Mein Freund Jim. W. E. Norris

Mein Freund Jim - W. E. Norris


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zu Pferd, Picknicks, Lawn-Tennis-Partieen, kurz all die üblichen Sommervergnügungen auf dem Lande, wurden in Scene gesetzt, und wenn es nicht zu gleicher Zeit etwas betrübend gewesen wäre, hätte man es sehr amüsant finden können, Bracknell und Hilda dabei zu beobachten. Sie erregte seine Neugier; sie reizte seinen Ehrgeiz, sie schmeichelte seiner Eitelkeit heute, um sie morgen um so tiefer zu verwunden; zuweilen ignorierte sie ihn so beharrlich, wie an jenem ersten Abend; dann konnte sie ihm wieder, wenn Jim den Rücken drehte, einen Blick zuwerfen, der ihn durchbeben musste, trotzdem dass er im Ruf stand, an solche Blicke gewöhnt zu sein. Dabei war sie in ihrem Benehmen gegen den armen Jim gleichmässig reizend und liebenswürdig, vermied es aber, mit ihm allein zu sein auf unsern Spaziergängen, und alles dieses hatte zur Folge, dass sie nach vierzehn Tagen statt einen seufzenden Liebhaber deren zwei zu ihren Füssen sah. Das Kunststück mag nicht so sehr schwierig gewesen sein, aber es wurde mit grosser Geschicklichkeit ausgeführt.

      Der Ausgang der Sache war leicht vorauszusehen, und doch war ich, als die Katastrophe eintrat — denn so muss ich es ja wohl nennen — nicht wenig verblüfft. Mr. Turner setzte mich in Kenntnis davon. Als ich an einem heissen Morgen Staines Court zuschlenderte, sah ich ihn seiner Gartenthüre zueilen; er riss das Thor rasch auf, nahm den Hut ab und fing an, sich die Stirne abzutrocknen. Offenbar bestürmten ihn die verschiedensten Empfindungen, und schon seine ersten Worte bewiesen mir, dass ich recht gesehen.

      „Mein lieber Harry!“ sagte er, „ich bin bestürzt, vollkommen bestürzt. Sagen Sie mir doch, Sie haben ja einen alten Kopf auf Ihren jungen Schultern, sagen Sie doch, ob es Ihnen je auffiel, dass zwischen Lord Bracknell und meiner Tochter Beziehungen bestanden?“

      Ich versetzte, dass ich diesen Eindruck längst gehabt habe.

      „Was Sie sagen!“ rief Mr. Turner. „Du lieber Himmel! Ich versichere Sie, dass ich in meinem Leben nicht so vollständig überrascht worden bin wie gestern abend, als Lord Bracknell zu mir kam und mir mitteilte, dass er um Hilda geworben und ihr Jawort erhalten habe. Ach — Sie sind auch erstaunt, das seh’ ich. Die Sache ist, dass ich ganz andre — hm — andre Erwartungen gehegt hatte — möglicherweise haben Sie dieselben geteilt?“

      Ich bejahte dies kopfnickend, und er fuhr fort:

      „Aufrichtig gesprochen, Harry, mir wäre es lieber gewesen, wenn es anders gekommen wäre. Sogar jetzt noch bin ich nicht gewiss — nun, wir werden ja sehen. Soeben habe ich von Lord Staines ein Billet erhalten, worin er mich ersucht, sofort zu ihm zu kommen, und ich fürchte sehr, dass er nicht gut zu dieser Verlobung sieht. Sie sind ja so ein stiller Beobachter, haben Sie irgend etwas wahrgenommen, was darauf hindeutet, dass er meine geliebte Hilda — dass er sie — hm — freudig als Schwiegertochter begrüssen wird?“

      Ich war nicht im stande, ihn dessen zu vergewissern, und der arme Mann, der so ganz ohne seine Schuld zwischen zwei Mühlsteine geraten zu sein schien, that mir aufrichtig leid. Dass er mit seinem Patronatsherrn ernstliche Schwierigkeiten haben werde, war sicher, und ebenso gewiss, dass er bei seiner Rückkehr mit der Lenkerin seines Hauses und seines Schicksals nicht weniger ernste Kämpfe zu bestehen haben würde. Ich begriff vollständig, dass er mich bat, mit keinem Menschen darüber zu sprechen, und auch wer mit diesem stark betonten „keinem Menschen“ gemeint war, denn ein wohlhabender Gutsbesitzer in der Hand ist zwei Grafen auf dem Dache wert. Nachdem ich ihm das gewünschte Versprechen bereitwillig gegeben hatte, eilte er, sich mit dem Taschentuch fächernd, dem Schloss zu.

      Drittes Kapitel.

