Machtspieler. Ronny Blaschke

Machtspieler - Ronny Blaschke


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Lazarević gehört die Verharmlosung von Kriegsverbrechen zur serbischen Fankultur. Ein Beispiel liefert der ehemalige General Ratko Mladić, der für Vertreibungen von Nicht-Serben aus Bosnien-Herzegowina verantwortlich war und für das Massaker von Srebrenica im Juli 1995, bei dem 8.200 bosnische Männer und Jugendliche ermordet wurden. Mladić wurde erst 2011 festgenommen und 2017 wegen Völkermordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Viele Serben sehen in Mladić jedoch einen Verteidiger ihrer Kultur. Nach seiner Verurteilung riefen Ultras von Roter Stern Belgrad seinen Namen. Fans des Rivalen Partizan bedankten sich bei der Mutter von Mladić und präsentierten Bilder jener Blumen, die während der Urteilsverkündung auf seinem Schoß gelegen hatten. Spieler des Klubs FK Kabel aus dem nordserbischen Novi Sad trugen weiße T-Shirts mit dem Konterfei von Mladić.

      Über Jahrhunderte stand der westliche Balkan unter dem Einfluss von Großmächten: Österreich-Ungarn im Norden, das Osmanische Reich im Süden und das russische Zarenreich im Osten. Im Museum von Roter Stern Belgrad fallen neben Pokalen, Medaillen und Triumphbildern die religiösen Motive ins Auge. Gemälde, Figuren und Wappen der Serbisch-Orthodoxen Kirche in kyrillischer Schrift. Nach der Unterdrückung der Konfessionen im sozialistischen Jugoslawien erlebte die Orthodoxie in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten einen Aufbruch. Es sei nicht die einzige Entwicklung, die das Land mit Russland verbinde, sagt der frühere Belgrad-Korrespondent Krsto Lazarević: „Eine Verbundenheit mit Moskau ist ein wichtiges Merkmal des serbischen Nationalismus.“

      Im Stadion von Roter Stern ist der blaue Sponsorenschriftzug von Gazprom allgegenwärtig. Vor dem Heimspiel gegen Zenit Sankt Petersburg 2011 traten Folkloregruppen in serbischen und russischen Trachten auf, Ehrengast Wladimir Putin wurde bejubelt. Für den Krieg um den östlichen Teil der Ukraine meldeten sich ab 2014 auch Freiwillige aus Serbien. Während ihrer Meisterfeier 2014 zeigten Fans von Roter Stern eine Fahne der selbsternannten „Volksrepublik Donezk“, die ostukrainische Stadt war von prorussischen Separatisten besetzt worden. Bei einem anderen Spiel präsentierten sie ein Banner auf Russisch: „Älterer Bruder, sag mir, ob ich mir das nur einbilde oder ob unsere Mutter endlich erwacht. Heil Russland, Ukraine und Serbien.“

       Staatspräsident aus der Fankurve

      Filip Vulović hat für diese Art von Fußball nichts übrig, trotzdem muss er sich damit beschäftigen. Der Student gehört zu den Organisatoren von „Belgrade Pride“, einer Veranstaltungsreihe der LGBT-Gemeinde mit Workshops, Konzerten und einem Straßenumzug, die jährlich im September stattfindet. An einem Sonntagvormittag führt er durch das Infozentrum der Gruppe, das in der Nähe der Belgrader Fußgängerzone liegt. Zwischen Broschüren, Plakaten und Aktivistenfotos informieren Zeittafeln über die Geschichte ihrer Bewegung. Vulović geht nach links an den Anfang und zeigt auf die Abbildung eines blutüberströmten Mannes. „In Belgrad herrschte Ausnahmezustand“, sagt er. „Hass und Gewalt überall, das hat bei uns tiefe Wunden hinterlassen.“

      Vulović spricht von „Belgrade Pride“ 2010. Über Wochen hatten Hooligans, rechtsextreme Politiker und Vertreter der orthodoxen Kirche Stimmung dagegen gemacht. Patriarch Irinej, das kirchliche Oberhaupt, verglich Homosexuelle mit „Kinderschändern“, Priester riefen zum Protest auf. Am Tag des Umzuges strömten rund 6.000 Hooligans aus allen Landesteilen in die Innenstadt von Belgrad. Sie griffen LGBT-Teilnehmer und Polizisten an, 150 Menschen wurden verletzt, der Schaden ging in die Millionen. „Die Stadt sah aus wie eine Kriegszone, die Polizei war völlig überfordert und brachte viele unserer Teilnehmer in ein Waldgebiet“, sagt Filip Vulović. „Ich war damals in der Pubertät und fand allmählich heraus, dass ich auf Männer stehe. Diese Erfahrung hat uns sehr zurückgeworfen.“ In den Jahren danach verbot die serbische Regierung den Pride-Umzug, angeblich zum Schutz für deren Teilnehmer.

      Mirjana Jevtović sieht das anders. Seit fast 15 Jahren beobachtet die investigative Journalistin für das Fernsehmagazin Insajder die Belgrader Fanszenen. „Für manche Politiker übernehmen Hooligans die Drecksarbeit auf der Straße“, sagt sie. „Die Ausschreitungen bei der Pride 2010 ließen die Regierung sehr schlecht dastehen. Von der Opposition kam viel Kritik.“ Vertreter der damaligen Opposition sind inzwischen an der Macht in Serbien: Aleksandar Vučić von der sogenannten Fortschrittpartei wurde 2012 Verteidigungsminister, 2014 Ministerpräsident und 2017 Präsident. Oft betonte Vučić seine frühere Zugehörigkeit zu Delije, der Fanvereinigung von Roter Stern. Seit 2014 ist der Umzug von „Belgrade Pride“ wieder zugelassen. Mit Tausenden Polizisten – und ohne Vorkommnisse.

