Diakonie zwischen Vereinslokal und Herrenmahl. Jan Quenstedt

Diakonie zwischen Vereinslokal und Herrenmahl - Jan Quenstedt


Скачать книгу
abschließend benannt sind – zu denken wäre u.a. an die ökonomische Dimension des Begriffes3, die historische Entwicklung diakonischer WerkeDiakonische Werke und Verbände oder an den Einfluss einer christlichen Kultur des Helfens auf sozialstaatliche Gesetzgebungen.4 Jedoch bieten die hier aufgeführten Aspekte die notwendige Grundlage für die weiterführende Auseinandersetzung mit einem Konzept diakonischen Handelns, wie sie in Abschnitt II durchgeführt wird.

      2. Empirische Wissenschaft und „Diakonie“

      Als ein weiterer Versuch der Annäherung an das Verständnis und die Gestalt von „Diakonie“ erscheint eine Darstellung empirischer Studien gewinnbringend, die einen Einblick in das SelbstverständnisSelbstverständnis von hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern diakonischer Einrichtungen bieten.1 Möglich ist eine solche empirische Annäherung an das Themenfeld anhand der aktuellen V. KirchenmitgliedschaftsuntersuchungKirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD (V. KMU), die in einem allgemeineren Fragezusammenhang das sozial-fürsorgliche Handeln von Kirche thematisiert. Zugleich bietet sie eine Außenperspektive, da es sich bei den Befragten nicht um Mitarbeitende der Diakonie handelt.

      2.1 Problemanzeige: Das Selbstverständnis „diakonisch“ Handelnder

      Die bisherigen Darstellungen haben gezeigt, dass die Verwendung des DiakoniebegriffsDiakoniebegriff nicht einheitlich ist und empirisch zuweilen sogar eine gewisse Sprachlosigkeit hinsichtlich des Verständnisses von „Diakonie“ festzustellen ist.1 Leitbilder und PräambelnPräambel diakonischer WerkeDiakonische Werke und Verbände versuchen Abhilfe zu schaffen und Verstehenshilfen und Zielvorgaben in Bezug auf die Begrifflichkeit zu formulieren, deren Umsetzung und Erfolg jedoch nur schwer zu evaluieren ist. So wäre für den diakoniewissenschaftlichen Diskurs eine Studie sinnvoll, die die Motivationslagen und das SelbstverständnisSelbstverständnis von hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern reflektiert und hinterfragt.2 Mit dieser Studie wäre die Möglichkeit gegeben, den Begriff und das Geschehen der „Diakonie“ einer multiperspektivischen Betrachtung zu unterziehen: Einmal aus Sicht der Leitungsebene, die konkrete Vorgaben und Maßstäbe ausarbeitet (in der vorliegenden Studie durchgeführt anhand von LeitbildernLeitbild und PräambelnPräambel). Sodann kann die Sicht der Mitarbeitenden in den Blick kommen, die sich in ihrer täglichen Praxis idealerweise an den Vorgaben der Leitbilder und PräambelnPräambel orientieren. Und letztlich kann „Diakonie“ aus der Sicht der Personen beleuchtet werden, die mit einer bestimmten ErwartungshaltungErwartungshaltung „Diakonie“ in Anspruch nehmen.3 Die Notwendigkeit einer solchen Studie wurde neuerdings auch im Anschluss an das Forschungsprojekt „Merkmale diakonischer Unternehmenskultur in einer pluralen Gesellschaft“4 formuliert.5 Bei einer solchen Studie „wäre es interessant, den Zusammenhang von LeitbildernLeitbild und anderen verschriftlichten Normen in den Einrichtungen mit der wahrgenommenen Unternehmenskultur zu untersuchen. Also das Wechselspiel von Präskription und Deskription.“6 Im Anschluss an dieses Desiderat zeigt der folgende Fragenkatalog auf, welche Perspektiven die Studie aufgreifen könnte:

       Was verstehen die Mitarbeitenden der Diakonie unter dem Begriff der „Diakonie“?

       Welche Bedeutung besitzen die Ansprüche aus Vorgaben und LeitbildernLeitbild für das SelbstverständnisSelbstverständnis der Mitarbeitenden und ihrer täglichen Arbeit?

       Zu welchem Grad identifizieren sich die Mitarbeitenden mit den Zielen, Ansprüchen und Grundlagen der Leitbilder und PräambelnPräambel?

       Welche MotivationslageMotivationslage führt zu einer Tätigkeit im sozialen Sektor? Könnten z.B. die Ausführungen Beyers die Bedeutung des Aspekts der LebenshingabeLebenshingabe bzw. der Ausführung eines ganzen OpfersOpfer hervorheben?7 Oder ist der Gegenpol plausibler: Ist die Tätigkeit im sozialen Sektor mit einer extrinsischen MotivationMotivation zu verbinden, durch die sich die Mitarbeitenden als Dienstleisterinnen bzw. Dienstleister verstehen, die für die Nächste bzw. den Nächsten sorgen, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen?8

       Worin sehen die Mitarbeitenden der Diakonie das Surplus christlich geprägten Hilfehandelns gegenüber dem Hilfehandeln anderer Trägerinnen und Trägern sozial-fürsorglicher Arbeit? Wie unterscheidet sich aus ihrer Sicht die Diakonie [die Innere Mission/die CaritasCaritas etc.] von der Volkssolidarität [der AWO/dem DRK etc.]?

