Geballte Ladung Liebe - Katharina Wolf Sammelband. Katharina Wolf
warum nicht?«
Ich hob mein Gesicht und sah ihn einfach nur an. Warum wohl? Natürlich wegen dir. Ich konnte im Gegensatz zu dir nicht ohne Weiteres neu anfangen, weil ich dich in all den Jahren nicht vergessen konnte! Weil mein Herz dir gehörte. Ich habe mich in dem Moment in dich verliebt, als du mich in der Bibliothek angesprochen hast. Und das wahrscheinlich für immer.
All das dachte ich, aber ich schwieg. Ich hatte schon zu viel von mir preisgegeben.
Zu Hause
Ich war so unglaublich hilfsbedürftig und kam mir vor wie ein kleines Kind. Mit einem gebrochenen Bein konnte man so gut wie nichts alleine tun. Ich humpelte wie ein Zombie mit zwei Krücken klackernd durch die Wohnung. An Duschen war gar nicht erst zu denken und beim Baden legte ich mein eingegipstes Bein auf den Badewannenrand und gab mein Bestes, nicht zu ertrinken. Aber das Schlimmste war: Es juckte. Es juckte erbärmlich!
»Nora, das ist eklig.« Seine Abneigung betonte Sebastian mit jeder Silbe. Er sollte mal nicht so übertreiben. Nur weil ich versuchte, mich mit der Gabel unter meinem Gips zu kratzen. Hier am Essenstisch lag nun mal nichts anderes in greifbarer Nähe, das mich als Kratzhilfe unterstützen könnte.
Seit einigen Minuten - gefühlten Stunden – gingen wir gemeinsam die komplette Hochzeitsplanung noch einmal durch.
Jan schnarchte hinter uns auf dem Sofa und bekam nichts von Sebastians angehender Panik mit. Hiro gab alles, um ihn zu beruhigen, aber es war hoffnungslos. Es waren nur noch wenige Tage bis zu ihrem großen Tag. Dem Tag, den Sebastian sich so perfekt vorstellte, dass er niemals an seine Vorstellungen herankommen können würde.
Wieder und wieder sortierte, kontrollierte und hinterfragte er sämtliche Verträge und Dokumente. Blumen, Catering, Auto, Band, Fotograf ... Ich hatte bereits auf Durchzug geschaltet.
»Bestimmt haben wir etwas Wichtiges vergessen. Irgendetwas ganz Essenzielles. Wie, wenn man Stunden den Koffer für den Urlaub packt und am Ende keine Socken dabei hat.« Sebastian raufte sich die Haare und seufze theatralisch. Jan schmatzte daraufhin hinter mir und wälzte sich auf dem Sofa einmal von der linken auf die rechte Seite. Eines der Kissen landete auf dem Boden.
»Quatsch.« Hiro streichelte Sebastian über den Rücken. »Nichts war je so gut geplant. Nicht mal die Mondlandung.«
»Na ja, ein kleines, ganz klitzekleines Problem könnte es eventuell geben ...«, wisperte ich und legte meine Stirn sorgenvoll in Falten. Sebastians Augen weiteten sich und er starrte mich entsetzt an.
»Was?« Er schien kurz vor einem Nervenzusammenbruch zu stehen.
»Na ja, deine Trauzeugin wird wohl in Jogginghose und mit nur einem Schuh ihre Unterschrift leisten müssen. Ich hoffe, das stört dich nicht weiter.« Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. »Sieht eventuell etwas seltsam auf den Hochzeitsfotos aus, aber ich dachte da an eine Federboa und an einen krassen neonfarbenen Hut im Royal-Style, um den Rest zu kaschieren.« Hiro grunzte vor Lachen und sogar Sebastian schien lange nicht so geschockt, wie ich es erwartet hatte.
»Als hätte ich je damit gerechnet, dass du ein elegantes Kleid in deiner Garderobe finden würdest ...«
»Ich wollte mir echt noch eins kaufen, aber dann kam das dazwischen.« Ich zeigte unnötigerweise auf meinen Gips, der nicht nur plump aussah, sondern mittlerweile auch mit zahlreichen, eher unschönen, Zeichnungen verziert war. Hauptsächlich von Hiro der regelmäßig mit mir auf meinem Bein Tic-Tac-Toe spielte. Von wem der gigantische Penis mit Zylinder und Schnurrbart stammte, wusste ich nicht. Den musste wohl jemand geschaffen haben, während ich geschlafen hatte.
»Ich kümmere mich um dein Outfit ... wie immer.« Er zwinkerte mir zu und verstärkte damit mein ungutes Gefühl in der Magengegend.
»Jan, du hilfst, oder?«, rief Sebastian in Richtung Wohnzimmer.
»Klar«, kam es leise zurück.
