Geballte Ladung Liebe - Katharina Wolf Sammelband. Katharina Wolf
Oberteil aus und schlüpfte in das Kleid. Es fühlte sich gut an. Es machte ein schönes Dekolleté und puschte meine nicht gerade riesige Oberweite angenehm und ansehnlich nach oben. Ab der Taille erstreckten sich mehrere lagen Satinstoff in allen möglichen Grüntönen bis zum Boden und es hatte dezente Ärmel mit etwas schwarzer Spitze. Es erinnerte mich an das Kleid, dass ich in dem einen Laden gesehen hatte. Das war ganz ähnlich gewesen und ... ich schaute stutzig an mir herab und dann in den Spiegel vor mir. Das war das Kleid. Ich war mir hundertprozentig sicher. Hatten sie mich dabei gesehen, wie ich es bewundert hatte? Ich drehte mich ein wenig und genoss das Gefühl des frischen, luftigen Stoffs an meinem rechten, gips-freien Bein. Ach, da war ja was ... Ich starrte auf den Schuhkarton. Na ja, was sollte mich schon erwarten? Highheels garantiert nicht. Ich hob den Deckel und sah auf einfache, schwarze Ballerinas. Yes! Ich nahm den rechten und zog ihn an. Den linken ließ ich in der Packung. Irgendwann würde vielleicht auch der noch zum Einsatz kommen.
Kaum war ich fertig angezogen, klopfte es dreimal kurz an der Tür und zu meiner Überraschung streckte Christian seinen Kopf in den Raum.
»Darf ich reinkommen?«
»Christian! Ja klar!«, sagte ich voller Freude und lächelte ihn an.
Er trat in mein Zimmer und sah in einem dunkelblauen Anzug mit buntem Einstecktuch sehr ungewohnt, aber wirklich gut aus. Ich hatte ihn nun schon legerer auf dem Junggesellenabschied erlebt und als glitzernde Dragqueen in diesem Gay Club. Ihm stand einfach alles. »Perfekt. Das haben Jan und Sebastian wirklich toll ausgesucht.« Er strahlte mich an und schloss die Tür hinter sich. Dann kam er mit gezücktem Kamm und Haarspray auf mich zu gelaufen.
»Was hast du damit vor?«
»Keine Sorge. Ich bin extra wegen dir hier. Ich habe strikte Instruktionen von Sebastian erhalten. Er wollte unbedingt, dass ich mich um deine Haare kümmere, und er meinte, dass ich dich notfalls knebeln und fesseln soll, falls du dich dagegen wehrst. Aber das wird nicht nötig sein, oder?« Als hätte ich eine Wahl! Sein Tonfall ließ jedenfalls keine Widerworte zu.
»Da möchte ich mich jetzt noch nicht abschließend festlegen.« Er lachte und begann, die Lockenwickler aus meinen Haaren zu drehen.
»Kannst du das auch?«, fragte ich skeptisch.
»Willst du mich beleidigen? Du hast mich doch schon voll gestylt als Patty Passion gesehen.« Ich lachte und musste ihm Recht geben. Er hatte das definitiv besser drauf als ich. Ich hatte keine andere Wahl, als ihm zu vertrauen.
Ich setzte mich auf einen Hocker und Christian hinter mich auf das Bett. Er zupfte, drehte und toupierte. Nicht selten dachte ich, dass er mir mehr Haare ausriss als frisierte. Aber nach einiger Zeit schien er zufrieden zu sein. Er steckte noch eine Haarsträhne mit einer Haarnadel hinter meinem Ohr fest und erstickte mich in einem Nebel an Haarspray. Dann nickte er mit einem zufriedenen Lächeln.
»So wird Sebastian garantiert zufrieden sein.«
»Da habe ich ja Glück«, gab ich ironisch zurück. Christian half mir daraufhin hoch und betrachtete mich noch mal von oben bis unten. Den Gips sah man kaum, trotzdem stockte sein Blick kurz, als ein wenig davon unter dem Kleid hervorblitzte. Ich ging davon aus, dass Sebastian oder Hiro mit ihm gesprochen und ihm von dem Unfall erzählt hatten. Christian stellte keine Fragen und sprach mich nicht darauf an. Er wischte mir lediglich mit dem Daumen ein paar verunglückte Make-Up-Reste von der Wange und nahm mich dann vorsichtig in die Arme.
»Wirklich bildhübsch, schau dich an.«
Ich drehte mich und musste ihm beim Blick in den großen Wandspiegel Recht geben.
»Nicht schlecht.« Verdammt, ich sah wirklich gut aus! Die langen braunen Locken, die am Hinterkopf etwas toupiert und locker hochgesteckt waren, passten perfekt zu meinem dezenten Make-Up, das vor allem meine Augen betonte und riesig wirken ließ. Mit dem grünen Kleid dazu sah ich aus wie eine Waldfee. Das Humpeln war zwar nicht gerade elegant, aber da das Kleid bis zum Boden ging, fiel es nicht sofort auf.
