Geballte Ladung Liebe - Katharina Wolf Sammelband. Katharina Wolf
Nein. Das war einfach nicht wahr. Sie passte nicht zu Jan. Sie war gemein, hinterlistig und ein berechnendes Miststück, das alle Menschen um sich herum beeinflusste, kontrollierte und manipulierte. Sogar ihren eigenen Bruder hatte sie für ihr böses Spiel ausgenutzt. Jan war besser. Jan war gut und nett. Viel zu nett. Fleißig und treu. Sie hatte ihn nicht verdient. Ich vielleicht auch nicht, okay, aber wenn sie behauptete, dass Jan zu ihr passte, dann war das schlichtweg falsch. Doch trotz ihrer Anschuldigungen und Lügen blieb ich ruhig. Ich fühlte mich wie ein kleines Kind, das ausgeschimpft wurde. Genauso eingeschüchtert.
»Weißt du, wir sind glücklich zusammen. Wir sind zusammengezogen, haben über Hochzeit gesprochen, über Kinder. Wir wollten eine Familie gründen. Und jetzt bist du da und versuchst, einen Keil zwischen uns zu treiben!«
Ich glaube, ich stand unter Schock. Zumindest war ich sprachlos. Das waren Dinge, über die ich noch gar nicht nachgedacht hatte. Kinder? Hochzeit? Familie? War ich es jetzt? War ich plötzlich das Miststück, das eine Familie auseinandergerissen hatte? Ihre Familie? Hatte ich ihr Jan ausgespannt? Was zum ...?
»Nora versucht garantiert nicht, einen Keil zwischen euch zu treiben!«
Hiroki. Ich war so erleichtert, endlich jemanden neben mir stehen zu haben, dass ich erst mal geräuschvoll ausatmete. Ich hatte wohl die Luft angehalten. War mir gar nicht aufgefallen. »Lass das, Fernanda, du kennst Nora nicht und solltest deine Probleme nicht mit ihr, sondern mit Jan bereden und am besten nicht hier und heute! Nicht auf unserer Hochzeit!« Fernanda machte einen Schmollmund, der sie leider nur noch viel anziehender wirken ließ, und krallte sich an ihr Platzkärtchen, als wäre es eine Eintrittskarte für die Veranstaltung hier.
»Was ...?«
Jan kam plötzlich zu uns gelaufen. Sein Job als Lampenhalter war wohl erledigt. Er hatte immer noch seinen Mantel an und starrte seine Ex mit schreckgeweiteten Augen an. Er wirkte wütend, aber auch irgendwie verunsichert und ängstlich.
»Fernanda, was machst du hier?«
»Schatz, ich bin doch auch eingeladen und das hübsche Kleid habe ich mir extra für diesen Anlass gekauft. Du hast doch gesagt, wie hübsch du mich darin findest und ...« Während Fernanda sprach, schmiegte sie sich an Jan und strich ihm einige nicht vorhandene Staubkörner von den Schultern. Mir stellten sich sämtliche Nackenhaare auf. Ich spürte, wie mir die Galle hochkam.
Ich hatte genug gehört. Ich hatte genug gesehen. Ich war zu schwach für diese Scheiße hier. Ich spürte die Tränen auf meinen Wangen und den Zorn, der sich langsam in mir hocharbeitete. Ich würde gerne schreien, ganz laut, und dieser arroganten, selbstverliebten Pute mitten ins Gesicht schlagen, um sie für all das, was sie Jan und mir angetan hat, büßen zu lassen. Ja, ich würde ihr so gerne eine verpassen und an ihren perfekt frisierten Haaren ziehen. Aber bevor ich mich selbst vergaß und mich noch lächerlicher machte als eh schon, ging ich.
Humpelnd verließ ich den Raum und ging in Richtung Tür. Ich wollte nur noch raus.
Dort würde ich mir ein Taxi nehmen und nach Hause fahren. Was heißt nach Hause? Ich musste auch von Sebastian weg. Ich wollte das nicht mehr. Ich würde meine Sachen packen und gehen. Ich hatte ja eh bald einen Job. Ich brauchte einen Neuanfang.
Weg und neu. Wie vor vier Jahren.
Da war ich auch abgehauen. Weg von dem Ärger, dem Stress, der Wohnung und den Menschen, die mich allesamt an Jan erinnerten.
Und genau wie früher spürte ich den unbändigen Drang, mich zuzudröhnen. Egal womit. Ich wollte diese Gedanken nicht mehr. Sie zerfraßen mein Hirn. Sie machten mich schwach und zu einer Person, die ich nicht sein wollte. Ich wollte nie so werden. Lieber nichts spüren, nichts denken.
Gar nichts!
Als ich den Ausgang erreichte, wurde es im Raum hinter mir schlagartig ruhig. Die Band hatte aufgehört zu spielen und ein Raunen ging durch den Saal. Den Gästen war das Drama wohl auch nicht entgangen. Das war alles so verdammt peinlich! Ich wischte mir eine Träne mit dem Handrücken von der Wange. Dann hörte ich ein Pfeifen. Die Rückkopplung eines Mikrofons.