Ich wandte meinen Blick zu Jan, der in Pyjamahose und oberkörperfrei auf dem Sofa hockte. Die Decke war inzwischen auf den Boden gerutscht. Da saß er, müde im Schneidersitz und fuhr sich mit den Fingern durch das zerzauste Haar. Als er einen Schluck Mineralwasser direkt aus der Flasche trank, fiel mir auf, wie muskulös seine Oberarme waren. War er damals auch schon durchtrainiert gewesen? Ich erwischte mich dabei, wie ich ihn anstarrte, und blickte beschämt und mit rasendem Puls wieder geradeaus.
»Okay, Bruderherz, zieh dich an, wir gehen shoppen!«
Jan gab keine Widerworte, streckte sich noch mal genüsslich, gähnte und stand auf. Neben der Couch lag seine Sporttasche, die momentan die Rolle eines Kleiderschrankes übernommen hatte. Er kramte in ihr nach einer Jeans und einem Pullover. Dann drehte er sich in unsere Richtung und ich schaute weg.
Ich hatte nur einen kurzen Blick auf seine Bauchmuskeln und die weichen Härchen um seinen Bauchnabel erhaschen können, doch das hatte schon genügt. Ich kam mir vor wie ein Stalker und merkte, wie meine Ohren heiß wurden. Oh Gott, nein, ich wurde rot! Wie peinlich! Und mit dem Gips am Bein konnte ich nicht mal schnell vor Scham das Weite suchen.
Ich musterte die Maserung des Tischs vor mir und versuchte, meinen Herzschlag wieder unter Kontrolle zu bekommen. Ich war so eine Idiotin. Ich war die Königin aller Idiotinnen! Warum reagierte ich so auf ihn? Warum konnte ich das einfach nicht abschalten? Ich war doch kein Teenie mehr.
»Hiro, du bleibst hier bei Nora, okay?
»Klar, bin gerne der Babysitter.«
Ich schaute ihn böse an und er lachte auf eine fiese Art und Weise.
»Du kannst ruhig auch mitgehen. Ich brauche keinen Aufpasser.«
»Klar brauchst du einen«, gab Sebastian bissig zurück. »Schau dich doch mal an!« Ich zog einen Schmollmund und schaute ihn böse an.
»Ich bin 24 Jahre alt!«
»Ja, und ziehst dir direkt ‚ne Line Crack rein, sobald du alleine bist.« Er zeigte mit dem Finger drohend auf mich.
»Alter, Sebastian ... Krieg dich wieder ein. Erstens zieht man sich Crack nicht rein. Crack raucht man! Und zweitens hab ich nichts da. In meinem Zustand werde ich mir schlecht was besorgen können und von ‚nem Lieferdienst weiß ich noch nichts. Also keine Panik!«
Sebastian schnaubte einmal verächtlich als Antwort und ging dann mit stampfenden Schritten Richtung Schlafzimmer. Dort knallte er die Tür so laut zu, dass der Kalender im Flur von der Wand fiel und wir alle vor Schreck zusammenzuckten. Ein unangenehmes Schweigen breitete sich in der Küche aus und ich schaute beschämt auf den Tisch. Einige Minuten später kam er wieder zurück und rief Jan zornig zu sich. Es erinnerte mich ein wenig daran, wie ein Herrchen seinen Hund zum Gassi gehen rufen würde. Beide zogen sich dick an und verließen die Wohnung, ohne sich zu verabschieden. Dafür verzichtete Sebastian nicht darauf, die Wohnungstür noch einmal ordentlich ins Schloss fallen zu lassen. Ich zuckte zusammen und atmete dann erleichtert aus. Ich blickte zu Hiro, der mir immer noch gegenüber saß.
»Sorry, ich wollte nicht ...«
»Mach dir nichts draus. Er ist eigentlich nicht sauer. Er ist nur krank vor Sorge. Verständlich, oder?«
Ich zuckte mit den Achseln. Sebastian übertrieb maßlos. Er verhielt sich wie eine Glucke.
»Na ja, jetzt haben wir zumindest erst mal ein paar Stunden Ruhe«, sagte Hiro erleichtert und lehnte sich zufrieden auf seinem Stuhl zurück.
»Wir?« Ich zog die Augenbrauen spöttisch in die Höhe. »Wie redest du bitteschön von deinem Zukünftigen?«
»Ich bin froh, wenn die Hochzeit vorbei ist. Der Stress tut ihm nicht gut und mir im Übrigen auch nicht.«
»Er kann ziemlich zickig sein, stimmt‘s?« Ich schmunzelte, immerhin kannte ich Sebastian schon recht lange und gut.
»Kann er! Ist er aber nur, wenn er gestresst und schlecht gelaunt ist ... oder wenn seine beste Freundin mit drei vollkommen fremden, zwielichtigen Gestalten, die zudem alle