Geballte Ladung Liebe - Katharina Wolf Sammelband. Katharina Wolf
Wink verstanden.«
Ich verschränkte die Arme vor der Brust und schaute aus dem Fenster. Ich hasste es, ein schlechtes Gewissen zu haben.
»Kommst du klar damit, dass Jan hier ist?« Der Themenwechsel kam zu plötzlich und verwirrte mich.
»Ja, passt schon. Geht halt nicht anders.«
»Er ist wieder Single.«
»Toll ...«
Hiro musterte mich kritisch und ich hielt seinem Blick stand. Wollte er mich einschüchtern?
»Ist gestern etwas zwischen euch vorgefallen?«
»Wie kommst du darauf?«, fragte ich tonlos und so gleichgültig, wie mir möglich war.
»Jan war etwas nervös und seltsam heute Morgen und außerdem starrt er dich an. Selbstverständlich nur, wenn du nicht hinsiehst.« Meine Reaktion auf diesen Satz entging Hiro natürlich nicht. Ich lief rot an und mein verzweifelter Gesichtsausdruck sprach vermutlich Bände. Natürlich ließ mich das Ganze nicht kalt. Jans Anwesenheit, seine Blicke, der Kuss gestern ...
»Meinst du, das mit euch, na ja, meinst du, ihr habt noch eine Chance?«
»Ich glaube, der Zug ist abgefahren.« Ich sprach leise und konnte die Traurigkeit in meiner Stimme nicht verbergen. Ich spürte, wie mein Kinn anfing zu beben. Ach Mann, bitte nicht. Ich wollte jetzt nicht heulen!
»Wie kommst du darauf? Also warum denkst du, dass das mit euch nichts mehr werden kann?«
»Es ist zu viel passiert, es ist alles so lange her.«
»Aber hebt das eine nicht das andere auf?« Hiro lachte. Er hatte gut reden. Es ging schließlich auch nicht um sein verkorkstes Leben. »Man könnte auch sagen, dass es schon so lange her ist, dass Gras über alles gewachsen sein müsste. Ein Neuanfang. Ganz einfach.«
»Ganz einfach?«
»Ja.«
»Nein, Hiro, es ist eben nicht so einfach. Ich bin ein anderer Mensch. Die Trennung, die Zeit danach. Das alles hat mich verändert. Ich bin nicht mehr die Nora von früher. Das wird Jan auch schon festgestellt haben.«
»Er ist garantiert auch nicht mehr der Jan von früher. Jeder verändert sich. Das Leben geht weiter und man schreitet voran.« Ich schüttelte den Kopf.
»Er ist immer noch mein Jan. Es ist erschreckend, wie wenig er sich verändert hat.«
»Dein Jan?« Hiro zog eine Augenbraue skeptisch nach oben. Ich lächelte und zuckte mit den Achseln. Ich wusste, dass er eben nicht mehr mein Jan war, und doch würde er immer mein Jan bleiben. Ein wenig schizophren war das ja schon.
»Früher dachte ich, dass mit uns ist für immer. Dass es niemanden geben wird, der besser zu mir passt, der mir mehr gefallen wird. Und weißt du was? Es stimmt. Er war perfekt. Perfekt für mich. Klar hatten wir auch Probleme und haben uns auch mal gestritten oder so. Aber trotzdem kann ihm einfach niemand das Wasser reichen.«
Hiro sagte nichts dazu. Er nickte nur nachdenklich.
»Kaffee?« Nach einigen Minuten durchbrach er das Schweigen und stand auf.
»Gerne.«
Wir saßen noch lange da und sprachen über Gott und die Welt. Nur der Name Jan fiel nicht mehr.
Irgendwann verlagerten wir unseren gemütlichen Nachmittag auf die Couch. Wir schauten doofe Sendungen auf RTL2 und irgendeine Reality-Show mit dieser Kardashian. Wir lachten viel und ich vergaß den Ärger mit Sebastian schnell. Hiro schaffte es, mich abzulenken. Später öffneten wir eine Flasche Rotwein und aßen dazu Lebkuchen. Eine perfekte Kombination für die Vorweihnachtszeit.
Ich mochte Hiro. Nicht nur, weil er mit meinem besten Freund zusammen war und demnach einen guten Geschmack bewies. Er wusste auch, wann man den Mund zu halten hatte. Das Gespräch vorhin war sehr intim gewesen. Aber er hatte gespürt, dass es mir nah ging, und mich nicht weiter bedrängt. Eine wichtige und sympathische Eigenschaft.
