Geballte Ladung Liebe - Katharina Wolf Sammelband. Katharina Wolf
kurz in meiner Bewegung inne. Klar fand ich das nicht toll, aber allzu sehr hatte ich mir darüber noch keine Gedanken gemacht. War das ein Fehler?
»Eigentlich nicht. Ist ja eh nur geschäftlich.« Das hoffte ich zumindest. Bei ihm war ja, seit er in der Agentur arbeitete, immer alles geschäftlich.
»So hat es bei seinem Vater auch angefangen.«
Was war denn das für ein doofer Kommentar? Da blieb mir doch fast das Essen im Halse stecken. Ich wusste, dass ihr Mann sie für eine Jüngere verlassen hatte. Aber sie konnte das doch nicht mit meinem Jan vergleichen. Jan hatte das ganze Drama doch hautnah miterlebt. Fremdgehen war seitdem für ihn das absolute Tabu. Ein rotes Tuch. Ein No-Go. Er konnte nicht mal Filme ertragen, in denen fremdgegangen wurde. Nicht selten war das der Moment, in dem er die Fernbedienung ergriff, um kopfschüttelnd und wutschnaubend umzuschalten. Beim Film Eiskalte Engel hatte er zwischendurch fast einen Tobsuchtsanfall bekommen. Sex and the City mochte er schon gar nicht mehr mit mir schauen. Er ärgerte sich einfach jedes Mal viel zu sehr, wenn Carrie und ihre Freundinnen wieder einmal betrogen wurden oder selbst fremdgingen. Nein. Jan war nicht so wie sein Vater. Nie und nimmer.
Ich schüttelte den Kopf und lächelte Bianca an. Sie meinte es nicht so. Vielmehr spürte ich, dass sie immer noch verletzt war und die Trennung bis heute nicht ganz verkraftet hatte. Aber wer konnte ihr das übel nehmen? Die große Liebe zu verlieren, ist immer tragisch.
Wie schlimm, konnte ich nur erahnen.
»Ich vertraue Jan«, gab ich selbstsicher zurück.
Sie nickte.
Versetzt
Nach dem Klingeln schnappte ich mir meine Tasche und lief zum Treffpunkt des Abi-Party-Komitees. Im Gemeinschaftsraum der Oberstufe saßen bereits knapp 20 Schülerinnen und Schüler, die alle durcheinander schnatterten.
Pablo stand in der Mitte, klatschte in die Hände und wartete, bis es ruhig wurde.
»Leute, super, dass ihr alle da seid. Dann kann‘s ja losgehen! Soviel vorab: Ich habe bereits eine Location reserviert.« Die Menge jubelte Pablo zu. Zum Glück hatte er die Planung federführend in die Hand genommen. Sonst würde diese Party wohl nie stattfinden.
»Außerdem«, der Jubel wurde leiser, alle hingen an seinen Lippen. »Na ja, ein Kumpel von mir ist DJ. Er meinte, für einen Fuffi würde er uns musikalisch durch den Abend führen. Also wenn ihr einverstanden seid, dann ...« Wieder applaudierten alle und zeigten damit, dass sie mehr als nur einverstanden waren.
»Jetzt bin ich mal gespannt auf eure Vorschläge. Wir müssen uns aufteilen. Wir benötigen noch Technik für die Musik- und Lichtanlage, Getränke, vielleicht auch Knabberzeug. Außerdem müssen ein paar Leute am Abend selbst arbeiten. Wir brauchen einige beim Getränkeausschank und vier bis fünf Jungs sollten nüchtern bleiben und für die Sicherheit sorgen. Oder wir nehmen noch etwas aus unserer Stufenkasse und engagieren einen Security-Dienst, was meint ihr?«
Und da ging die Diskussion los. Einige hatten Kontakte zu Getränkelieferanten oder auch zu Bands, die eventuell noch auftreten könnten. Zwei Jungs aus meinem Physikkurs meldeten sich freiwillig, um sich um die Technik zu kümmern.
Pablo hatte mich kurzerhand mit ihm für den Getränkeausschank eingeteilt. Zum Glück in die erste Schicht, dann hatte ich nach Feierabend auch noch etwas von der Party. Die könnte nämlich echt gut werden.
»Freust du dich?« Pablo erschien auf einmal neben mir und pikste mir in die Seite. Ich schreckte zusammen, was ihn zu amüsieren schien.
»Wird bestimmt lustig, du hast ja alles schon gut durchgeplant.«
Seine Wangen färbten sich rot und er versuchte, seine Verlegenheit mit einem gezielten Boxhieb gegen meine Schulter zu überspielen. Autsch.
