Geballte Ladung Liebe - Katharina Wolf Sammelband. Katharina Wolf
hinten stand ein kleiner, alter, knallroter VW Golf und an der Fahrertür lehnte Jan.
Mein Jan.
Er sah mich und hob grüßend die rechte Hand. Bei seinem Anblick konnte ich einen Seufzer nicht unterdrücken. Verdammt, sah der heute wieder gut aus. Kriminell gut. Sein volles, braunes Haar war wild gestylt und er trug eine blaue Jeans sowie passend dazu einen dunkelblauen Hoodie. Er war also nach der Arbeit noch mal zu Hause gewesen. Meist ging er in Hemd und Sakko ins Büro. Aber der lässige Jan gefiel mir um einiges besser. Ich rannte die wenigen Meter zu ihm und fiel ihm um den Hals.
»Du siehst gut aus«, nuschelte ich in sein Haar.
»Danke, du auch. Immer.« Ich grinste und dann küssten wir uns.
»Nehmt euch ein Zimmer!« Einige meiner Klassenkameraden verließen soeben das Gebäude und pfiffen und johlten uns zu. Ich lief sofort rot an.
»Sind doch alle nur neidisch«, flüsterte mir Jan mit dunkler, verführerischer Stimme ins Ohr. Ich erschauderte. »Sollen sie ruhig sehen, wie glücklich wir sind.«
»Charmeur!«, gab ich etwas beschämt zurück und kniff ihm in die Wange. Er lachte daraufhin schallend.
»Ist doch wahr!«
Wir fuhren zu Jan nach Hause. Er wohnte mit seiner Mutter und seinem jüngeren Bruder Sebastian zusammen. Der Vater der beiden war irgendwann abgehauen. Jan hatte mir nie viel darüber erzählt. Das war wohl ein Abschnitt seines Lebens, an den er nicht allzu gerne zurückdachte. Angeblich gab es damals ein großes Drama und es entbrannte ein hässlicher Rosenkrieg. Meines Wissens war das Ergebnis ein Nervenzusammenbruch seiner Mutter und eine blonde, dralle Mittzwanzigerin, mit der sein Vater in eine andere Stadt gezogen war. Seitdem gab es keinen Kontakt mehr zu ihm. Jan ließ es sich selten anmerken, wie sehr ihn die Ablehnung seines Vaters verletzt hatte. Sebastian war da sensibler und konnte es, im Gegensatz zu Jan, nicht verbergen. Gerade in der Anfangszeit hatte er sehr unter der Trennung gelitten. Sie waren ja beide gerade so Teenageralter gewesen. Da hatte man eigentlich genug Probleme mit sich selbst und konnte auf so ein Drama gut und gerne verzichten. Momentan war das Thema Vater ein rotes Tuch. Es wurde totgeschwiegen. Ich hielt mich natürlich an diese stumm getroffene Abmachung.
Jan öffnete die Eingangstür. Alles war still und dunkel.
»Wohl keiner da.«
Er schaltete das Licht an und ich folgte ihm in die Küche. Dort setzte ich mich erst mal an den Esstisch und atmete tief durch.
»Müde?«, fragte er.
»Es geht. Ein wenig.«
»War es so anstrengend heute? Stressige Lehrer?« Jan schaute in den Kühlschrank und beförderte nacheinander Paprika, Tomaten und noch einige andere Zutaten auf die Küchentheke.
»Nö, das ist ja gerade das Problem. Langweilig ohne Ende. Und bei dir so? Hattest du früher Feierabend?«
»Ja, ausnahmsweise. Dafür stehen morgen wieder Überstunden an.«
Ich verdrehte die Augen. Jan machte so gut wie immer Überstunden. Und am Wochenende musste er auch oft ran. Ziemlich ungerecht. Aber was sollte man tun? Jan war nun mal einige Jahre älter als ich und arbeitete dementsprechend schon in einem richtigen Job.
Nach dem Abi hatte er Englisch und Marketing studiert. Und nun machte er eine Ausbildung in einer PR-Agentur. Er rackerte sich ab und hoffte so, im nächsten Jahr übernommen zu werden. Es gab noch zwei andere Azubis und nur einer von ihnen würde nach der Lehre weiter in der Agentur beschäftigt werden. Die Langeweile, über die ich mich beschwerte, würde er gerne haben.
Ich verstand voll und ganz, warum er sich so abmühte und in seine Arbeit reinhängte, sich Tag für Tag von seiner besten Seite zeigte. Aber manchmal war es zu viel. Manchmal vermisste ich ihn einfach.
Jan riss mich aus meinen Überlegungen, indem er ein Schneidebrett und diverse Gemüsesorten vor mir abstellte.
