Machtspieler. Ronny Blaschke

Machtspieler - Ronny Blaschke


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oder Gesundheitsförderung. Kann das dazu führen, dass die Skepsis hierzulande gegenüber Sportgroßereignissen wieder sinkt? Spannend ist auch die Frage, ob sich weitere Regierungen unter die Machtspieler im Fußball mischen, Aserbaidschan, Kasachstan oder Indien. Wie können Zivilgesellschaften in autoritär regierten Staaten gestärkt werden, ohne sich mit Überlegenheitsdenken in den Vordergrund zu stellen? Dieses Buch soll einen Beitrag zur Debatte leisten. Das Lusail Iconic Stadium in Doha ist in dieser Entwicklung nur eine Zwischenstation.

       Scharfschützen hinter der Tribüne

      Im Vielvölkerstaat Jugoslawien war Nationalismus offiziell verboten, aber in den Fankurven brach er heraus. Hooligans aus Serbien und Kroatien zogen als Freiwillige in den Krieg, im bosnischen Sarajevo lag das Stadion direkt an der Front. Heute verharmlosen viele Fans die Verbrechen. Ob Gesänge, Choreografien oder eine Drohne über dem Rasen: Der Fußball begleitet die ethnische und konfessionelle Identitätssuche. Und manchmal hilft er wie im Kosovo beim Aufbau einer neuen Nation. Erkundungen auf dem Balkan.

      Auf dem Panzer ist nicht viel Platz zum Posieren, die Schlange wird länger und länger. Kinder warten aufgeregt, Väter halten ihre Handykameras bereit. Der Panzer wirkt frisch geputzt, die Vorderseite ist mit Streifen in Rot und Weiß bemalt, dazwischen das Logo von Roter Stern Belgrad, dem bekanntesten Klub Serbiens. Hinter dem Panzer dehnt sich Belgrad bis zum Horizont, aus dem Häusermeer ragt der fast achtzig Meter hohe Dom des Heiligen Sava hervor. Kinder klettern auf den Panzer, sie lachen, hüpfen und schwenken rote Schals. Einige Väter achten darauf, dass auf den Fotos auch die serbisch-orthodoxe Kirche zu sehen ist. Dann ziehen sie weiter zum Fanshop oder zur Imbissbude, viel Zeit bis zum Anpfiff bleibt nicht mehr.

      Im westlichen Nachbarland Kroatien wird der Panzer mit weniger Gelassenheit betrachtet. Der stillgelegte T55 soll Anfang der 1990er Jahre in Vukovar im Einsatz gewesen sein. Die Stadt im Osten Kroatiens war ein Hauptschauplatz während der Jugoslawien-Kriege zwischen Serben und Kroaten. Vukovar wurde von serbischen Einheiten weitgehend zerstört, Hunderte Menschen fielen Hinrichtungen zum Opfer. Roter Stern Belgrad bezeichnet den Panzer dennoch als „Attraktion“. Fotos des Vereins wurden auf sozialen Medien tausendfach verbreitet. Der Panzer soll einige Jahre neben dem Stadion stehen bleiben, Stadtverwaltung und Fußballverbände sehen darin kein Problem, „solange nicht geschossen wird“.

      In der kroatischen Hauptstadt wollten sich Fans von Dinamo Zagreb das nicht gefallen lassen. Im August 2019 postierten sie neben ihrem Stadion „Maksimir“ für kurze Zeit einen gusseisernen Traktor. Auch das ein Symbol: Während des Krieges waren viele Serben aus kroatischen Dörfern auch auf Traktoren über die Grenze geflohen. Familien, Freundeskreise und ganze Gemeinden zerbrachen.

      Der westliche Balkan hatte sich über Jahrhunderte zu einem Flickenteppich der Ethnien, Konfessionen und Traditionen herausgebildet. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts galt das sozialistische Jugoslawien als vielfältigster Staat Europas, mit sechs Teilrepubliken und vier Religionen, mit vier Sprachen und zwei Alphabeten. Doch Wirtschaftskrisen, Spannungen und Nationalismus führten ab den 1980er Jahren zu einer wachsenden Sehnsucht nach ethnisch reinen Einzelstaaten. In den Zerfallskriegen kamen in den 1990er Jahren rund 140.000 Menschen ums Leben, mehr als vier Millionen flohen oder wurden vertrieben.

      Aus der Erbmasse Jugoslawiens gingen sieben Staaten hervor: Slowenien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Serbien, Montenegro, Nordmazedonien und Kosovo. Noch immer gibt es Konflikte um Gebiete, Ideologien und Nationalbewusstsein, auch um Religionen und historische Deutungen. die Bevölkerungen stehen sich in einem komplexen Verhältnis gegenüber: die Serben, überwiegend christlich orthodox. Die Kroaten, mehrheitlich katholisch. Die muslimischen Bosniaken. Und die ethnischen Albaner im Kosovo. Der Fußball verdeutlicht die Identitätssuche besonders. Durch Provokationen zwischen Fans und Spielern, durch feindselige Banner und Graffitis im Stadion, sogar durch Ausschreitungen und die Verherrlichung von Verbrechen. Fußball als Teil des Krieges – auf dem Balkan ist das keine Übertreibung.

