Geballte Ladung Liebe - Katharina Wolf Sammelband. Katharina Wolf
Vielleicht lag es an dem angenehmen Kontrast zum rosafarbenen Hintergrund, dass es mir so gut gefiel. Ich überlegte, den Bikini gleich mit in die Umkleidekabine zu nehmen, als ich den Preis sah. Achtzig Euro! Ich machte große Augen, die noch größer wurden, als ich mir darüber im Klaren war, dass das lediglich der Preis für das Oberteil war. Heilige Scheiße, ich war hier doch nicht bei Gucci gelandet! Oder etwa doch? Verwirrt schaute ich mich um und lenkte dann meinen Blick wieder auf das bisschen Stoff vor mir. Das war zu teuer. Viel zu teuer! Außerdem wollte ich nur ungern in einem neuen, schicken Bikinioberteil, dafür aber untenrum nackt am Weiher liegen. Beides zusammen würde nämlich definitiv mein Budget sprengen.
»Ganz schön gesalzene Preise ...«, nuschelte ich Eli hinter vorgehaltener Hand zu, die gerade mit genauso verzweifeltem Gesichtsausdruck das Preisschild eines lila-weiß gestreiften Badeanzuges anstarrte.
»Ich kann mir hier nichts leisten«, sagte sie mit resignierendem Ton.
Ich nickte zustimmend. »Ich mir auch nicht.«
Im Endeffekt war der Laden für uns alle viel zu teuer. Wir waren allesamt Schülerinnen und hatten im Schnitt fünfzig Euro Taschengeld zur Verfügung. Ich hatte zusätzlich das Glück, ab und an ein bisschen Geld von meiner Oma zugesteckt zu bekommen. Okay, ich hatte Erspartes, und davon nicht gerade wenig, aber das würde ich garantiert nicht für drei Stoffdreiecke ausgeben.
Im Winter hatte ich ein paar Mal im Solarium in unserer Straße ausgeholfen. Für sechs Euro die Stunde musste ich Kaffee kochen, Kunden beraten und danach ihren Schweiß von den Geräten wischen. Keine königliche Aufgabe, aber mir machte das nichts aus. Ich war nicht zimperlich und hatte mehr als genug Desinfektionsmittel zur Hand.
In den Sommerferien davor hatte ich an einer Strandbar an der Bierzapfanlage gearbeitet. Dort gab es sogar acht Euro die Stunde und einiges an Trinkgeld. Die Einnahmen aus diesen kurzen Ferienjobs gingen ohne Abzüge allesamt auf mein Konto und ich hatte sie seither nicht angerührt.
Für was ich sparte? Ein Auto, einen Wellnesstrip mit Bibi oder vielleicht sogar für die Einrichtung meiner ersten eigenen Wohnung? Keine Ahnung. Aber das alles war weitaus sinnvoller, als es für Bademode auszugeben!
Etwas demotiviert schlurften wir in das nächste Einkaufszentrum, um uns dort in den Geschäften umzusehen, die weniger exklusiv waren, dafür aber eher in unsere angestrebte Preisklasse fielen.
»Im H&M finde ich eigentlich immer etwas Schönes.« Bibi lächelte mich schon wieder etwas zuversichtlicher an. »Von uns muss bestimmt niemand leer ausgehen.«
Schon von weitem wurden uns mit großen Leuchtbuchstaben die vielen Läden in dem großen Einkaufszentrum angepriesen. H&M, C&A, Esprit, New Yorker und viele andere Geschäfte, die zumindest annährend zum Inhalt meines Geldbeutels passten. Ich klatschte vor lauter Vorfreude in die Hände.
Rechts vor dem Haupteingang, einer riesigen Drehtür, saßen einige seltsame Typen. Beim genaueren Hinsehen erkannte ich, dass es wohl Punks sein mussten, die hier ihre Zeit totschlugen.
Zumindest waren sie allesamt gut gelaunt, hörten laute Musik und waren recht auffällig gekleidet. Ihre Klamotten waren mit vielen Nieten, Spitzen und Aufnähern versehen. Ich entdeckte einige No-Nazis-Buttons und Patches mit Bandnamen, die mir nicht unbekannt waren. Die Ärzte, Nirvana und Green Day hatte sich ein Typ auf seine Jeansjacke genäht. Aber so jung, wie der aussah, hatte das vielleicht auch seine Mutter für ihn übernommen ...
Jeder von ihnen hatte etwas zu trinken vor sich stehen. Mehrere putzige Hunde lagen zwischen den überwiegend jungen Männern und wurden von allen Seiten gekrault.
Ich hatte mir immer einen Hund gewünscht. Als Kind wollte ich einen süßen, kleinen Dackel haben. So wie der, den die Nachbarn, ein nettes älteres Ehepaar, hatten. Später war ich neidisch auf den Mops von Eli gewesen. Leider war Mum gegen alles allergisch, was mehr als zwei Beine hat. Wir besaßen zwar ein kleines Aquarium mit bunten Zierfischen, aber so richtig zum Kuscheln und Liebhaben waren die leider nicht geeignet. Schade.
