Dominic Thiem. Egon Theiner
Scheidung gedroht, ihm aber letztlich zugestanden, machen zu dürfen, was er wolle.
Es ist ein Schritt, den beide nicht bereuen. Wolfgang Thiem ist in der Früh der erste auf dem Platz und am Abend der letzte, der ihn verlässt. Immer konzentriert, immer ernst, immer zuverlässig, sei es im Training, oder bei Turnieren im In- und Ausland, wohin er mit den Spielern der Tennis-Akademie fährt. Und er saugt Wissen auf wie ein Schwamm. Doch der Lohn ist bescheiden, wahrscheinlich geht dieser für den Treibstoff drauf, das der Pendler auf der Strecke Wr. Neustadt – Wien benötigt, vermutet Bresnik. Es liegt hauptsächlich an Mutter Karin, Geld zu verdienen, um die Familie durchzufüttern, und es liegt besonders an ihr, sich um die Erziehung von Dominic zu kümmern.
„Einmal in meinem Leben möchte ich ein Grand-Slam-Turnier gewinnen.“ (aus einem Volksschulheft Dominic Thiems)
Dass der Junge aber weiterhin seinen Vater auf den Tennisplatz begleitet, liegt auf der Hand, und da wie dort, spielt Wolfgang mit seinem Sohn. Er fordert ihn, er arbeitet an dessen Technik, doch er legt immer großen Wert darauf, dass das spielerische Element nicht zu kurz kommt. Bresnik sieht zuweilen zu, ihm gefällt, was er beobachtet – einen, der gut unterrichtet, und einen, der euphorisch lernt.
Es ist nun nicht so, dass Dominic Thiem mit einer besonderen Begabung für den Tennissport auf die Welt gekommen wäre. Er ist nicht größer oder schneller als andere, er kann nicht höher springen, er zeichnet sich auch nicht durch überragendes Ballgefühl aus. Analysiert Bresnik. Aber egal. Wie sagt Albert Einstein? „Genie ist 1 % Talent und 99 % harte Arbeit …“ Diesen Satz unterschreibt der Startrainer: Talent ist folglich überbewertet.
Es kommt, wie es kommen muss. Bresnik beginnt, mit Dominic zu trainieren, und ist fasziniert vom Tatendrang des Buben, der nicht still stehen kann und der immer Schläger und Ball mit sich trägt, sei es auf dem Platz, sei es auf dem Weg in die Kantine. Die harte Arbeit, die Dominic auf sich nimmt, die Aufmerksamkeit mit der er den Anweisungen zuhört und die Ernsthaftigkeit, die er in seine Ausführungen legt, hat ihren Kern im Spieltrieb – und im Willen, sich zu verbessern. Andere Kinder ärgern sich, wenn ihnen ein Schlag nicht gelingt. Dominic behält seine Konzentration, er spielt und spielt und spielt. Stundenlang, und mit dem Feuer der Begeisterung in seinen Augen. Wenn er etwas Neues gelernt hat, auch das erkennt Bresnik, dann verlernt er es nicht mehr, und macht so die Arbeit des Trainers einfacher.
Nur was du gerne machst, machst du auch gut: Die Liebe zum Tennis ist die Basis von Dominic Thiems Karriere.
Wir müssen an dieser Stelle einen Schritt zurück machen und über zwei Personen sprechen, denen Dominic Thiem nach seinem Triumph bei den US Open gedankt hat und die einen wichtigen Anteil an der Entwicklung des Tennisspielers aus Lichtenwörth haben: seine Großeltern.
Auf nationalem Niveau gewinnt er quasi alles, was er in seiner Altersklasse gewinnen kann, er hat Vereinbarungen mit Ausrüstern, erhält Anerkennungspreise. Auch bei Bundesliga-Spielen der Herren zeigt er auf, allerorts wird er als Supertalent und Wunderkind tituliert, das erste Mal berichten Medien über ihn, da geht er noch in die Volksschule. Es mehren sich die Fahrten ins Ausland. Im Sommer 2003 schafft es der noch nicht ganz Zehnjährige Dominic in das Finale von Pula in Kroatien. Er ist der Jüngste im Feld, aber es reißen ihm die Saiten beider Schläger. Dennoch gewinnt er das Match mit einem geborgten Racket. Mit dabei ist Opa Josef Müllner, er ist Coach, Kameramann, Chauffeur, Mädchen für alles. Jahrelang ist dieser mit dem Jungen von Turnier zu Turnier, in Bosnien, in Slowenien, in Kroatien, und so weiter unterwegs. Das Hotel „Atom“ in der Slowakei ist ihm noch in lebhafter Erinnerung, so ein richtiger Ostblock-Bau mit der Ausstrahlung längst vergangener Jahrzehnte. In Kroatien machen die Eltern Dominics ähnliche Erfahrungen. „Da haben wir in Hotels gewohnt, wo Kakerlaken herumgelaufen sind und ich am liebsten zehn Jogginganzüge beim Schlafen angezogen hätte“, erzählte Wolfgang Thiem dem Kurier.
