Machtspieler. Ronny Blaschke

Machtspieler - Ronny Blaschke


Скачать книгу
über den Völkermord in Srebrenica. „Jedes Land auf dem Balkan hat eine eigene Geschichtsschreibung“, so Meskić. „Wir müssen unseren Kindern aber die objektive Wahrheit nahebringen. Und die findet man beim Internationalen Strafgerichtshof.“ Viele seiner Freunde und Bekannten sind für bessere Jobs nach Westeuropa gezogen, er aber will bleiben. „Ich kann nicht jeden Kroaten hassen. Verbrechen werden von Individuen begangen, nicht von ganzen Bevölkerungen.“

       Kosovarische Spieler im Untergrund

      Auf der Recherchereise durch den westlichen Balkan stechen immer wieder Optimisten heraus, Entscheidungsträger mit konstruktiven, fortschrittlichen Ideen, so ist es auch in Pristina, der Hauptstadt des Kosovo. „Wir wünschen uns Normalität ohne Hass. Wir möchten nach vorn schauen“, sagt Eroll Salihu, seit 2006 Generalsekretär des kosovarischen Fußballverbandes. „Aber es wird uns sehr schwer gemacht.“

      Der Kosovo hatte im sozialistischen Jugoslawien eine Sonderrolle gespielt: mit einer Bevölkerungsmehrheit ethnischer Albaner und einer serbischen Minderheit. Diktator Tito verweigerte dem Kosovo den Status einer Teilrepublik, gewährte aber 1974 mehr Autonomie. Die mehrheitlich muslimischen Kosovo-Albaner blieben in Führungspositionen unterrepräsentiert. Gemischte Ehen zwischen albanischen und serbischen Kosovaren gab es kaum. In den 1970er Jahren erreichte das Pro-Kopf-Einkommen im Kosovo nur 38 Prozent des jugoslawischen Durchschnitts. In Bildung, Medizin und Industrie bestand ein Gefälle zu Teilrepubliken wie Slowenien, Kroatien und Serbien. Viele Kosovaren fühlten sich kulturell ohnehin mit dem westlichen Nachbarstaat Albanien verbunden.

      „Wir wollten keine Bürger zweiter Klasse sein. Im Fußball konnten wir zeigen, wer wir sind“, sagt Eroll Salihu. In der Geschäftsstelle des Fußballverbandes führt ein enger Gang zum Büro von Salihu, an den Wänden hängen historische Bilder, auch ein Teamfoto des FC Pristina. Salihu war ein talentierter Jugendspieler, als die Unterdrückung der Kosovo-Albaner Anfang der 1980er Jahre nach dem Tod Titos zunahm. Die serbisch dominierte Polizei ging streng gegen Kosovaren vor, in der jugoslawischen Armee fielen ethnische Albaner einer Mordserie zum Opfer. Allmählich wuchs bei Kosovaren Proteststimmung. Bei einem Spiel des FC Pristina 1983 in Belgrad skandierten Gästefans „E-Ho! E-Ho!”, eine Respektsbekundung für Enver Hoxha, den Diktator Albaniens. Die Polizei schritt im Stadion ein, die jugoslawische Führung forderte eine offizielle Entschuldigung.

      Eroll Salihu gerät ins Schwärmen, wenn er an die Heimspiele des FC Pristina denkt, zwischen 1982 und 1988 in der ersten jugoslawischen Liga, häufig vor mehr als 30.000 Zuschauern. „Durch Siege gegen die Belgrader Vereine haben wir unsere Sorgen für eine Weile vergessen“, sagt Salihu. Das jugoslawische Parlament nahm die Autonomie des Kosovo 1990 zurück, der serbische Präsident Slobodan Milošević ließ Albaner aus staatlichen Ämtern drängen. Ihr Schulwesen wurde stark eingeschränkt, viele ihrer Parteien und Vereine wurden verboten.

      Zahlreiche Albaner bauten im Untergrund Strukturen in Bildung und Gesundheitsversorgung auf. Eroll Salihu war damals Mitte zwanzig und auf dem Höhepunkt seiner sportlichen Leistungsfähigkeit. Als einer der ersten Spieler forderte er die Abspaltung der kosovarischen Klubs vom jugoslawischen Spielbetrieb. In der neuen kosovarischen Liga schoss Salihu am 13. September 1991 das erste Tor, 300 Zuschauer verfolgten das 2:3 Pristinas gegen Flamurtari. Doch Eigenständigkeit wurde von der serbischen Polizei streng beäugt, immer wieder erhielt Salihu Drohungen und wurde verhört. In seinem Buch „Kosovo Football: From Slavery to Freedom“ beschreibt der Sportjournalist Xhavit Kajtazi die Parallelstrukturen im kosovarischen Fußball in den 1990er Jahren, darunter geheim organisierte Turniere mit geschmuggelten Bällen aus dem Ausland. Ein Foto im Buch zeigt Spieler, die sich in einem Fluss waschen müssen.

      Bald darauf trat die UÇK, die „Befreiungsarmee des Kosovo“, mit Anschlägen gegen serbische Ziele in Erscheinung. Hunderttausende Kosovaren verließen ihre Heimat. Eroll Salihu zog nach Deutschland, spielte für den Regionalligisten Wilhelmshaven und erlangte seinen Trainerschein. In den Nachrichten musste er verfolgen, wie die Spannungen 1998 in den Kosovokrieg mündeten, zwischen der serbisch dominierten jugoslawischen Armee und der UÇK. Der erste Nato-Kampfeinsatz überhaupt führte im Juni 1999 zum Rückzug der jugoslawischen Truppen. Mehr als 13.000 Menschen starben.

