Geballte Ladung Liebe - Katharina Wolf Sammelband. Katharina Wolf
»Und einen coffee to go auf dem Nachhauseweg? Ich begleite dich.« Er schaute wieder ganz hoffnungsvoll und ich konnte das nicht so recht nachvollziehen. Ich zuckte mit den Schultern. Gegen einen coffee to go sprach ja nichts.
»Okay.«
Er griff nach meiner Hand und zog mich bis zur nächsten Straßenecke einfach hinter sich her.
»Da hinten ist ein Starbucks. Komm, ich lade dich ein.«
Widerworte hatten bei ihm scheinbar keinen Sinn, wurden anscheinend nicht geduldet. Da ich aber eh immer pleite war, traf sich das eigentlich gut.
Einige Minuten später hatten wir beide einen großen warmen Becher Latte Macchiato in der Hand und liefen nebeneinander die Fußgängerzone entlang.
»Und? Weißt du schon, was du danach machst?«
»Wonach? Nach dem Kaffee?«
»Nach dem Abitur.« Er holte mit der Faust aus und ich wich seinem Hieb geschickt aus. Dann lachten wir beide. Haha, ich hatte dazugelernt.
»Was hat mein Arm dir eigentlich getan? Warum boxt du mich andauernd?« Die Frage war sowas von überfällig.
»So oft ist es auch mal wieder nicht«, antwortete Pablo etwas eingeschüchtert.
»Nicht oft?« Ich zog eine Augenbraue skeptisch in die Höhe. »Ständig!«
»Keine Ahnung. Ist eine doofe Angewohnheit. Ein Tick oder so.« Er rieb sich über die Augen und ich musste wieder lachen. So verlegen kannte ich ihn gar nicht. Fast niedlich.
Wir liefen einige Sekunden schweigend nebeneinander her, bevor er seine Frage wiederholte.
»Was sind denn nun deine Pläne nach dem Abi?«
»Ach so. Ja, ich habe ein paar Ideen, mich aber noch nicht endgültig entschieden.«
»Zum Beispiel?«
»Na ja, Studium oder Ausbildung. Irgendwas im kreativen Bereich auf jeden Fall. Du?«
»Ich würde gerne Jura studieren, kommt jetzt ganz stark auf den Abischnitt an. Sonst nimmt mich ja keine Uni.« Ich nickte und versuchte, mir Pablo im eleganten Anzug als Anwalt vorzustellen. Seltsam. »Und dein Freund? Zieht ihr dann zusammen?«
»Ich weiß nicht. Darüber haben wir noch nicht gesprochen. Vielleicht.« Pablo schwieg und ich nippte an meinem Kaffee.
»Aber es läuft alles gut so zwischen euch, oder?«
Ich schnaufte etwas genervt und verdrehte die Augen.
»Ja, alles gut. Stress gibt’s doch immer in einer Beziehung und, na ja, momentan ist es gelinde gesagt etwas schwierig.«
»Warum denn?«
»Er arbeitet viel und ich sollte dafür wohl mehr Verständnis haben.«
Hatte ich ja. Fast immer. Aber manchmal fuchste es mich dann eben doch. Vor allem, wenn wir uns verabredet hatten und er mich sitzen ließ. Wenn ich mich auf etwas freute. Auf ihn freute.
»Mmmh ... er vernachlässigt dich?«
»Nein, so ist es nun auch wieder nicht … ach egal. Lass uns über was anderes sprechen.«
»Aber du liebst ihn, oder?«
»Sehr.«
Enttäuschung
Endlich Wochenende. Wie hieß noch mal das Gegenteil von Burnout? Boreout. Davon hatte ich tatsächlich mal gelesen und konnte es jetzt voll und ganz nachvollziehen. Aber nun würde ich selbst etwas gegen die Langeweile in der Schule tun. Ich musste dringend für das Abitur lernen. Dringendst sogar!
Zwar hatte ich mir schon einiges eingeprägt und Dinge wie den Zitronensäurezyklus für Biologie waren mir eh in Fleisch und Blut übergegangen, aber kurz vor der ersten Abi-Klausur am Dienstag musste ich vor allem einiges in mein Kurzzeitgedächtnis pressen. Da kam es mir fast gelegen, dass sich Jan das ganze Wochenende geschäftlich irgendwo bei Hamburg rumtrieb. Er hatte sich vorhin kurz gemeldet, musste dann aber schnell zu einem Termin mit seiner Kollegin. Dieser Fernanda. Ob ich eifersüchtig war? Ein wenig vielleicht. Aber nur aus dem Grund, weil sie momentan mehr Zeit mit Jan verbringen durfte als ich. Und das war schlicht und einfach unfair.
