Diakonie zwischen Vereinslokal und Herrenmahl. Jan Quenstedt
ihrer Entwicklung wohl wechselseitig beeinflusst haben dürften: „Es kann nicht ausgeblieben sein, dass mit den Tradenten verschiedenen Traditionen aufeinander trafen, sich gegenseitig befruchteten oder sich voneinander absetzten.“23 Darum sei eine differenzierte Wahrnehmung der διακον-Gruppe innerhalb ihrer Verwendungszusammenhänge angeraten.
Ähnlich kritisch gegenüber Collins äußert sich Ismo Dunderberg unter dem Titel: „VermittlungVermittlung statt karitativer Tätigkeit? Überlegungen zu John N. Collins’ Interpretation von diakonia“24. Seine Ausführungen lassen eine grundsätzliche Zurückhaltung gegenüber der Innovationskraft der Überlegungen Collins in Bezug und Abgrenzung zur älteren Wissenschaft erkennen. Dunderbergs Darstellungen sind von dem Gedanken getragen, dass ein Text offen für mehr als eine bestimmte Definition sei und sich mehrere Interpretationsmöglichkeiten für den DiakoniebegriffDiakoniebegriff ergeben würden – eine Absoluterklärung einer bestimmten Deutungsmöglichkeit sei also nicht möglich.25 Einleuchtend erscheint Dunderberg hingegen die Erkenntnis, dass die Aufwartung bei Tisch nicht die Grundbedeutung von διακονέιν, sondern nur einen Aspekt, darstelle und auch nicht unbedingt auf „niedrige“ Tätigkeiten verweise. Der DiakonosDiakonos müsse mithin keine untergeordnete bzw. niedriggestellte Person darstellen. Letztlich weist er darauf hin, dass Collins RechtRecht zu geben sei, wenn er festhält, das „diakonein in griechischen Texten für sich nicht auf WohltätigkeitWohltätigkeit und niedrige Aufgaben hindeutet; diese Bedeutungen sind jeweils kontextgebunden.“26 „Diakonie“, verstanden als FürsorgeFürsorge, sei als Teilaspekt dessen anzusehen, was der Begriff in klassischen und biblischen Texten ausdrückt.27
Ein Beitrag von Dierk Starnitzke beschließt die Zeichnung der diakonischen Konturen im Neuen Testament mit Ausführungen zu Begriff und AmtAmt des „DiakonsDiakon“.28 Dabei werden sowohl die 27 Belege für διάκονοςδιάκονος im Neuen Testament untersucht als auch Bezüge zum nachneutestamentlichen Gebrauch des Begriffs hergestellt. Auch Starnitzke setzt sich in seinen Überlegungen mit den Untersuchungen von Collins auseinander. Ähnlich wie Dietzel kommt Starnitzke zu einem differenzierten zweigeteilten Befund: Innerhalb der Evangelien sei eine Wiedergabe des griechischen διάκονοςδιάκονος mit „Diener“ treffend, während der Gedanke der „Vermittlerschaft“, wie ihn Collins verwendet, an dieser Stelle als weniger tragfähig erscheine.29 Demgegenüber könne der Gedanke des „Dazwischengehens“, wie er bei Collins zu finden sei, in den Paulusbriefen plausibel gemacht werden: „Es geht hier nicht primär um eine existenzielle Haltung, sondern um die Beschreibung einer bestimmten Funktion im frühen Christentum. DiakonosDiakonos meint hier konkrete Personen, die sich erstens zwischen verschiedenen Orten hin und her bewegen und zwischen christlichen Gemeindegliedern oder Gemeinden vermitteln und die dabei zweitens den GlaubenGlaube stärken und das Evangelium verkünden.“30 Dadurch sei zwischen den Evangelien und der Briefliteratur eine Bedeutungsverschiebung festzustellen: Neben den Dienstaspekt, wie ihn die Evangelien nahelegen, treten ferner die Aspekte der KommunikationKommunikation, VerkündigungVerkündigung und Seelsorge sowie der Aspekt der Reisetätigkeiten der „VermittlerVermittler“.31 Gegenüber Dunderberg hält Starnitzke kritisch fest, dass es innerhalb des Neuen Testaments und der Apostolischen Väter nur wenige Anhaltspunkte für ein karitatives Engagement der DiakoneDiakon gäbe.32 In dieser Hinsicht stimme er mit Collins überein, der den Einfluss der Inneren MissionMission des 19. Jahrhunderts auf die gängige Begriffsbestimmung von Beyer deutlich gemacht hätte.
1.2.3.3 Kritische Würdigung
Der vorgestellte Sammelband bietet eine Auseinandersetzung mit der neueren diakoniewissenschaftlichen Theoriebildung in Bezug auf eine sachgemäße Begriffsbestimmung der gesamten διακον-Gruppe. Anregend erscheint die Diskussion, inwieweit das Neue Testament tatsächlich sozial-fürsorgliche Tätigkeiten mit der διακον‑Gruppe verbindet. Die Meinungen gehen an dieser Stelle zwischen den Autoren auseinander und regen zu eigenständigem Nachdenken und –forschen hinsichtlich der Frage an, ob der Begriff der „Diakonie“ einen adäquaten Ausdruck für die Bezeichnung sozial-fürsorglichen HandelnsHandeln, sozial-fürsorglich bietet. Damit verbindet sich die Frage, ob überhaupt die Möglichkeit besteht, innerhalb des Neuen Testaments, einen einheitlichen DiakoniebegriffDiakoniebegriff zu gewinnen. In diesem Zusammenhang ist kritisch auf die Evangelien-Fokussierung der abgedruckten Arbeiten hinzuweisen. Entsprechend dieser Kritik wäre zu fragen, ob den einschlägigen Belegen in der Briefliteratur der Vollständigkeit halber ein breiterer Raum hätte gegeben werden können.