      Innerhalb weniger Wochen nach dem Krieg kehrten achtzig Prozent der kosovarischen Flüchtlinge zurück in ihre Heimat. Auch Eroll Salihu, dessen Haus in Pristina zerstört worden war, wollte beim Wiederaufbau helfen. „Am Anfang war es sehr schwer, Strukturen im Fußball aufzubauen“, sagt er. „Wir waren international isoliert.“ Der kosovarischen Liga fehlten Sponsoren und Zuschauer. Das bereits 1993 gegründete Nationalteam fand selten Gegner für Testspiele. Und das sollte sich auch nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo 2008 so bald nicht ändern. Bis heute erkennen 114 der 193 UN-Mitgliedsstaaten die Republik Kosovo an – für die serbische Regierung bleibt sie allerdings eine abtrünnige Provinz des eigenen Territoriums.

      Mit einer Handvoll Mitarbeitern warb Eroll Salihu bei FIFA und UEFA für die Anerkennung des kosovarischen Fußballverbandes. Mit Unterstützung von westeuropäischen Nationalverbänden wie dem DFB ließ er Trainer und Schiedsrichter schulen. Ab 2014 gestattete die FIFA der kosovarischen Nationalmannschaft offizielle Freundschaftsspiele, jedoch ohne Landesflagge und Hymne. Die Premiere feierte das Team mit einem Heimspiel gegen Haiti in Mitrovica, im Norden des Landes. Viele Serben empfanden das als Provokation, denn die Stadt ist geteilt: Nördlich des Ibar-Flusses leben fast ausschließlich Serben. Das Stadion in Mitrovica war das landesweit einzige, das einen Minimalstandard erfüllte, benannt übrigens nach Adem Jashari, einem Mitgründer der UÇK. Für das Spiel wurde in der albanisch geprägten Südhälfte Mitrovicas der Unterricht ausgesetzt. Einige Fans verbrannten eine serbische Flagge. Noch heute sind in Mitrovica Nato-Soldaten stationiert, um Zusammenstöße der Volksgruppen zu verhindern.

      Kosovo ist seit 2008 unabhängig, aber noch immer nicht Mitglied der Vereinten Nationen. Für eine Verankerung in der internationalen Gemeinschaft bemüht sich die Regierung um die Aufnahme in globale Organisationen. Kosovo ist Mitglied im Internationalen Währungsfonds, in der Weltbankgruppe oder in der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, nicht aber im Kulturverbund Unesco oder im polizeilichen Netzwerk Interpol. Als Durchbruch feierten die Kosovaren 2014 ihre Aufnahme in das Internationale Olympische Komitee IOC. Ihr Jubel war groß, als die Judoka Majlinda Kelmendi 2016 in Rio die erste Goldmedaille für den jungen Staat gewann. Noch größer war die Begeisterung im Mai 2016: Ihr Fußballverband trat als 55. Mitglied der UEFA und als 210. Mitglied der FIFA bei. Stolz zeigt Eroll Salihu in seinem Büro die gerahmten Aufnahmeurkunden, seine Briefwechsel mit den Verbänden füllen ganze Ordner: „Es gab kein Argument, uns so lange draußen zu halten. Aber jetzt wollen wir aus unserer Chance das Beste machen.“ Kerzengerade sitzt er auf seinem Stuhl.

      Lange waren Salihu und seine Kollegen für den Aufbau ihres Nationalteams in europäischen Ligen unterwegs. Sie sprachen bei Spielern vor, deren Eltern den Kosovo während des Krieges verlassen hatten. Salihu erinnert an ein Länderspiel zwischen der Schweiz und Albanien 2012, neun der 22 Spieler hatten kosovarische Wurzeln, auf Schweizer Seite etwa Xherdan Shaqiri, inzwischen beim FC Liverpool unter Vertrag, und Granit Xhaka, FC Arsenal. Salihu wollte verhindern, dass sich weitere Spieler für die Auswahlteams ihrer zweiten Staatsbürgerschaft entscheiden. So wuchs der kosovarische Kreis potenzieller Nationalspieler auf 180 Profis an. Und die kosovarische Nationalmannschaft erarbeitete sich schnell einen guten Ruf: In der neuen Nations League der UEFA gewann sie ihre Gruppe in der Liga D ungeschlagen. Auch in der Qualifikation für die EM 2020 begeisterte sie gegen Bulgarien, Tschechien oder England. Auf den langen Auswärtsreisen waren manchmal mehr als 1500 Kosovaren dabei, trotz der hohen Hürden für ein Visum innerhalb Europas.

      Fast zwei Jahre hatte die kosovarische Mannschaft Heimspiele in Shkodra bestreiten müssen, im Norden Albaniens. 2018 wurde in Pristina die Sanierung der neuen Heimstätte abgeschlossen, wenige Gehminuten von der Fußgängerzone entfernt. Ein funktionales Stadion, umgeben von einem wuchtigen Theaterbau und hippen Bars. Der kosovarische Fußballverband erhält pro Spiel mitunter 100.000 Ticketanfragen, vergeben kann er weniger als 14.000. Namensgeber des Stadions ist Fadil Vokrri, der langjährige Präsident des Fußballverbandes starb 2018. Vokrri hatte als einziger ethnischer Albaner für das jugoslawische Nationalteam gespielt. „Wir hatten viele gute Spieler“, sagt Eroll Salihu. „Aber


Скачать книгу