien und Organisationen und die patientengerechte Aufbereitung von Informationen.
In Deutschland waren die Rechte von Patienten über lange Zeit in über 90 % durch Urteile oberster Gerichte definiert. Dies war für Patienten nicht übersichtlich in einem besonderen Gesetz ablesbar, sondern vielmehr nur noch Experten zugänglich. In vielen anderen Ländern gab es bereits länger Patientenschutzgesetze oder Patientenchartas, die eine Reihe von wiederkehrenden Regelungsinhalten aufweisen (s. Kasten).
Patientenschutz