»Nora? Nora, hörst du mich?« Wieder ein Knacken und Rauschen. »Bitte, warte und hör mir zu! Ich liebe dich!« Ich blieb stehen, eine Hand am Türknauf, die andere auf meinem wild klopfenden Herzen, und lauschte. War das gerade mein Name gewesen? War das Jan?
»Ich liebe dich so sehr, dass ich manchmal nicht weiß, wohin mit den ganzen Gefühlen. Das war schon immer so. Von Anfang an. Damals, als ich dich das erste Mal sah, habe ich mich gefragt, wie ein Mensch gleichzeitig so anziehend und zerbrechlich sein kann. Du hast mich fasziniert und so unglaublich neugierig gemacht. Einfach, weil du anders warst. Und als ich mich dann mit dir unterhalten habe, du dich sogar mit mir treffen wolltest, da habe ich sofort gespürt, dass da was zwischen uns ist. Ein Band. Irgendetwas, das uns verbindet. Und genau dieses Band hat uns zusammengehalten. Über all die Zeit. Was waren die letzten vier Jahre denn ohne dich? Nichts weiter als eine trostlose Leere. Weißt du, wie das war ohne dich? Es war die Hölle! Ich war nicht mehr ich. Wie auch, denn du warst nicht mehr bei mir. Alles, was ich ohne dich hatte, war nichts als ein kläglicher Ersatz. Du warst nicht da. Ich möchte dich nicht noch einmal verlieren. Bitte, geh nicht wieder. Bitte bleib bei mir. Für immer!«
Ich zitterte am ganzen Leib und wusste einfach nicht, was ich tun sollte. Zu allem Übel tropfte ich das schöne Kleid mit einer dunklen Mischung aus Tränen und Mascara voll. Auch das Schluchzen konnte ich nicht mehr zurückhalten.
War das wahr? War das wirklich die Wahrheit? Sollte ich das glauben? Ich wollte weg. Aber ich wollte auch zu Jan. Ich wollte, dass Fernanda verschwand. Ich wollte glücklich sein. Einfach nur endlich wieder glücklich sein. Aber dafür brauchte ich Jan. Ohne ihn war ich nichts. Nur ein Abbild meiner selbst. Ich durfte ihn nicht aufgeben. Nicht schon wieder. Ich musste um ihn kämpfen. Für uns!
Der Erste, der hinter mir stand und mich an sich zog, war Sebastian. Er strich mir tröstend über den Rücken und versuchte verzweifelt, mich zu beruhigen. So wie ich versuchte, seinen Anzug nicht vollzusauen. Es gelang uns beiden nicht so recht. Nach einigen Minuten schob ich ihn ein wenig von mir und fuhr mir mit zitternden Fingern unter den Augen entlang.
»Entschuldigung«, sagte ich mit bebender, leiser Stimme und schob gleich noch zwei atemlose Schluchzer hinterher. Ich war schon ziemlich erbärmlich. Sebastian lächelte und versuchte, mit seinem Daumen irgendwie mein Make-Up zu retten. Ich sah bestimmt schrecklich aus. Wie ein Pandabär.
»So schlimm ist es nicht, das ist wasserfester Mascara. Sollte man auf Hochzeiten immer verwenden. Nur der Kajal ist ein wenig verlaufen.« Er zwinkerte mir zu und ich lächelte zurück. Zwar nur ein wenig und mit bebendem Kinn, aber immerhin. Dann hörte ich langsame, ganz zaghafte Schritte und entdeckte Jan hinter Sebastian. Sebastian drehte sich um und winkte seinen Bruder heran.
»Jetzt bist du dran. Kümmere dich mal um deine Freundin.«
Ohne dass einer von uns auch nur den Hauch einer Chance gehabt hätte, schob mich Sebastian rigoros zu Jan und ging wieder zurück zu seinen Gästen. Ich kam fast etwas ins Stolpern und krallte mich an Jans Mantel fest.
»Ich hoffe, ich habe ihm nicht die Hochzeit versaut.« Meine Stimme war noch immer unsicher und ich spürte, dass ich nur ein paar Worte von einem neuerlichen Heulkrampf entfernt war. Meine Wangen waren noch immer tränennass.
Jan nahm mein Gesicht in seine großen Hände und zwang mich dazu, ihn anzusehen.
»Hast du mich gehört?«
»Ja«, hauchte ich mehr, als dass ich es sagte. Er nickte und fixierte mich weiter.
»Und?« Auch seine Stimme war leise. Seine Augen allerdings schrien. Sie schrien mich an. Die Intensität seines Blickes fesselte mich und gab mir ein wenig Zuversicht.
»War das dein Ernst? Ist das wirklich wahr?«
»Aber ja doch. Bitte glaube mir. Ich will mit dir zusammen sein. Nur mit dir!«
»Okay.«
Ein »okay« war alles, was es brauchte. Er lächelte und ich meinte, sogar eine kleine Träne in seinen