»Du schnippelst.« Er zwinkerte mir zu und ging dann an den Herd, um Wasser aufzusetzen. Ich würfelte Karotten, Zwiebeln, Zucchini, Paprika und Tomaten und brachte alles zu ihm hinüber. Er warf das Sammelsurium an buntem Gemüse in eine große Pfanne. Ich schaute ihm dabei zu, wie er alles würzte und, nachdem das Gemüse etwas angebraten war, noch reichlich Reis dazugab. Gekonnt schwenkte er die Pfanne und streute anschließend noch eine Menge Curry darüber. Es duftete unglaublich lecker. Ich stelle mich hinter ihn und umfasste seinen Bauch. Ich spürte, wie sich seine Muskeln anspannten, und musste lachen.
»Hast du gerade den Bauch eingezogen?« Schon ziemlich lustig. Immerhin waren wir jetzt schon eine Weile zusammen, ganze zwei Jahre, und ich kannte jeden Zentimeter seines Körpers in- und auswendig.
»Nein, nein«, winkte er verlegen ab. Er drehte sich zu mir um, umarmte mich lachend und küsste mich innig. Und wie er küssen konnte! Darin war er unschlagbar.
Ich liebte ihn so sehr.
»Sag mal, hast du eigentlich das Geschenk für Mum besorgen können?«, fragte er, nachdem er die Lippen von meinen gelöst hatte.
»Dass du in so einem Moment an deine Mutter denkst …«, gab ich zurück und zog einen beleidigten Schmollmund.
»Ist mir nur gerade so eingefallen. Hast du?«
»Ja, einen Krimi und ein Pflänzchen. Ich packe zu Hause noch alles schön ein und bringe es dann mit.«
»Abendessen gibt’s morgen um 18 Uhr. Okay? Soll ich dich abholen?«
»Nein, schon okay. Du musst doch wahrscheinlich eh länger arbeiten. Ich komme einfach mit dem Bus.«
»Okay«, flüsterte er und küsste mich noch mal keusch, fast schon schüchtern, auf die Lippen. »Und jetzt lass uns essen!«
Das wurde aber auch Zeit. Ich hatte einen Mordshunger.
Misstrauen
Natürlich hatte ich die Nacht bei Jan verbracht. Wir waren immerhin schon über zwei Jahre zusammen und er hatte ein geräumiges, eigenes Zimmer mit einem breiten, gemütlichen Bett. Auch seine Familie hatte sich mittlerweile an meine Anwesenheit gewöhnt. Es war also nicht ungewöhnlich, dass ich hier blieb. Ich war immer herzlich willkommen, pflegte Bianca, Jans Mama, stets zu sagen. Sie betrachteten mich alle als Teil der Familie.
Jan weckte mich, und noch bevor ich ihn sah, roch ich Duschgel und sein Aftershave.
»Nora, Süße, ich hau ab.« Ich öffnete müde die Lider und schaute mich verwirrt um. »Es ist sieben Uhr, du musst auch aufstehen. Ich habe Kaffee gekocht.«
Nun stellten sich so langsam meine Augen scharf und ich blickte in die leuchtend grün-braunen Augen meines Freundes. Ich streckte meine Arme nach ihm aus und zog ihn zu mir hinunter.
»Geh noch nicht!«, murmelte ich verschlafen. Jan streichelte mir über die Wange und lächelte mich an.
»Ich muss leider. Am Wochenende schlafen wir gemeinsam aus, okay?« Dann zwinkerte er mir anzüglich zu. »Heute Abend 18 Uhr, ja?«
»Klar«, gähnte ich und streckte mich genüsslich dabei.
Einen Augenblick später stand ich schließlich auf und trottete ins Bad. Dann hörte ich die Wohnungstür ins Schloss fallen. Ich bemühte mich, leise zu sein. Bianca schlief garantiert noch. An ihrem Geburtstag hatte sie sich freigenommen und würde wohl später den Rest des Tages damit verbringen, das Abendessen vorzubereiten. Ich grinste. Bianca war klasse. Ich mochte sie sehr. Überhaupt liebte ich Jans komplette Familie.
Um niemanden im Haus zu wecken, wusch ich mich schnell und leise, putzte mir die Zähne und zog mich an. Da ich öfter bei Jan übernachtete, hatte ich mittlerweile zwei Schubladen in seinem Kleiderschrank, die ich mit Kleidung und Kosmetikartikeln gefüllt hatte. Fast schon so wie bei einem Ehepaar. Dieser Gedanke ließ mein Lächeln noch breiter werden. Ich liebte diesen Kerl einfach. Ich konnte mein Glück meistens nicht fassen. Vielleicht auch, weil ich lange auf dieses Glück hatte warten müssen.
Der