Aber egal. Es gab jetzt Wichtigeres, zum Beispiel die Corioliskraft und die Passatwinde.
Gut drei Stunden quälte ich mich durch meine Erdkundeaufzeichnungen, bevor ich resignierend meinen Ordner und den Atlas zuschlug und mich gähnend nach hinten durchstreckte. Mein Nacken knackte laut. Verdammt. Ich war komplett verspannt und todmüde. Der Blick auf die Uhr über meinem Bett war überraschend. Erst kurz nach zehn. Eigentlich viel zu früh, um an einem Samstag schon schlafen zu gehen. Andererseits … Wer hatte diese Regel denn bitte aufgestellt?
Nach einer schnellen Katzenwäsche kuschelte ich mich in meine weiche Lieblingsdecke und schaltete den Fernseher ein. Ich blieb bei irgendeiner Comedysendung hängen, die mich langsam, aber sicher in den Schlaf lullte.
Plötzlich schreckte ich auf, als das Handy neben meinem Kopfkissen wild zu vibrieren begann. Meine müden Augen brannten und so blinzelte ich verwirrt in das flackernde Licht des Fernsehapparats. Wie lange hatte ich geschlafen? Minuten? Stunden? Ich griff nach dem brummenden Teil neben mir und erblickte Jans Gesicht, das mir entgegenlächelte. Ein Selfie, das er von sich selbst geschossen hatte, als ich mein Handy kurz ohne Aufsicht bei ihm hatte liegen lassen. Ehe ich mich versah, zierte sein Gesicht meinen Bildschirmschoner, es war mein Hintergrundbild und es grinste mir bei jedem seiner Anrufe entgegen. Zu süß!
»Hey Jan.«
»Süße, hab ich dich geweckt?«
»Fast, hab nur gedöst, glaub ich.«
»Alles okay bei dir?« Er hörte sich besorgt und mindestens so müde an wie ich.
»Ich vermisse dich, aber ansonsten ist alles okay.«
»Es wird besser, glaub mir!«
»Mmmh«, gab ich wenig zuversichtlich zurück.
»Wirklich. Momentan läuft es blöd, aber es kommt auch alles auf einmal. Ich betreue vier Projekte. Alle gleichzeitig. Aber das geht vorbei. Dann wird alles einfacher.«
»Okay.«
»Sei nicht traurig.«
»Okay.«
»Du hörst dich aber traurig an.« Er hatte eben seine Nora-Antennen. Er kannte mich zu lange und viel zu gut. Ich konnte nichts vor ihm verbergen.
»Ich bin nur müde, Jan.«
Es war kurz ruhig in der Leitung. Ich lauschte seinen Atemzügen und wünschte mir, er wäre hier und würde sich an mich schmiegen und seine muskulösen Arme um mich legen. Mir einen Kuss auf die Schulter hauchen, auf den Hals, hinter mein Ohr … Wenn ich die Augen schloss, konnte ich es mir vorstellen. Fast schon spüren.
»Jan?«
»Ja?«
»Wann sehen wir uns?«
»Morgen Abend, okay? Ich komme zu dir.«
»Ich freue mich«, flüsterte ich sehnsuchtsvoll.
»Ich mich auch, Nora, ich liebe dich.« Seine Stimme war weich und warm. Wie meine Lieblingsdecke umhüllte sie mich.
»Ich liebe dich auch.«
Den Sonntag hatte ich damit verbracht, mir noch etwas Genetik in den Kopf zu prügeln. Nun fühlte ich mich, als wäre ich in eine Schlägerei verwickelt worden. Matschig und fertig mit den Nerven. Genetik war schrecklich und ich versuchte, so viel wie möglich stupide auswendig zu lernen. Kurz nach 17 Uhr ließ ich Biologie für heute Biologie sein und entschloss mich, zu kochen. Jans Lieblingsessen. Das hatte ich mir vorgenommen. Ich wollte, dass der heutige Abend perfekt wurde. Also schaltete ich in der Küche das Radio an und begann, Schnitzel zu panieren