      Insajder ist in Serbien eines der wenigen Medien, die unabhängig über die Verbrechen der Hooligans berichten, über Tötungsdelikte, Menschenhandel, Drogenverkauf. Das hat Folgen: Fans von Partizan Belgrad erstachen bei einem Heimspiel eine aufblasbare Puppe, die das Redaktionsmitglied Brankica Stanković darstellen sollte, dazu der Ruf: „Du wirst enden wie Ćuruvija.“ Der Journalist Slavko Ć uruvija war 1999 vor seinem Haus erschossen worden. Brankica Stanković erhielt Polizeischutz, doch sie recherchierte weiter, zum Beispiel über Hooligans, die zu Unternehmern und Sicherheitskräften aufstiegen. Und die in den Fankurven Proteste gegen die Regierung verhinderten. „Unsere Recherchen haben leider selten Konsequenzen“, sagt Mirjana Jevtović und listet auf, wer bei Roter Stern Belgrad ein und ausgehe: Polizisten, Anwälte, Beamte. Der Fußball sei ein Symptom für die Korruption und die Machtkonzentration bei Präsident Aleksandar Vučić. Seit 2012 ist Serbien Beitrittskandidat für die Europäische Union, doch ist eine zeitnahe Aufnahme realistisch? Mirjana Jevtović ist skeptisch, auch wegen der schlechten Beziehungen zu den Nachbarstaaten.

       Der Beginn eines modernen Mythos

      Wer auf dem Balkan von Land zu Land reist, merkt schnell, wie tief die Abneigung zwischen den Menschen vielerorts noch verwurzelt ist. In Gesprächen kommt das nicht immer often zum Ausdruck. Und auch die Symbolik ist subtil und hintergründig: in historischen Museen, bei Devotionalien oder an Gedenkorten, zum Beispiel in Zagreb. Das fußballerische Zentrum der kroatischen Hauptstadt ist das Maksimir, das Stadion von Dinamo. Die Außenfassade der Westtribüne ist mit einer Malerei verziert, die schon aus hundert Metern Entfernung zu erkennen ist. Darauf ein reitender Feldherr mit blauer Fahne, daneben das Vereinslogo, im Hintergrund katholische Kirchtürme. Fünfzig Meter weiter steht eine Gedenktafel. Das Motiv zeigt Soldaten mit Gewehren, umgeben von wütenden Fans im Stadion, ergänzt durch einen Schriftzug: „Für alle Dinamo-Fans, für die der Krieg am 13. Mai 1990 im Maksimir begann und mit der Hingabe ihrer Leben auf dem Altar ihrer Heimat Kroatien endete.“

      Die Tafel wurde von den Bad Blue Boys gestiftet, der einflussreichsten Fangruppe bei Dinamo, gegründet 1986, benannt nach dem USFilm Bad Boys mit Sean Penn. Wie viele andere Gruppen trugen die Bad Blue Boys ihr Nationalbewusstsein ins Stadion und bestärkten damit den Auflösungsprozess Jugoslawiens, mit Bannern, Gesängen und Gewalt. Sie unterstützten den Wahlkampf des früheren Offiziers Franjo Tuđman. Dessen antijugoslawische Partei, die Kroatische Demokratische Union, kurz HDZ, gewann im April 1990 die erste freie Parlamentswahl in Kroatien. Wenige Tage später, am 13. Mai, sollte Dinamo Zagreb im Maksimir auf Roter Stern Belgrad treffen. Für den US-Sender CNN war es bald eines von „fünf Fußballspielen, die die Welt veränderten“.

      Schon Stunden vor dem Spiel kam es in der Stadt zu Hassgesängen und Schlägereien. Im Stadion durchbrachen die verfeindeten Fangruppen Zäune, warfen Steine, zerstörten Sitzschalen. Treibende Kraft bei der Delije: Željko Ražnatović, genannt Arkan. Anhänger stürmten den Rasen, etliche Spieler brachten sich in den Kabinen in Sicherheit. Zvonimir Boban blieb zunächst, der damals 21-jährige Spieler von Dinamo trat einen Polizisten, der zuvor einen kroatischen Fan geschlagen hatte. „Für viele Kroaten war Bobans Tritt eine symbolische Auflehnung gegen jugoslawische Institutionen, die oft von Serben dominiert waren“, sagt Dario Brentin, der am Zentrum für Südosteuropastudien der Universität Graz über Nationalismus im Fußball forscht. „In der Herausbildung der kroatischen Nation wird der 13. Mai 1990 als eine Grundsäule betrachtet. Regelmäßig wird durch Aktionen an diesen modernen Mythos erinnert.“

      Viele serbische Medien beschrieben die Ausschreitungen als Komplott der neuen kroatischen Regierung, um den Vielvölkerstaat Jugoslawien weiter zu schwächen. Franjo Tuđman, der erste demokratisch gewählte Präsident Kroatiens, argumentierte auch im Fußball für ein „aufrechtes Kroatentum“ und gegen das „aggressive


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