Mein Freund Jim. W. E. Norris
so geschah es, dass in einem schönen heissen Juli, als das Pfarrhaus, halb verdeckt von seinen prächtigen Bäumen, die richtige Scenerie für eine Idylle bildete, als die breiten Terrassen von Staines Court in lustigem Blumenschmuck prangten, dessen sich leider niemand erfreute, als die Gärtner selbst, und als sogar unser bescheidenes Heim nach meiner Mutter Ausspruch, die ihren grossen Stolz darein setzte, „wie ein Paradies“ aussah, man zwei junge Wesen, von denen man sagen konnte, dass sie ein hübsches Paar bildeten, fortwährend miteinander zu Pferd oder zu Fuss Wiesen und Wälder durchstreifen sah. Nicht, dass unser starkknochiger, breitschultriger Jim mit seiner gebogenen Nase, seinen ruhigen grauen Augen und dem grossen Mund, der sich bei der geringsten Veranlassung lächelnd von einem Ohr zum andern zog, im eigentlichen Sinn des Wortes ein hübscher Mann gewesen wäre, aber er kam diesem Begriff doch nahe genug, um die von vielen und auch von Ehrwürden Simeon Turner ausgesprochene, wohlmeinende Bemerkung über das junge Paar zu rechtfertigen. Der geistliche Herr war frei von Ehrgeiz; ein Schwiegersohn mit fünftausend Pfund jährlich, einem tadellosen Lebenswandel und einem fügsamen Charakter genügte seinen Ansprüchen.
Ich war zu jener Zeit mit meinen Rechtsstudien beschäftigt und bereitete mich vor, als Anwalt aufzutreten, obwohl ich damals wie heute dies Studium für das widerlichste halte, zu dem ein leidlich intelligenter Mensch sein Gehirn zwingen kann. Eines Nachmittags, als ich mit irgend eines Menschen „Civilrecht“ und „Entscheidungen in Strafsachen“ vor mir dasass, stürmte Jim in meine Zelle, und sich rittlings auf den Tisch schwingend, teilte er mir mit, dass er „der glücklichste Mann im römischen Reich geworden“ oder wenigstens etwas derart.
Wenn man weiss, dass ein Freund fest entschlossen ist, einen dummen Streich zu machen, so ist es die grösste Thorheit von der Welt, ihm dies zu sagen. Ich gab mir also alle Mühe, heiter teilnehmend auszusehen, und fragte: „Hat sie dir ihr Jawort gegeben?“
„Nun — nein“ — antwortete er, „das gerade nicht, aus dem einfachen Grund, weil ich sie gar nicht danach gefragt habe, aber ich glaube, dass alles gut gehen wird. Harry, altes Haus, ich weiss wahrhaftig nicht, womit ich ein solches Glück verdient habe.“
Das wusste ich ebensowenig, bin sogar überzeugt, dass er in seinem Leben nichts gethan, womit er das verdient hätte, und trotzdem ward es sein Los — und schliesslich, man sieht ja manchen Gefangenen ganz vergnügt mit seinen Ketten klirren. „Und weshalb,“ forschte ich, „hast du deine Werbung nicht angebracht?“
Jim lachte. „Ich bin nun einmal ein einfältiger Geselle!“ sagte er. „Es braucht lange, bis ich so weit bin, und so oft ich darauf lossteure, kriegt sie es fertig, mich wieder aus dem Geleise zu bringen. Nun, es liegt ja nicht so viel daran, Eile hat es nicht!“
„Durchaus nicht,“ pflichtete ich eifrig bei, da ich, solang das bindende Wort nicht gesprochen, immer noch einen Schimmer von Hoffnung für ihn hatte. Er aber warf sich in meinen Lehnstuhl, steckte sich eine Cigarre an und erging sich in Rhapsodieen, deren Wiederholung mir und dem Leser gleich langweilig sein würde.
Zweites Kapitel.
In diesem etwas kritischen Zeitpunkt kam es Lord Staines plötzlich in Sinn, Staines Court zu beziehen, und zwar mit der ausgesprochenen Absicht, längere Zeit dort zu verweilen. Seiner Ankunft ging die eines französischen Kochs, eines Haushofmeisters, Kammerdieners und der Himmel weiss, wie vieler andrer dienstbarer Geister voran, denn sein Haushalt war immer weit grossartiger gewesen als seine Mittel. Die Sache versetzte die ganze Nachbarschaft in fieberhafte Aufregung, und jedermann zerbrach sich den Kopf über die Veranlassung zu diesem plötzlichen Entschluss. Dieselbe wurde uns schon am nächsten Morgen klar, und zwar durch Lady Mildred, die so bald als möglich herüber kam, um meine Mutter zu besuchen.