1.2.4 „Diakonie. Grundlagen für die soziale Arbeit der Kirche“
Unter dem Titel: „Diakonie. Grundlagen für die soziale Arbeit der Kirche“1 legt Herbert Haslinger seine Einführung in die „Diakonie“ vor. Haslinger lehrt an der Theologischen Fakultät Paderborn und bietet eine katholische Perspektive auf die Fragestellung.
1.2.4.1 Aufbau
Im Gegensatz zur bisher dokumentierten diakoniewissenschaftlichen Fachliteratur weist der Band von Haslinger einen anderen Aufbau auf. Er setzt nicht mit einer theologischen bzw. exegetischen Begründung diakonischen Handelns ein, sondern beginnt seine Ausführungen mit Bestandsaufnahmen. Zuerst legt er dar, wie von „Diakonie“ zu reden sei; darauf folgen drei Verortungen: „Diakonie“ in der Geschichte, der Gesellschaft und in der Kirche. Als fünftes Kapitel erfolgen Aussagen über die „Theologie der Diakonie“, in denen sich Haslinger gegen eine instrumentale Begründung1 der „Diakonie“ richtet und dieser in diesem Kapitel eine dezidiert theologische Begründung entgegen setzt.2 Dabei verdeutlicht folgende Frage sein Leitmotiv: „Zu fragen ist, inwiefern die Diakonie in der Beziehung Gottes zum Menschen gründet und was dies für die Diakonie bedeutet.“3 Diese Frage beantwortet Haslinger durch vier Argumentationswege bzw. Gedankengänge, von denen im Rahmen dieser Ausführungen besonders der dritte und vierte von Bedeutung sind: die sogenannten Neutestamentlichen GroßtexteGroßtexte, diakonische der „Diakonie“ und die Orientierung an der Praxis Jesu. Auf die theologische Begründung folgen drei weitere Kapitel, die sich mit der christlichen Qualität diakonischen Handelns, dem diakonischen Handeln auf Ebene der Beziehung und dem diakonischen Handeln auf der Ebene der Gesellschaft auseinandersetzen.4
1.2.4.2 Inhalt
Haslinger beginnt seine Ausführungen mit der Frage: „Wie von Diakonie reden?“1 Unter dieser Frage diskutiert er den DiakoniebegriffDiakoniebegriff unter Rückgriff auf das neutestamentliche Zeugnis. Er entscheidet sich im Verlauf der Diskussion zur Verwendung des DiakoniebegriffsDiakoniebegriff, der ihm „augenscheinlich […] mehr Anknüpfungspunkte für Gedankengänge zur theologischen Orientierung des gemeinten Sachverhalts und somit mehr Möglichkeiten, seine christliche IdentitätIdentität kenntlich zu machen“2 biete als der CaritasbegriffsCaritas. Mit „Diakonie“ wird bei Haslinger folglich „das christliche Hilfehandeln zugunsten notleidender Menschen“3 bezeichnet. Dabei bezeichne der Begriff „Not“ Situationen, „in denen Menschen unter einer aufgezwungenen Einschränkung von Lebensmöglichkeiten leiden, welche eine erfüllte individuelle LebensführungLebensführung bzw. eine gleichberechtigte Teilnahme am sozialen Geschehen erschwert oder verhindert. Hilfe bezeichnet Akte, in denen jemand seine Handlungsmöglichkeiten einsetzt, um bei anderen Personen einen Mangel an Handlungsmöglichkeiten auszugleichen.“4
Nachfolgend wird Kapitel 5 näher dargestellt, wobei sich die Ausführungen auf die biblischen Dimensionen des Kapitels beschränken, und darin wiederum auf die neutestamentlichen Bezüge. Dennoch sei kurz das Problem der Verhältnisbestimmung zwischen Altem und Neuem Testament umrissen. Unter Rückgriff auf den o.g. Beitrag von Rudolf Weth5 skizziert Haslinger, welche Probleme eine Ausblendung des Alten Testaments innerhalb diakoniewissenschaftlicher Begründungszusammenhänge mit sich bringt. Grundsätzlich illustriere dieses Problem die weithin ungeklärte Frage nach dem Verhältnis zwischen Altem und Neuem Testament, auf die bereits die Bezeichnung der beiden Testamente als „Alt“ und „Neu“ hinweise.6 Demgegenüber betont Haslinger, dass „eine theologische Grundlegung der Diakonie […] im Alten Testament eine unverzichtbare und eigentümliche Quelle [findet][, die] unabhängig vom erkenntnisleitenden Vorstellungsmuster