      Wer durch die serbische Hauptstadt Belgrad läuft, stößt schnell auf Markierungen von Fußballfans. Graffitis und Aufkleber an Häuserwänden, Brücken, Straßenschildern. Entweder in Schwarz und Weiß von den Anhängern des Vereins Partizan. Oder in Rot und Weiß, den Fans von Crvena Zvezda, Roter Stern. Es sind martialische Motive, die vermummte und kampfbereite Männer zeigen. Auch Jahreszahlen, die an Kluberfolge und historische Ereignisse der serbischen Geschichte erinnern, viele liegen Jahrhunderte zurück, andere erst drei Jahrzehnte. In der Nähe des Stadions von Roter Stern ist eine Gedenktafel den Opfern der Jugoslawienkriege gewidmet, daneben ein orthodoxes Kreuz und das Vereinslogo.

      Es war vor allem der Politiker Slobodan Milošević, der Ende der 1980er Jahre den serbischen Nationalismus schürte und den Zerfall Jugoslawiens mit seiner Kriegsrhetorik vorantrieb. Damals lebte mehr als ein Viertel der acht Millionen ethnischen Serben außerhalb der eigenen Teilrepublik: 1,4 Millionen in Bosnien und Herzegowina, 580.000 in Kroatien, 200.000 im Kosovo. Milošević und seine Gefolgschaft wünschten sich eine Vereinigung aller Serben in einem Staat. Sie schimpften über Wirtschaftsprobleme und betonten die Gegensätze der Ethnien. Bei vielen Serben kam das gut an. Ihre Einkommen waren nur noch halb so viel wert wie 1980. Die Arbeitslosigkeit wuchs, die Schulden im Ausland stiegen, der Warenaustausch zwischen den Teilrepubliken ging zurück. Im Frühjahr 1990 bewerteten neun von zehn Jugoslawen das Verhältnis der Bevölkerungsgruppen als schlecht oder sehr schlecht.

       Hooligans morden und vergewaltigen

      In jener Zeit entwickelten sich die Fanszenen im Fußball zu einer einflussreichen Subkultur, insbesondere in Belgrad. „Im sozialistischen Jugoslawien war Nationalismus offiziell verboten, aber im Stadion brach er heraus“, sagt Krsto Lazarević, der als Korrespondent in Belgrad gearbeitet hat und an einem Podcast über den Balkan mitwirkt. Ab den 1980er Jahren versammelten sich auf den Tribünen von Roter Stern Mitglieder der Mafia, gewaltbereite Männer, die in Raubüberfälle, Schutzgelderpressungen und Morde verwickelt waren. Mit dabei: der mehrfach vorbestrafte Željko Ražnatović, genannt Arkan. Mit seiner Firma durfte Ražnatović Fanartikel von Roter Stern vertreiben, zudem übernahm er die Führung der Delije, der wichtigsten Fanvereinigung.

      Der Publizist Krsto Lazarević analysiert in einem Bericht für die Friedrich-Ebert-Stiftung die politischen Verbindungen der serbischen Fanszene. So brachte Željko Ražnatović die nationalistischen Anhänger in Absprache mit dem Geheimdienst auf die Linie von Milošević. Überdies gründete er im Oktober 1990 die Serbische Freiwilligengarde, eine paramilitärische Truppe, der sich Hunderte Hooligans anschlossen. Ihr Beiname: „Arkans Tiger“. Für den Traum eines großserbischen Reiches zog Ražnatović in den Krieg, zunächst gegen kroatische, dann gegen bosnische Einheiten. Morde, Vergewaltigungen, Vertreibungen: Ražnatović und seine Kämpfer begingen Kriegsverbrechen. „Er hat Patienten aus einem Krankenhaus in Vukovar entführt und umbringen lassen“, berichtet Krsto Lazarević.

      Roter Stern wurde zu einem Symbol des Serbentums. Als der Klub 1991 im italienischen Bari den Europapokal der Landesmeister gewann, schwenkten seine Fans kaum noch jugoslawische Fahnen. Auf dem Siegerfoto zeigten acht Spieler den serbischen Gruß, zwei gestreckte Finger und ein Daumen. Bei Heimspielen in den folgenden Monaten feierten Anhänger von Roter Stern auch den Krieg, einige Söldner präsentierten auf der Tribüne Straßenschilder aus dem zerstörten Vukovar.

      Das Abkommen von Dayton im US-Bundesstaat Ohio ließ die Kriegshandlungen 1995 zwischen Serbien, Kroatien und Bosnien zur Ruhe kommen. Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien mit Sitz in Den Haag sollte bald 161 Personen wegen schwerer Verbrechen anklagen, die Rede war aber auch von 15.000 bis 20.000 Unterstützern in Polizei, Militär oder Verwaltung.

      Viele Täter konnten sich einer Strafverfolgung entziehen. Željko Ražnatović stieg zu einer Heldenfigur auf. Seine Heirat mit der Sängerin Svetlana Veličković, genannt Ceca, wurde 1995 im serbischen Fernsehen übertragen. Ein Jahr später kaufte Ražnatović den Belgrader Verein FK Obilić, benannt nach einem serbischen Ritter aus dem 14. Jahrhundert. Auch mit kriminellen Geschäften führte Ražnatović den Klub 1998 zur Meisterschaft im schon stark geschrumpften Jugoslawien. Wegen eines internationalen Haftbefehls mied er Auswärtsspiele in europäischen Wettbewerben. Im Jahr 2000 wurde


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