      Lord Staines war ein schwacher Mensch, und wie es bei solchen häufig der Fall ist, äusserst leidenschaftlich, wenn sein Zorn einmal entflammt war. Der arme Mr. Turner konnte wahrhaftig nichts dafür, dass Bracknell um ein Haar eine grosse Dummheit begangen hätte, denn, wie männiglich bekannt, besass er über seine Tochter etwa ebensoviel Gewalt, wie über die Kaiserin von China. Immerhin müsste jeder, der den Schein der Macht besitzt, darauf vorbereitet sein, dass er zur Verantwortung gezogen wird, sobald ein Unheil geschieht, und es ist sehr zu beklagen, dass so mancher hohe Würdenträger dieser vortrefflichen Regel nicht häufiger unterworfen wird. Nachdem Lord Staines Hildas nominellen Gebieter in seine Macht bekommen hatte, führte er den unglücklichen Mann in sein Studierzimmer, wo ihm der Kopf gründlich gewaschen wurde. Ich besuchte Se. Ehrwürden absichtlich im Lauf des Nachmittags und fand ihn noch ganz zerschmettert. In seinem ganzen Leben, sagte er jammernd, habe niemand eine solche Sprache gegen ihn geführt, und wenn er sich auch als Christ verpflichtet fühle, Lord Staines zu verzeihen, so fürchte er doch, dass er lange nicht im stande sein werde, zu vergessen.

      Was Bracknell betraf, so wurde er mit einem Floh im Ohr und, wie ich stark vermute, einem Check in der Tasche in den ersten abgehenden Bahnzug gesteckt. Er schrieb an Hilda und stellte sich, soviel ich hörte, als völlig machtlos und gebrochenen Herzens dar. Sein Vater wolle von der Verlobung nichts hören, und da er gänzlich abhängig von demselben sei, sei nichts zu machen. Wenn ich mir’s recht überlege, so muss er ganz zweifellos einen Check bekommen haben. Lord Staines war heftig, allerdings, aber er vergötterte seinen Sohn, der bedeutend mehr Willenskraft besass als er selbst, und wenn Bracknell ernstlich entschlossen gewesen wäre, seine Köchin zu heiraten, so bin ich überzeugt, dass er seinem Vater ein Schnippchen geschlagen und seinen Kopf durchgesetzt hätte. Dies mag auch insgeheim Hildas Auffassung gewesen sein, und ihre Empörung, als sie sich so gleichmütig aufgegeben sah, muss einen hohen Grad erreicht haben, wie ich aus einigen Aeusserungen ihres Vaters schloss.

      Sie würde ihre Enttäuschung leichter verschmerzt haben, und die ganze Geschichte hätte stillschweigend begraben werden können, wenn Lord Staines vernünftig gewesen wäre und reinen Mund gehalten hätte. Allein er war siegestrunken und konnte seinem Mitteilungsbedürfnis nicht Einhalt thun. Dass Lady Mildred es durch ihn erfuhr, war vielleicht nicht zu vermeiden, am Abend des nämlichen Tages aber, als er wieder vollständig guter Laune geworden, machte er sich auf, meine Mutter zu besuchen, und rühmte sich nicht wenig der Leichtigkeit, mit der er diese Narrheit im Keim erstickt habe.

      „Ja, meine liebe Mrs. Maynard,“ versicherte er, „in solchen Fällen nur rasch und entschieden. Die Leute behaupten, ich sei zu nachsichtig gegen Bracknell gewesen, und das ist vielleicht richtig; aber ich glaube, er weiss nun ziemlich genau, dass es eine Grenze gibt, die zu übertreten nicht ratsam für ihn ist. Ich kann mir den Luxus einer bettelarmen Schwiegertochter nicht erlauben — damit Punktum.“

      Meine Mutter erklärte, dass das sehr weltlich und ganz abscheulich sei, und dass Lord Staines sich seines Verfahrens schämen solle, wenn er nichts andres als den Mangel an Vermögen gegen Hilda einzuwenden habe. Er schämte sich jedoch nicht im geringsten, sondern muss sich im Gegenteil überall frei ausgelassen haben über die Vorzüge einer raschen und energischen Handlungsweise, denn nach wenigen Tagen war die ganze Nachbarschaft nicht nur über die Thatsachen auf dem laufenden, sondern erzählte sich auch die üblichen Erweiterungen und Verbesserungen, die sich im Verlauf der Uebermittelung angeheftet hatten.

      Unter den ersten, die von der Geschichte erfuhren, war Jim, der in grosser Erregung zu uns herübergeritten kam, mich zu fragen, ob ich etwas von dieser „infamen Lüge“ gehört habe. Als ich genötigt war, ihm klar zu machen, dass die Sache vielleicht infam, keinenfalls aber erlogen sei, kam ein Moment, wo ich wirklich fürchtete, er könnte sich thätlich an mir vergreifen. Aber er besann sich eines Bessern und sank in einen Stuhl mit einem Ausdruck des Schmerzes und des Vorwurfs in seinem Gesicht, der mir das Herz durchschnitt, als ob ich ihn verdient hätte.

      „Und du wusstest, dass Bracknell sich all die Zeit her über mich lustig machte?“ rief er aus.

      Ausgesprochen hatte ich das nicht, aber recht hatte er. In der ersten Aufwallung schien ihn Bracknells Verräterei mehr zu bekümmern als Hildas Unbeständigkeit, und ich fürchte, ich trug all die wohlgesetzten, weisen Entschuldigungen, die ich für den Missethäter und mich selbst vorbrachte, tauben Ohren vor. Als ich aber, da ich einmal im Zug war, Grossmut zu üben, auch Hilda zu verteidigen anfing, unterbrach er mich sofort.

      „Lass das, Harry! Du meinst es gut, aber du scheinst nicht zu fühlen, dass in deiner Verteidigung Hildas ein Vorwurf für sie liegt, den ich ihr keinen Augenblick mache. Sie hat mir nie irgend ein Versprechen gegeben, und wenn ich mir in den Kopf gesetzt habe, sie möge


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