       Sind die Mitarbeitenden Kirchenglieder bzw. in einer Kirchgemeinde aktiv?

       Besteht eine Verbindung zwischen dem kirchlichen Leben innerhalb einer Gemeinde und dem sozial-fürsorglichen Handeln der Mitarbeitenden in der Diakonie?

       Wird der GottesdienstGottesdienst als Mittelpunkt gemeindlichen Lebens verstanden und motiviert er zu diakonischem Handeln?9

      Die angeführten Überlegungen und Fragen sind exemplarisch für die Konzeption einer entsprechenden Studie zu verstehen und dürfen nicht als abgeschlossen angesehen werden. Vielmehr soll deutlich werden, welche Fragen sich aus den in dieser Studie durchgeführten Annäherungsversuchen ergeben, die einer empirischen Evaluation bedürften. Ein empirischer Blick auf die Motivationslagen von Mitarbeitenden bietet nicht zuletzt die Möglichkeit, sowohl Überforderung als auch Enttäuschungen vorzubeugen – sowohl seitens der Mitarbeitenden als auch seitens der Leitungsebene.

      2.2 V. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD

      Im März 2014 erschien die Auswertung der V. KirchenmitgliedschaftsuntersuchungKirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD. Unter dem Titel „Engagement und Indifferenz – Kirchenmitgliedschaft als soziale Praxis“ werden die Ergebnisse der Befragung innerhalb von vier Themenbereichen ausgewertet. Die Untersuchung bietet repräsentative Ergebnisse für Befragte im Alter von über 14 Jahren, die entweder MitgliederMitglied einer evangelischen Landeskirche sind oder aber konfessionslos und noch nie einer Religionsgemeinschaft angehörten bzw. Mitglied einer evangelischen Landeskirche waren. Die Repräsentativität wird durch die Befragung von 3027 Personen erzielt.1 Für die vorliegende Studie sind die Bereiche drei und vier von besonderem Interesse: „Entwicklungen des evangelischen Profils“ und „Protestantische Potenziale in der Zivilgesellschaft“.2 Die genannten Bereiche bieten einen Einblick in die ErwartungshaltungErwartungshaltung von Kirchengliedern in Bezug auf die Gestalt von und die Erwartungen an Kirche. In diesem Kontext wird auch „Diakonie“ thematisiert. Weiterhin wird unter dem Begriff des „SozialkapitalsSozialkapital“ deutlich, inwieweit, in welchen Bereichen und mit welcher MotivationMotivation sich Christinnen und Christen in der Gesellschaft engagieren.

      Zunächst ist deutlich zu machen, dass das Themenfeld „Diakonie“ in verschiedenen Kontexten Beachtung findet und Studienteilnehmende daraufhin befragt werden. Konkretere Fragestellungen zum diakonischen Handeln der Kirche formuliert die Studie jedoch nicht.3 „Diakonie“ kommt unter den Stichworten „Verbundenheit, Mitgliedschaft und Erwartungen – Die Evangelischen und ihre Kirche“ in den Fokus.4 Unter dieser Überschrift wird eruiert, aus welchen Gründen Menschen MitgliederMitglied der evangelischen Kirche sind. Die Gründe und Antwortmöglichkeiten sind vielfältig und „Evangelische, die sich ihrer Kirche verbunden fühlen, stimmen vielfältigen Mitgliedschaftsgründen zu. Besonders hohe Zustimmung erfahren dabei kirchliche Begleitung am Lebensende, ethische Werte, welche die evangelische Kirche vertritt, diakonisches Handeln derselben und der christliche GlaubeGlaube.“5 Interessant ist, dass der Fragebogen nicht dezidiert nach diakonischem Handeln bzw. nach der Diakonie fragt, sondern allgemein die Antwortmöglichkeit „Ich bin in der Kirche, weil sie etwas für Arme, Kranke und Bedürftige tut“6 vorgab.7 Diese Antwortmöglichkeit fand unter der Gruppe der mit der evangelischen Kirche „verbundenen und nicht austrittsbereiten“ Kirchenglieder eine starke Zustimmung. Für „kaum oder nicht“ kirchenverbundene Kirchenglieder spielt die genannte Antwortmöglichkeit hingegen eine geringe bis untergeordnete Rolle. Für diese beiden Gruppen spielen eher der Gedanke einer christlichen BestattungBestattung und der Tradition (Kirchengliedsein, weil es die Eltern auch waren bzw. weil es sich so gehört) eine signifikante Rolle. Keine Ablehnung sondern vielfach Zustimmung findet bei allen befragten Gruppen die Frage nach der kirchlichen Betreuung von Armen, Kranken und Bedürftigen. Die mit der Kirche verbundenen MitgliederMitglied stimmten dieser Frage überwiegend stark zu. Annähernd gleiche Zustimmung wie Ablehnung


Скачать книгу