Ein Satz, der alles verändert
Günter Bresnik erkennt, dass da was Großes entsteht, spielt fast täglich zwischen 12 und 14 Uhr mit ihm. Liebe trifft auf Gegenliebe: So sehr Dominic spielen will, so sehr bemüht sich Bresnik, selbst sein Bestes zu geben. Die Eltern lassen den Startrainer gewähren, was dieser sehr zu schätzen weiß. Einem Arzt würde man ja auch nicht reinpfuschen in dessen Arbeit, meint er einmal – der Vergleich entbehrt nicht einer gewissen Tiefe, eigentlich hätte der Wiener und Sohn aus einem Ärztehaushalt ja tatsächlich Arzt werden sollen (und hat an der Universität Wien auch acht Semester Medizin studiert).
Günter Bresnik hat in den Jahren zuvor schon genügend Gelegenheit gehabt, Dominic Thiem zu analysieren. Eine gute Vorhand, eine schlechte Rückhand, eine Spielanlage, die auf den Fehler des Gegners wartet. Fürchterlich anzuschauen eigentlich, aber erfolgreich. „Er gewann sich mit jedem Sieg tiefer in eine Sackgasse“, schreibt er in Die Dominic Thiem Methode. Thiem würde mit 15, 16 Jahren noch erfolgreich sein, doch er war ein Sieger mit Ablaufdatum.
So sehr der Trainer mit dem Schützling zufrieden ist und die hervorragende technische Grundausbildung, die die Eltern Dominic beigebracht haben, honoriert, so sehr ist Bresnik mit der beidhändigen Rückhand unzufrieden. Sie passt nicht in das Gesamtbild, sie ist mehr ein Stoß als ein Schlag. Doch gerade diese Rückhand gilt als des Spielers wichtigster „Schlag“, damit macht er keine Fehler und kann den Ball ein ums andere Mal über das Netz bringen. Als Thiem im Frühjahr 2005 von einem Turnier in Auray in Frankreich zurück nach Hause kehrt – beim wohl wichtigsten europäischen Turnier der U12-Klasse ist er unter die letzten 16 gekommen –, fällt jener Satz, der aus einem „Wunderkind“ tatsächlich einen Weltstar machen wird.
„Kleiner, ab jetzt machen wir’s gescheit.“
Damit soll nun Schluss sein. Bresnik verlangt von Dominic Thiem eine komplette Neuausrichtung seines Spieles. Bälle dürften nicht mehr „geschupft“ werden, auf jede Kugel müsse eingedroschen werden. Mehr noch, die Rückhand darf nicht mehr beidhändig, sondern muss einhändig gespielt werden.
Wenn der (vermeintlich) stärkste Schlag fehlt, dann wird alles schwieriger. Dominic verliert gegen Spieler, die er „vorher“ noch leicht bezwungen hat. Er fährt mit Erstrundenniederlagen im Gepäck und verheultem Gesicht nach Hause. Bei den Trainingseinheiten wird er belächelt und bedauert. Hinter vorgehaltener Hand sagen die so genannten Insider, dass ihn Bresnik kaputt gemacht hat, ruiniert, schade um den Jungen. Sie übersehen das große Ganze. Günter Bresnik geht es nicht darum, dass der „Kleine“, wie er ihn nennt, in den Jugendklassen brilliert, es geht ihm darum, ihn auf das Erwachsenen-Tennis mit all dessen Problemen auf und neben dem Platz vorzubereiten. Da gilt nur: Volle Post! Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat. Irgendwann, mutmaßen jene, die alles besser zu wissen glauben, wird Dominic daran zerbrechen.
Er tut es nicht, und dies aufgrund mehrerer Faktoren. Zuerst einmal weiß der Trainer haargenau, was er tut. Bresnik lässt Thiem Bälle schlagen, mit der Vorhand, mit der Rückhand, die weit im Out landen. Egal, für ihn ist die Wucht wichtig, die Schnelligkeit. Bresnik arbeitet daran, aus Dominic einen ganz anderen Spieler zu machen. Aus einem, der abwartend und zögerlich agiert und auf den Fehler des Gegners wartet, soll einer werden, der auf jeden Ball so draufschlägt, als wäre es der letzte des Spiels, der das Match diktiert. Aus einem, der scheu der Konfrontation aus dem Weg geht und sich bei Netzrollern entschuldigt, weil es ihm tatsächlich leid um den Gegner tut, soll einer werden, der den Kampf aufnimmt und mit Körpersprache und Spielstil den anderen signalisiert: Was du kannst, kann ich besser. Bresnik fordert Thiem heraus, immer wieder, treibt ihn somit aus der eigenen Komfortzone hinaus, verankert ein neues Credo: gewinnen wollen – und nicht: nicht verlieren wollen.
Dass Bresnik den Spieler nach seinen Vorstellungen formen kann, dass er ihn die einhändige Rückhand schlagen sieht, wie es Boris Becker oder Stefan Edberg oder Gaston Gaudio taten, das kann er auch deshalb, weil Wolfgang und Karin Thiem ihm ganz vertrauen. Du weißt, was du tust, wir vertrauen dir, kommunizieren sie ihm. Doch am allerwichtigsten ist, dass Dominic dieses Spiel mitspielt. Er bleibt lern- und wissbegierig,