Fasziniert betrachtete ich einen wunderschönen Schäferhund, der sein Maul hechelnd geöffnet hatte und die Streicheleinheiten von einem der Kerle sehr zu genießen schien.
Der Typ, der ihm abwechselnd den Kopf und den Bauch kraulte, war sehr jung, schätzungsweise in unserem Alter. Er fiel mir sofort auf. Vor allem, weil er ziemlich gut aussah. Seine schwarzen Haare waren mit blauen und lilafarbenen Strähnchen durchzogen. Zumindest teilweise, denn die komplette linke Seite hatte er abrasiert und sie wies millimeterkurze Stoppel auf. Diese Frisur wirkte schon fast feminin, aber es stand ihm. Es war wohl so wie mit rosafarbenen Hemden: Nicht viele Männer konnten sie tragen; nur diejenigen, die sich ihrer Männlichkeit sehr bewusst waren.
Als unsere kichernde Mädchenmeute an den Punks vorbeilief, waren wir uns ihrer Blicke sicher und mehr als bewusst. Eli schwang ihr langes Haar nach hinten und grinste. Sie mochte solche Auftritte.
Manche der Kerle pfiffen uns hinterher. Auch der hübsche Junge mit den bunten Haaren sah auf und zwinkerte mir zu.
Ich blickte kurz irritiert hinter mich, sah aber niemanden.
Er hatte tatsächlich mir zugeblinzelt!
Mir fiel auf, dass er sehr schöne Augen und eine auffällige Narbe an der rechten Augenbraue hatte. Außerdem waren seine Fingernägel schwarz lackiert und ein Tattoo prangte an seinem linken Unterarm. Seine Hand lag um den Hals einer großen Weinflasche. Oh Mann ... Das war mit Sicherheit nicht der richtige Umgang für mich. Trotzdem verfärbten sich meine Wangen rot, ich senkte eingeschüchtert den Blick und betrachtete den Boden vor mir. Schnell ging ich an der Gruppe vorbei und zog Bibi hinter mir her, die sich bei ihrem Gang über den unsichtbaren Laufsteg offensichtlich noch etwas mehr Zeit lassen wollte.
Kaum hatten wir das riesige Einkaufszentrum durch die Drehtür betreten, empfing uns eine verwirrende Mischung aus beruhigender Fahrstuhlmusik und einem lauten Wirrwarr an Geplapper aus den Mündern von hunderten von Menschen.
»Und los geht’s!« Eli gab den Startschuss für unsere Einkaufstour.
Ich versuchte, mich zu sammeln und auf meine Aufgabe zu konzentrieren. Eine hübsche Sommergarderobe war das Ziel. Ich schüttelte den Kopf, um meine Gedanken zu ordnen, denn aus irgendwelchen Gründen waren diese noch immer draußen bei dem Jungen mit den hübschen Augen.
Aber der Anblick der bunten Schaufenster, in denen nicht selten ein großes Sale-Schild leuchtete, half mir, mich wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren.
Zuerst gingen wir in eine kleine Boutique, die wir ziemlich schnell wieder verließen, da die Zielgruppe wohl knapp fünfzig Jahre älter war.
Danach kaufte ich mir in einem anderen Laden einen neongrünen Bikini. In diese Farbe hatte ich mich sofort verliebt, da sie frisch und sommerlich war, und wunderbar mit meinen braunen Haaren harmonierte. Außerdem gönnte ich mir ein Paar Hotpants aus Jeansstoff, die zu meinem Glück heruntergesetzt waren.
In einer Buchhandlung stöberte ich durch die Regalreihen und entschied mich schließlich für zwei Liebesromane. Ich wollte in den Sommerferien ja nicht nur am Weiher liegen und gut aussehen – was mir mit dem neuen Bikini garantiert gelingen würde – sondern dabei lesen und intelligent wirken.
Ich liebte das. Entspannung in Perfektion.
Mit gefühlt tausend Tüten in allen Größen und Farben verließen wir zwei Stunden später das Einkaufszentrum.
Manu hatte bereits ihren dritten Becher Kaffee in der Hand. Eli trug stolz ihre übergroße, neue Sonnenbrille, mit der sie aussah, wie eine Mischung aus Paris Hilton und Biene Maja mit riesigen Insektenaugen.
Bibi hatte sich bei mir eingehakt und sang ein Lied, das ihr, seit es in einem der Läden im Hintergrund gelaufen war, einfach nicht mehr aus dem Kopf ging.
Auf meinen Lippen lag ein zufriedenes Lächeln. Eine erfolgreiche Einkaufstour, gutes Wetter, meine besten Freundinnen um mich herum ... Das war es, was mich momentan glücklich machte.
Die Punks vor der Drehtür