Diakonie zwischen Vereinslokal und Herrenmahl. Jan Quenstedt

Diakonie zwischen Vereinslokal und Herrenmahl - Jan Quenstedt


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in der Gemeinde und dem AmtAmt des Dienens selbst.“18

      Beyer erwähnt auch das AmtAmt der weiblichen Diakonisse (Röm 16,1Röm 16,1). Offen bleibe, ob der Begriff in diesem Kontext als feste Bezeichnung eines AmtsAmt oder als Kennzeichen der Dienste jener Frau verwendet wurde. Dennoch ist sich Beyer sicher, „daß sich frühzeitig ein Stand weiblicher Dienerinnen in der Gemeinde herausgebildet hat.“19

      3.1.2 Kritische Würdigung

      Nach Beyer hat der christliche DiakoniebegriffDiakoniebegriff eine Fülle an Bedeutungen, die nur schwerlich unter einen Oberbegriff zu bringen sind. Jedoch wird deutlich, dass sich die so bezeichneten Tätigkeiten zumeist im Raum der Gemeinde vollziehen, dort ihren Sitz im Leben haben und der Begriff mehr bezeichnet als nur den TischdienstTischdienst. Diese Tätigkeiten dienen vielmehr dem Aufbau der Gemeinde. Offen bleibt, ob diesen Tätigkeiten damit eine gewisse Exklusivität anhaftet, da die Adressatinnen und Adressaten Gemeindeglieder sind. Im Gegensatz zur paganen Umwelt erhalte der Begriff zudem durch die Qualifizierung und die Orientierung am Leben Jesu eine besondere Qualität. Er werde zur Bezeichnung eines OpferdienstesOpferdienst, wie Beyer unter Rückgriff auf Mk 10,43–45Mk 10,43–45 bzw. Mt 20,26–28Mt 20,26–28 festhält. „Diakonie“ ist damit als OpferdienstOpferdienst zu verstehen, weil der Dienst für die Nächste bzw. den Nächsten das gesamte Leben in Anspruch nehme und fordere. Orientierung erhalte dieses Verhalten durch die Ausrichtung an dem und der NachahmungNachahmung des Lebens Jesu Christi. Damit bekomme das Dienen eine neue Qualität: Entgegen der vermeintlichen Abqualifizierung des Dienens als unwürdige Arbeit erhalte das Dienen unter christlichen Vorzeichen seine WürdeWürde durch die Ausrichtung auf Jesus Christus, der Ziel und Empfänger aller „Diakonie“ sei. Genau genommen enthalte diese Begriffsbestimmung aber eine noch weitergehende Konsequenz als die paganen Begriffe für das Dienen: Es handle sich dabei um die notwendige SelbstaufgabeSelbstaufgabe des Dienenden, der nur dadurch zur „richtigen“ Dienerin bzw. zum „richtigen“ Diener und Diakon bzw. zur Diakonin werden könne. Das eigene „Ich“ müsse gänzlich im Dienen aufgehen bzw. dahinter zurücktreten. Insofern sei christliche „Diakonie“ nicht frei von Vorbedingungen, sondern verlange einen entsprechenden LebenswandelLebenswandel, der den Geringsten unter den Mitmenschen ähnlich werde. Darüber hinaus wird deutlich, dass der Begriff innerhalb der neutestamentlichen Literatur eine Vielzahl an Bedeutungen besitzt und nicht allein auf sozial-fürsorgliches HandelnHandeln, sozial-fürsorglich zu begrenzen ist. Aus den vorliegenden Wörterbucheinträgen wird also ersichtlich, dass sich die Verwendung des DiakoniebegriffsDiakoniebegriff nicht allein in der Bezeichnung von diesem Bereich zugehörigen Tätigkeiten erschöpfen kann.

      Kritisch zu hinterfragen ist – neben dem fragwürdigen Gebrauch des Begriffs „Spätjudentum“ – die negative Zeichnung des Dienstgedankens im Judentum, dessen MotivationMotivation nach Beyer lediglich im Vollbringen guter Taten zur Rechtfertigung vor Gott zu sehen sei. Schwierigkeiten ergeben sich dabei aus einer fehlenden Quellenangabe und einer ebenfalls fehlenden hermeneutischen Grundlegung. Ebenso kritisch anzufragen ist die von Beyer festgestellte Bereinigung dieser angeblichen negativen Motivation durch Jesus.1 Weiterhin ist auch das Motiv der persönlichen SelbsthingabeSelbsthingabe zu hinterfragen, zumal persönliche SelbsthingabeSelbsthingabe in der NachfolgeNachfolge Jesu limitiert und in ihrer Zielrichtung von der des Lebens Jesu verschieden ist, wie später noch dargestellt werden wird.2

      Im Gespräch mit den Ausführungen Beyers ergeben sich mehrere Aspekte, die gleichermaßen eine Relevanz für die exegetischen und diakoniewissenschaftlichen Fragestellungen besitzen. Im Einzelnen sei auf folgende Anfrage verwiesen: Wenn die von Beyer herausgestellte (und zu kritisierende) SelbsthingabeSelbsthingabe eines diakonisch Handelnden eine evidente Bedeutung für den DiakoniebegriffDiakoniebegriff besitze, ist zu fragen, warum dieser keine Relevanz in aktuellen Verlautbarungen diakonischer WerkeDiakonische Werke und Verbände zukommt. Zumindest für die durchgeführte exemplarische Bestandsaufnahme aus aktuellen Texten der Diakonie ist ein negativer Befund festzuhalten: Das Motiv der persönlichen SelbsthingabeSelbsthingabe erfährt keine Würdigung innerhalb aktueller Verlautbarungen. Welche Verbindung besteht also zwischen exegetischer Wissenschaft und den Verlautbarungen der Diakonie bzw. der DiakoniewissenschaftDiakoniewissenschaft?