Nach einiger Zeit hörten wir den Schlüssel in der Tür und Sebastian betrat mit Jan im Schlepptau die warme Stube. »Wir haben gleich noch Essen besorgt. Ich mache heute Lasagne«, sagte Sebastian gut gelaunt und ich jubelte daraufhin mit Hiro um die Wette. Sebastian zog skeptisch eine Augenbraue in die Höhe. Er war es nicht gewohnt, mich so gut gelaunt zu sehen. Das war wohl auch der Anlass, warum er genauer betrachtete, was hier in seiner Abwesenheit vor sich gegangen war. Sein Blick blieb an den beiden Weingläsern und der Rotweinflasche auf dem Wohnzimmertisch hängen.
»Mensch Hiroki, muss das sein?«
»Was?« Hiro war sichtlich verwirrt und verstand wohl nicht ganz, wie die Stimmung so schnell kippen konnte.
»Das.« Er ging zum Wohnzimmertisch und nahm die Weinflasche wütend an sich.
»Oh.« In diesem Moment fiel ihm auf, dass die Flasche voller war, als er erwartet hatte.
»Ich habe nicht mal ein halbes Glas getrunken.« Im Gegensatz zu Hiro verstand ich, was Sebastian so wütend machte. Seine kleine depressive, drogenabhängige beste Freundin soll sich ja keine Ersatzdroge anschaffen. Ich war ihm nicht böse wegen seiner Anschuldigung. Ich wusste, dass es war nur Sorge war und keine Boshaftigkeit. Sebastian sah mich an und nickte mir dann kaum merklich zu. Wir hatten uns verstanden. Er stellte die Flasche wieder ab und ging zu Jan in die Küche, der gerade die Einkäufe aus den Tüten und in die Schränke räumte.
»Okay!« Sebastian klatschte in die Hände. »Wer hilft beim Salat-Schnippeln?« Hiro und ich hoben beide wie in der Schule die Hand und prusteten dann gleichzeitig los vor Lachen. Sebastian grinste und die getrübte Stimmung, die einige Augenblicke zuvor noch im Raum spürbar gewesen war, war vergessen.
Hiro und ich wurden dazu verdonnert, Tomaten, Gurken und Zwiebeln für einen Salat in kleine Stücke zu schneiden. Die beiden Brüder schichteten in der Zwischenzeit die Lasagne in eine Auflaufform.
Wir verbrachten einen gemütlichen Abend zusammen. Zu viert bereiteten wir das Essen zu, aßen, tranken und lachten viel. Ich genoss die ausgelassene Stimmung, obwohl sie für mich so ungewohnt war, dass es mir manchmal etwas surreal vorkam. Wie in einem Märchen oder einem Traum. Ich wollte nicht erwachen.
Es war so schön und vertraut, dass es mich schmerzlich daran erinnerte, wie sehr mir in den letzten Jahren eine Familie gefehlt hatte.
Wie sehr mir Jan gefehlt hatte.
Ein Versuch
Wie jede Nacht lag ich wach im Bett und erhoffte mir zumindest ein paar Stunden erholsamen Schlaf. Aber mein Hirn rotierte. Immer. Vor allem im Dunkeln, wenn ich alleine war. Erst recht, seit ich nichts mehr genommen hatte. Es kam mir sogar so vor, als brächen die vielen Gedanken, die ich mit Hilfe von Drogen und Alkohol zu unterdrücken versucht hatte, jetzt alle auf einmal auf mich ein. Konnte mich nicht einfach irgendwer k. o. schlagen, damit ich endlich aufhörte nachzudenken und ein paar Stunden Bewusstlosigkeit erhaschen konnte?
Resignierend lag ich auf dem Rücken, hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt und blickte an die Decke. Wenn draußen ein Auto vorbeifuhr, glitten Lichtstreifen an ihr entlang. Zumindest ein wenig Unterhaltung, während ich hier einfach nur dalag und mit Gewalt versuchte, mich zum Schlafen zu zwingen, was natürlich nicht von Erfolg gekrönt war.
Ich zuckte vor Schreck zusammen, als sich aus heiterem Himmel leise die Zimmertür öffnete. Jan streckte den Kopf hinein und schaute sich um. In meinem Zimmer war es jedoch so dunkel, dass er nicht sah, dass ich wach war und ihn mit weit aufgerissenen Augen anstarrte. Was wollte er hier?
Er betrat den Raum und schloss die Tür leise hinter sich. Auf Zehenspitzen tapste er zu mir und setzte sich sachte auf den Rand meines Bettes.
Dort blieb er sitzen. Er bewegte sich nicht und hatte sein Gesicht in den Händen vergraben. Er dachte eindeutig nach. Aber das Wichtigste: Was zum Teufel machte er hier?
Eine Weile betrachtete ich ihn, wie er so mit dem Rücken zu mir saß. Er