»Zeig dich mal Jan«, drängte Christian und schob mich aus dem Zimmer.
»Warte doch, ich ...«
»Jan, Schätzchen, komm mal her!«, schrie mir Christian ins Ohr. Warum musste der Kerl nur immer so laut brüllen?
»Was ist denn?« Jan kam um die Ecke und blieb wie von Blitz getroffen abrupt stehen. Er machte große Augen und nickte anerkennend. »Wow, du ... einfach nur wow.« Ein Lächeln legte sich auf sein Gesicht und er schluckte nervös. »Wow«, wiederholte er nochmals leise für sich und kam dann auf mich zugelaufen, um mich in den Arm zu nehmen. »Du bist so wunderschön.« Es waren nur wenige simple Worte und ein sanftes Hauchen gegen mein Ohr. Dennoch beschleunigte sich mein Puls und meine Wangen begannen zu glühen. Jan küsste mich auf den Mund, auf den Mundwinkel, auf die Schläfe und auf den Hals. »Du siehst zum Anbeißen aus«, raunte er mit verführerisch brummender Stimme und biss mir kurzerhand ins Ohrläppchen.
Oh. Mein. Gott.
Eines meiner Beine gebrochen, das andere wacklig. Ich war kurz davor einfach umzukippen. Nur Jans starke Arme hielten mich aufrecht.
»Ich freue mich darauf, dich heute Abend auszupacken.« Mir entfuhr ein Wimmern, als er wieder begann, meinen Hals mit seinen Lippen zu liebkosen. Dieser Mann raubte mir den Verstand.
Hiro, der plötzlich neben uns aufgetaucht war, räusperte sich und rieb sich verlegen den Hinterkopf.
»Sorry Leute, dass ich euch stören muss, aber so wie es aussieht, müsste ich dann mal schnell heiraten. Also wenn ihr es zeitlich einrichten könntet ...«
Wir lachten und Jan schlug Hiro freundschaftlich auf die Schulter.
»Aufgeregt?«
»Langsam schon. Ich will gar nicht wissen, wie es Sebastian gerade geht.«
»Der ist bestimmt fix und fertig«, sagte Christian und bestätigte damit das, was wir alle dachten.
»Wo ist der Idiot denn jetzt?« Ich konnte es nicht fassen, dass er einfach verschwunden war.
»Wo wohl? Der ist zur Party-Location gefahren und checkt da, ob alles stimmt. Ob die Deko so ist, wie er es sich vorgestellt hat, ob die Technik steht und so weiter. Es soll ja alles perfekt sein.«
»Oh Mann, das hätte doch auch ich machen können«, erwiderte Jan, der sich wohl in seiner Trauzeugen-Ehre angegriffen fühlte.
»Kennst ihn doch.« Hiro winkte ab.
»Und nun?«, fragte ich ungeduldig.
Wir standen alle fertig gestylt in Flur und schauten uns an. Hiro trabte nervös von einem auf das andere Bein und betrachtete seine Armbanduhr. Dann griff er nach Mantel und Schal.
»Na ja, wir fahren jetzt zum Standesamt und Christian, du fährst uns einfach hinterher. Ich hoffe nur, dass ich meinen zukünftigen Gatten dort antreffe und er nicht vor Aufregung auf dem Weg irgendwo kollabiert ist.«
Sag ja
Wir hielten mit dem Auto auf einem Parkplatz, der an ein Feld angrenzt. Während mir Jan beim Aussteigen half, sah sich Hiro hektisch um. Kein Sebastian. Er seufzte und holte dann einen Karton mit Sektflaschen aus dem Kofferraum. Es war richtig kalt geworden und ich zog meinen schwarzen Mantel eng um die Schultern. Jan legte zudem noch einen Arm schützend um mich.
»Ich stütze dich«, flüsterte er mir ins Ohr und küsste mich auf die Wange. Ich hatte mir vorgenommen, solange es ging, ohne Krücke auszukommen. Folglich war ich wirklich auf seine Hilfe angewiesen.
Wir befanden uns nun mitten auf dem Land. Um uns herum gab es nur Felder und Wiesen. Alles war weiß und von einer hauchdünnen Schicht Eis und Schnee bedeckt. Raureif ließ die Landschaft glänzen. Schnee an Sebastians Traumhochzeit. Als hätte er es bestellt! Das Ende der Straße führte in ein Dorf hinein. Ich konnte den Kirchturm und einige Häuser erkennen. Aus den Schornsteinen stieg weißer Dunst auf. Der prachtvollste Bau erhob sich allerdings genau vor uns. Eine Art Turm in mediterranen Orangetönen und mit einer zierlichen weißen Außentreppe,