      Zugleich ist die Frage zu stellen, ob Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Diakonie ihre Arbeit selbst als einen solchen Dienst der SelbsthingabeSelbsthingabe verstehen bzw. verstehen können. In diesem Zusammenhang drängt sich ferner die Frage auf, ob der Gedanke der SelbsthingabeSelbsthingabe überhaupt eine praktische Plausibilität besitzt und besitzen kann, wenn zunehmend Menschen in der Diakonie arbeiten, die keinen oder nur einen marginalen Bezug zum christlichen GlaubenGlaube besitzen. Liegt hierin die Ursache für den negativen Befund, dass das Motiv der SelbsthingabeSelbsthingabe keine Relevanz in den Texten der Diakonie besitzt? Letztlich stellt sich damit die Frage nach der MotivationMotivation für die Arbeit in der Diakonie und es schließt sich die Frage nach einer biblischen Begründung diakonischer Arbeit an, die u.U. weitere Perikopen einschließen muss als allein die Belegstellen für die skizzierte Wortgruppe.

      3.2 John N. Collins

      1990 erschien die Monographie „Diakonia. Re-interpreting the Ancient Sources“ des Theologen John N. Collins. Diese geht zurück auf eine bereits in den 1970er Jahren verfasste Qualifikationsarbeit von Collins, die aus diversen Gründen erst einige Jahre später zur Veröffentlichung gelangte. Collins eruiert in seiner Arbeit im Gegensatz zu Beyer eine andere Begriffsbestimmung, bzw. stellt anhand seiner Überlegungen die Genese der Wortverwendung und des Wortverständnisses anders dar.

      3.2.1 Darstellung

      Ausgangspunkt der Ausführungen Collins ist die Beobachtung, dass διακονέω und seine Derivate im englischsprachigen Raum gemeinhin mit Begriffen aus dem „ministry“-Wortfeld übersetzt worden seien, aktuelle Bibelübersetzungen demgegenüber aber Begriffe aus dem Wortfeld um „service“ zur Übersetzung heranziehen würden. Ähnliche Tendenzen seien in anderen europäischen Sprachen festzuhalten.1 Daraus sei abzuleiten, dass dem Begriff und seinem Gebrauch eine gewisse Ungenauigkeit zu attestieren sei, die Collins zu der Grundfrage führe, wie die Differenzen zwischen der „Diakonie“ einer Ordinierten bzw. eines Ordinierten und der „Diakonie“ der Gemeinde zu beschreiben seien. Als Begründung für die Rede vom „Dienst“ in Bezug auf das griechische Wortfeld werde oft auf Mk 10,45Mk 10,45 Bezug genommen. Diese Perikope habe vielfältige Deutungen evoziert, sodass für eine genauere Analyse von Mk 10,45Mk 10,45 zunächst eine generelle Untersuchung des genannten Wortfeldes vorzunehmen sei. Dem wiederum vorgeschaltet ist bei Collins eine kurze Nachzeichnung der Genese des heute im deutschsprachigen Raum vorherrschenden DiakoniebegriffsDiakoniebegriff, wie er insbesondere durch Beyer geprägt sei. In Fortführung der Ausführungen Beyers sei „diakonia“ als spezifisch christliches Konzept etabliert worden: „As a result ‚diakonia‘ is now widely accepted as a finished product of modern reflection on the linguistic data of the New Testament representing what Jesus was and did, how disciples were releated to him and to each other, and both the scope and style of the Christian community’s responsibilities.“2

      Beyer hatte Mk 10,45Mk 10,45 eine große Bedeutung für die theologisch-inhaltliche Füllung des DiakoniebegriffsDiakoniebegriff zugeschrieben: „διακονεῖν [ist] hier auch nicht nur zusammenfassender Ausdruck aller helfenden LiebestätigkeitLiebestätigkeit am Nächsten […], sondern als Vollzug eines ganzen OpfersOpfer, als Hingabe des LebensLebenshingabe verstanden […], die ihrerseits Inbegriff des Dienens, des Für-die-Anderen-da-seins im Leben und im Sterben ist. Damit erreicht der Begriff διακονεῖν seine letzte theologische Tiefe.“3 Mit dieser Aussage wird deutlich, dass „Diakonie“ in der Lesart Beyers mehr umfasst als karitative Tätigkeiten und TischdienstTischdienst: Es sei ein umfassendes, das ganze Leben ergreifendes Geschehen, das christologisch begründet werde. Dagegen hält Collins fest, dass nicht von einer ausschließlich christlichen Bedeutung des Verbums auszugehen sei. Auch werde es an keiner Stelle in der christlichen und paganen Literatur zur Beschreibung von FürsorgeFürsorge oder niedrigen Diensten verwendet. Lediglich in 1Clem 40,51Clem 40,51. Clemensbrief werde singulär ein liturgischer Dienst damit beschrieben.4 Auch den Gedanken einer Art christlicher


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