Wir unterhielten uns noch weiter über Organisation, Musik und Arbeitsaufteilung, bis ich beim Läuten der Schulglocke zusammenfuhr.
»Wieviel Uhr ist es?«
»Ähm, 12:30 Uhr«
»Jan wollte die Mittagspause mit mir verbringen«, rief ich erschrocken aus und sprang auf. Dabei stolperte ich fast über einen kleinen Hocker, der sich mir mit voller Absicht in den Weg gestellt haben musste.
»Huch!« Ich richtete meinen Pullover und winkte Pablo und den anderen zum Abschied. »Bis morgen dann.«
Ich lief hinaus und sprintete die Straße entlang. Jan und ich hatten ein kleines Stammlokal, in dem es einfache Snacks gab. Außerdem lag es in Fußnähe zu meiner Schule. Der perfekte Treffpunkt. In den letzten Monaten hatten wir uns immer mal wieder hier verabredet. Kurz bevor ich bei dem Lokal ankam, vibrierte jedoch mein Handy und brachte meinen Laufschritt aus dem Takt. Ich blieb stehen und kramte mein Smartphone aus der Hosentasche.
Eine SMS von Jan.
Och nein, nicht schon wieder.
»Ich schaffe es nicht. Tut mir wirklich leid! Ich mach‘s wieder gut.«
Ich plusterte die Backen auf und zog eine beleidigte Schnute. Bullshit!
Ich antwortete nicht. Das wäre definitiv nicht der richtige Zeitpunkt. Ich war gerade wirklich sauer. Und in dem Zustand eine SMS zu schreiben, war alles andere als klug. Ohne mindestens ein Schimpfwort würde ich nicht auskommen.
Ich ging geknickt weiter in Richtung meiner Wohnung. Sollte ich mir irgendwo was zu essen besorgen? Ein Sandwich oder einen Burger zum Mitnehmen? Eigentlich hatte ich gar keinen Hunger mehr. Verdammt. Immer wenn Jan eine Verabredung absagte oder mal wieder durcharbeiten musste, war meine Laune im Keller. Ich fühlte mich gleich vernachlässigt und einsam.
Ich war doch schon immer alleine gewesen. Meinen Vater hatte ich nie kennenlernen dürfen und meine Mutter hatte weder Zeit noch Nerven für mich gehabt. Die Drogen hatten sie vollkommen vereinnahmt. Geld beschaffen, Heroin und Crack kaufen, rauchen, spritzen, im Rausch dahinvegetieren. Das war ihr Leben gewesen. Sämtliche Versuche, von den Drogen wegzukommen, waren gescheitert. Und im Endeffekt hatten sie sie getötet.
Einsamkeit war mir nicht fremd. Ich hatte zwar immer Menschen um mich herum, aber ich gehörte nie so recht dazu. Erst seit ich Jan und seine Familie kannte, hatte sich das geändert. Es war wohl wirklich so, dass man nichts vermissen konnte, was man vorher nicht gehabt hatte.
Jetzt, wo ich erahnen konnte, wie es war, eine Familie zu haben, eine richtige Familie, in der man füreinander da war, mochte ich nie wieder ohne sein.
Etwas berührte mich an der Schulter und kam schnaufend neben mir zum Stehen. Pablo bemühte sich, Luft zu holen, und stützte sich außer Atem auf seinen Knien ab.
»Pablo? Was machst du denn hier?«
»Ich … hab dich … von weitem gesehen und …«
»Du hättest doch rufen können.«
»Hab ich ja …« Er erhob sich und fuhr sich mit dem Handrücken über die verschwitzte Stirn. »Aber du hast mich nicht gehört.«
»Oh, sorry. Ich war wohl in Gedanken.«
Erstaunlich.
»Was ist denn mit deinem Date? Wolltest du dich nicht mit deinem Freund treffen?«, fragte Pablo ein wenig zu neugierig.
»Wurde versetzt«, gab ich eingeschnappt zurück und lief weiter. Pablo folgte mir mit einem mitleidigen Gesichtsausdruck.
»Und nun?«
»Was, und nun? Jetzt geh ich heim und bin beleidigt.«
Pablo lachte und pikste mir mit dem Zeigefinger gegen den Oberarm. Ziemlich nervig. Aber das war mir noch lieber als die ständige Boxerei. Eigentlich war es mir auch lieber, als alleine Trübsal zu blasen.
»Und was ist, wenn wir noch einen Kaffee trinken würden? Irgendwo hier in einem Café?« Er schaute mich gespannt von der Seite an und kickte dann einen Stein vor sich weg. Ich war skeptisch.
Ȁhm, ich sollte wirklich nach Hause