Mein Freund Jim. W. E. Norris

Mein Freund Jim - W. E. Norris


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nach vollständig befriedigt, und dieses Gefühl wurde grösstenteils, wenn auch nicht ausnahmslos, von den beiderseitigen Freunden und Verwandten geteilt. Der alte Mr. Turner rieb sich seine runden, weissen Hände und erklärte, dass sein Herzenswunsch nun erfüllt sei; Lord Staines war so vergnügt, dass er keine Ruhe hatte, bis er im Pfarrhaus gewesen war und seinem Entzücken Worte geliehen hatte; und wenn meine Mutter auch im stillen ein wenig enttäuscht war, denn Jim war ihr grosser Liebling, so zögerte sie doch nicht, zu versichern, dass alles gut sei und ihnen zum Besten diene. Allerdings hätte sie letzteres auch gesagt und gedacht, wenn ich zum Strick verurteilt worden wäre, denn darin bestand ihr frommer, einfältiger Glaube. Auf gewisse Schriftstellen gestützt, versicherte sie kühn, dass es nicht an uns sei, zu beurteilen, ob dies oder jenes zu gutem oder schlimmem Ende führen werde, und sie stellte rundweg ohne jeden Vorbehalt den Satz auf, dass alles gut sei, so wie es sich eben füge.

      Es ist mir nie möglich gewesen, mich den Anschauungen meines Mütterleins in dieser Hinsicht anzuschliessen, und es war mir einigermassen wohlthuend, in dem allgemeinen Beifallsjubel wenigstens eine einzige Stimme zu hören, die aus einer andern Tonart sang und mit der meinigen übereinstimmte. Es war eine sanfte, kleine Stimme, aber sie klang süss und wurde selten zu irgend welchen lieblosen Bemerkungen über den lieben Nächsten gebraucht. „Weil Sie mich fragen,“ sagte Lady Mildred, „muss ich gestehen, dass ich mich nicht freue, nein, dass ich sogar traurig bin über diese Verlobung. Mir scheint Hilda lange nicht gut genug zu sein für Mr. Leigh.“

      „Das,“ bemerkte ich, „ist ausser Zweifel.“

      „Ja gewiss und ich kann nicht verstehen, wie sie so schnell andern Sinns werden konnte. Natürlich war es ja ganz unmöglich, dass Bracknell sie heiratete, aber die Möglichkeit vorausgesetzt, glaube ich, dass sie ganz gut miteinander fertig geworden wären. Ich habe Bracknell so lieb wie niemand sonst auf der Welt, und ich bin auch nicht gerade sicher, ob sie für ihn gut genug wäre — aber es ist doch ganz anders, als bei Mr. Leigh. Ich glaube, dass Bracknell es sich lange nicht so zu Herzen genommen hätte, wenn er hernach eingesehen haben würde, dass Hilda nicht gerade — nicht ganz das ist, was er sich eingebildet.“

      Dies war haarklein meine Empfindung. Da es aber keinem Menschen im entferntesten einfiel, Lady Mildred oder mich um Rat zu fragen, fanden wir es am geratensten, unsre Weisheit für uns zu behalten, was wir denn auch thaten.

      Von Bracknell hörte ich nichts, und ich glaube auch, dass Jim aus jener Himmelsgegend keinen Glückwunsch empfing; fragen mochte ich nicht danach. Ohne Zweifel hatte er dem alten Freund vergeben, da er nun, wo er sich mehr oder weniger als Sieger fühlte, schon ein übriges in Grossmut leisten konnte. Die Hochzeit wurde für den folgenden Januar anberaumt, und kurz nachdem ich dies vernommen hatte, verliess ich das mütterliche Dach, um meine Advokatenlaufbahn zu beginnen und mir ein Büreau einzurichten, in welchem sich meine juristische Bibliothek heute noch gänzlich unbenutzt vorfindet, was ich mich Freuden bekenne. Denn gerade damals empfing ich die erste praktische Ermunterung zu der litterarischen Thätigkeit, die mir seither das Leben lieb gemacht und mich gelegentlich in den Stand gesetzt hat, mein täglich Brot mit Butter zu geniessen.

      Während des Herbstes und der ersten Wintermonate erhielt mich meine Mutter, welche die reizendsten Briefe schreibt, die je einer menschlichen Feder entflossen, vollständig auf dem Laufenden über alles, was in Cranfield vor sich ging, und diesen Berichten nach verlief der Brautstand regelrecht. Jim richtete Elmhorst von oben bis unten neu ein, wobei ihm die Braut ratend zur Seite stand. Sein Onkel und seine Tante, ein höchst uninteressantes Menschenpaar, mit welchem niemand verkehrte, und dessen Abzug zu bedauern keinem, ausser meiner Mutter, im Schlaf einfiel, hatten sich schon nach Bath aufgemacht, wo sie von nun an zu wohnen gedachten; „und die gute Mildred,“ fügte die Mama hinzu, „benimmt sich bei allem gar zu lieb und reizend. Sie scheint Jims Glück ganz mit zu empfinden und wird, das hoffe ich, eines Tages noch selbst so glücklich werden, wie sie es verdient.“ Ich gestehe, dass mir der tiefere Sinn dieser Lobrede damals entging, obwohl ich ihn bei einiger Erleuchtung leicht hätte durchschauen können.