„Papa hat dieses Jahr Unglück gehabt,“ sagte sie in ihrer einfachen geraden Weise. „Erstens unterlag sein Pferd im Derby um eine Kopflänge, wie Sie wissen —“
„Mein liebes Kind,“ unterbrach meine Mutter, „ich fürchte, dass ich von dem Derby gar nichts weiss, als dass es ein Rennen ist, welches alljährlich im Frühjahr stattfindet.“
„Natürlich. Papa dagegen weiss sehr viel davon, und sogar ich verstehe mich ein wenig darauf. ‚Premier‘ hätte gewinnen müssen, wenn nicht Störungen vorgekommen wären, niemand hatte schuld daran, aber meinen armen Papa traf das Unglück, und drauf hat er auch in Ascott kein Glück gehabt. Wir werden also in diesem Sommer nicht reisen, sondern ganz ruhig hier bleiben und fast niemand bei uns sehen.“
„Des einen Leid, dem andern Freud’,“ bemerkte meine Mutter; „für unsre jungen Leute wird es eine grosse Freude sein, dich hier zu haben. Und wer weiss,“ fügte sie nachdenklich hinzu, „ob dies scheinbare Unglück Lord Staines nicht zum Segen gereichen und ihn bestimmen wird, nicht mehr zu wetten, was ich nicht für recht halten kann, denn, siehst du, wenn der eine Geld dabei gewinnt, muss notwendig der andre das seinige verlieren.“
Lady Mildred gab zu, dass dies vermutlich der Fall sein werde, bezweifelte aber, dass Verluste vom Spiel abschrecken. „Was mich betrifft,“ sagte sie, „so bin ich ja am allerliebsten in Staines Court, und in einigen Tagen kommt Bracknell auch, und dann wird es wieder ganz sein, wie in unsrer Kinderzeit, nur fürchte ich, wird er es langweilig finden und nicht lange bleiben.“
„Ach, er findet ja Gesellschaft genug,“ versicherte mein Mütterchen in ihres Herzens Unschuld, „Harry ist hier und Jim Leigh und Hilda Turner.“
Jahr für Jahr und Tag für Tag auf ihrem Sofa liegend, ohne Abwechslung, oder auch nur die Möglichkeit einer solchen, ward es ihr schwer, sich klar zu machen, wie rasch aus Kindern Leute werden. Man sagt, dass der Knabe der Vater des Mannes sei, und sobald man sich irgendwie mit Logik befasst, kommt man unwillkürlich zu dem Schlusse, dass das Mädchen die Mutter der Frau sei. Diese Theorie ist etwas betrübend, aber ich kann meinen eignen Beobachtungen nach kaum umhin, sie zu bestätigen. Ich nehme an, dass, als unser Pädagoge die Prophezeiung aussprach, Bracknell werde seiner Stellung Ehre machen, dies mit jener kleiner Beimischung von harmloser Ironie geschah, die er sich zuweilen erlaubte. Bracknell war nun mit dreiundzwanzig Jahren wahrscheinlich genau das, was unser Professor von ihm erwartet hatte. Er war einer der hübschesten Männer von London; unendlich gesucht und gefeiert von der Gesellschaftsklasse, die man neuerdings „die Leute von Schick“ nennt; seine Liebesaffairen waren zahlreich und nicht sehr in Geheimnis gehüllt, er war Eigentümer oder Mitbesitzer von verschiedenen Rennpferden, die es zu einer gewissen Berühmtheit gebracht hatten, und er stak ziemlich tief in Schulden. Welch hervorragende Eigenschaften er besessen hätte, ausser der, Glück zu haben, wüsste ich nicht zu sagen, aber trotzdem wundere ich mich keineswegs über seine grosse Beliebtheit. Jim, der in ihm von jeher ein leuchtendes Gestirn sah, war überglücklich, als er vernahm, dass er unser stilles Thal eine Zeit lang mit seiner Gegenwart beehren werde, und es fiel mir auf, dass Hildas Augen leuchteten, als ihr die erfreuliche Neuigkeit mitgeteilt wurde.
Wir alle, das heisst die Turners, Jim Leigh und ich, waren am Abend von Bracknells Ankunft in Staines Court zu Tisch, und wir sassen noch nicht fünf Minuten, als es mir ganz klar war, dass Hilda Turner ihn zu fesseln gedachte. Was mir die Sache zweifellos machte, war der Eigensinn, mit welchem sie jedes Gespräch mit ihm ablehnte. Lord Staines, der sie zu Tisch geführt hatte, war anfangs sichtlich gedrückt und geistesabwesend, aber Hilda bot ihre ganze Liebenswürdigkeit auf, und als der Fisch abgetragen wurde, war es ihr schon gelungen, ihren Nachbar in glänzende Laune zu versetzen, denn niemand schätzte Frauenschönheit und Geist höher als Lord Staines. Indessen war es Bracknell, zu dessen Rechten der alte Mr. Turner sass, sehr bald klar geworden, dass sich zu seiner Linken ein reizendes Wesen befinde, und es war äusserst amüsant, das grenzenlose Erstaunen zu beobachten, das sich auf seinem Gesicht zeigte, als ihm nach verschiedenen Versuchen, Hildas Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, die Ahnung aufdämmerte, dass sie die Gesellschaft seines Vaters der seinigen vorziehe. Vermutlich war ihm ein so absonderlicher Geschmack bei einer so anziehenden Persönlichkeit im Leben noch nicht vorgekommen. Vergebens führte er all seine Künste ins Treffen und zwang sie, sich umzudrehen, während er schmachtende Blicke nach ihr sandte, die aber völlig unerwidert blieben, ja sie gab ihm höflich, aber äusserst deutlich zu verstehen, dass seine Unterbrechungen ihr störend seien, antwortete ihm einsilbig mit flüchtigen Worten oder zerstreutem