      Ein paar Tage vor Weihnachten setzte ich mich auf die Eisenbahn, mit dem zweifachen Reisezweck, die Festtage daheim zu verleben und Jims darauf folgender Hochzeit beizuwohnen.

      Im letzten Augenblick, als der Zug sich eben in Bewegung setzen wollte, sprang ein junger, fashionabel aussehender Mann in den Wagen, stolperte über meine Beine, entschuldigte sich und sagte dann: „O, du bist’s, Maynard, wahrhaftig? Fährst hinunter in das alte Loch?“

      Ich erwiderte, dass dies meine Absicht, vermutlich aber nicht die seinige sei — nicht dass ich damals schon das Kommende geahnt hätte, sondern weil ich es alles in allem genommen, für geschmackvoller gehalten hätte, wenn Bracknell gerade während dieser Zeit das Elternhaus gemieden hätte.

      „Natürlich gehe ich nach Staines Court,“ erwiderte er. „Weshalb denn nicht?“

      „Wenn du das nicht selbst weisst, so weiss ich’s auch nicht,“ bemerkte ich.

      „Ach, lieber Freund!“ sagte Bracknell, seine Cigarre ansteckend, „wenn man jedem weiblichen Wesen, in das man einmal verliebt war, aus dem Wege gehen sollte, würde sich das Leben zu einem fortdauernden Versteckensspiel gestalten. Die Sache wäre in der That nicht ausführbar. Wie kommt denn Jim zurecht, das gute alte Kamel? Herrgott! was hat der für ein Dasein vor sich! Das war ein schlimmer Schicksalsschlag für ihn, als mein Alter mir verbot, ihm Fräulein Hilda abzunehmen. Das Mädel wird ihm zu guter Letzt das Herz brechen — das wirst du sehen.“

      „Das deinige scheint sie nicht gebrochen zu haben,“ bemerkte ich.

      Bracknell lächelte, und es fiel mir auf, dass er ein wenig mit den Augen zwinkerte. „Die Weiber sind alle gleich,“ sagte er, „und wem um ihretwillen das Herz bräche, der müsste ein Narr sein. Jim ist einer!“

      „Wenn zu ritterlich denken für die Welt, in der wir uns umtreiben, ein Narr sein heisst, so ist er sicherlich einer,“ gab ich zu, und ich weiss selbst nicht, was mich trieb, hinzuzusetzen: „Ich hoffe, Bracknell, du wirst immer so loyal gegen ihn sein, wie er es gegen dich ist.“

      Es war das eine ziemlich thörichte Aeusserung und vielleicht auch eine etwas unverschämte, aber Bracknell schien es nicht übelzunehmen. Er sah mich betroffen an und sagte dann: „Aha, es hat ihm wohl nicht behagt, dass ich ihn ausgestochen? War auch hart für ihn, das gebe ich zu, aber zum Kuckuck, was konnte denn ich dafür?“

      Da es mir nicht gelang, eine klare Antwort auf diese Frage zu finden, erwiderte ich nur: „Nun, das ist ja jetzt vorüber, und je weniger man noch daran denkt, um so besser.“

      Auf diesen Wink nahm mein Gefährte ein andres Thema auf und erzählte mir von einem Rennen, an dem er kürzlich teilgenommen, welcher Stoff dann mit einigen Unterbrechungen bis ans Ende der Fahrt vorhielt.

      Die erste Begegnung zwischen Bracknell und Hilda hätte ich gern mit angesehen, aber diese Freude ward mir nicht zu teil. Am Christfest ging ich zu Tisch nach Staines Court — meine Mutter die nicht im stande war, ihr Zimmer zu verlassen, hatte darauf bestanden, dass ich die Einladung annehmen müsse. Das Haus war voll von Verwandten Lord Staines’, lauter Henleys und Beauchamps, die mir völlig unbekannt waren; als ich aber in den Salon trat, sah ich auf den ersten Blick eine kleine Gruppe, die aus Hilda, Lady Mildred, Bracknell und Jim bestand. Sie plauderten aufs freundschaftlichste zusammen und hatten sich offenbar entschlossen, das Vergangene vergangen sein zu lassen. Jim nickte mir zu, und gleich darauf flüsterte er mir, mich beiseite ziehend, ins Ohr: „Ist Bracknell nicht ein herzensguter Kerl? Ich glaube, dass auf der weiten Welt kein andrer Mensch die Sache so aufgefasst hätte, wie er, und nun kommt er noch ganz extra hierher, um uns zu zeigen, dass er keinen Groll hegt.“

      Möglich, dass Bracknell in dieser menschenfreundlichen Absicht nach Staines Court gekommen war, aber mir fiel es etwas schwer, daran zu glauben. Erstens einmal hatte er wohl kaum vorausgesetzt, dass irgend jemand ihn im Verdacht habe, dumpf zu grollen, und zweitens hätte ein Brief genügt, solche Befürchtungen zu beseitigen. Aber da war er, dies war unzweifelhaft, und plauderte mit Hilda so unbefangen wie je, und sogar wenn er Schlimmes im Schilde führte, was jedoch wirklich nicht wahrscheinlich war, so wäre Jim sicher nicht davon zu überzeugen gewesen.

      Miss


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