Geballte Ladung Liebe - Katharina Wolf Sammelband. Katharina Wolf
wollte die ganze Zeit schon was von Jan und ... ach ich weiß ja auch nicht ... es war falsch.«
Was sollte ich nun dazu sagen? Ich war sprachlos. Bedeutete das, es war ein abgekartetes Spiel? Mein Puls raste.
»Es war meine Schuld, und als ich gesehen habe, wie Jan dich anschaut, auch jetzt noch ...« Er beendete den Satz nicht und schüttelte nur den Kopf. »Wir hätten euch nicht auseinanderbringen dürfen.«
Das war wie ein Startschuss für mich. Ich sah rot, holte aus und schlug ihm mit der flachen Hand auf die rechte Wange. Er zuckte nicht zurück, presste nur die Augen schmerzhaft zusammen, als hätte er damit gerechnet. Ich holte ein weiteres Mal aus und gab ihm auch auf die andere Seite eine schallende Ohrfeige.
Das tat gut. Auch wenn meine Hand nun unangenehm pochte und brannte. In mir herrschte Chaos und doch schlussfolgerte mein Hirn eines richtig: »Jan hat dich deshalb verprügelt, oder?«
Er schwieg einige Sekunden, bevor er weitersprach.
»Bevor ich zu dir gekommen bin, habe ich es Jan gebeichtet. Ich wollte das einfach loswerden und, na ja, er hat ähnlich reagiert wie du. Nur fester und mit der Faust. Und bei zwei Hieben hat er auch noch nicht aufgehört. Aber das hatte ich wohl verdient.«
»Oh ja, das hast du! Und wenn ich könnte, würde ich dir noch mehr Schmerzen zufügen.«
Wir stierten uns einige Sekunden schweigend an. Dann seufzte Pablo und strich sich über seine geröteten Wangen, die nun noch zu seinem malträtierten Auge, der geplatzten Lippe und der geschwollenen Nase hinzugekommen waren.
»Ich geh dann mal, es tut mir wirklich leid.«
Ich nickte ihm kaum merklich zu und widmete meine Aufmerksamkeit dann wieder dem Blick aus dem Fenster. Als ich hörte, wie die Tür leise ins Schloss fiel, konnte ich ein leichtes Beben meines Kinns nicht mehr unterdrücken. Mehr ließ ich nicht zu. Ich heulte nicht. Aber an Schlaf war auch nicht mehr zu denken. Also betrachtete ich das trübe Wetter und wünschte mir, etwas würde mich von meinen genauso trüben Gedanken ablenken, oder sie am besten ganz ausschalten.
Zwei unglaublich lange und quälende Stunden später – ich hatte die Zeit genutzt, um vor mich hin zu grübeln, Pfefferminztee zu trinken, und mich bemüht, nicht verrückt zu werden – kam Jan.
Er klopfte, öffnete zaghaft die Tür und setzte sich dann ohne Begrüßung, dafür aber mit einem betrübten Gesichtsausdruck, neben mich. Wir schwiegen. Nun sah er aus dem Fenster. Die Stille war beklemmend und in keiner Weise angenehm. Mehr eine Ruhe vor dem Sturm. Ich musterte meine Bettdecke und löste einen Faden, den ich mit den Fingernägeln immer weiter herauszog. Sein Seufzen ließ mich zusammenzucken. Er kratzte sich am Hinterkopf und rieb sich mit den Händen erschöpft über die Augen. Seine Hände sahen schlimm aus. Die Knöchel waren blutig verkrustet und geschwollen. Der Anblick erschreckte mich.
»Vor vier Jahren ...«, begann er plötzlich zu sprechen und sah mich an. Ich hielt seinem Blick stand. »Da habe ich dich vernachlässigt, oder?«
Ich regte mich nicht, wagte es nicht, zu blinzeln oder zu atmen. Ich schaute ihn einfach weiter an. »Ich wollte nur so schnell wie möglich unabhängig sein. Mein eigenes Geld verdienen und endlich fest angestellt sein. Ich wollte eine Zukunft mit dir. Glaubst du mir das? Aber am Ende ... am Ende blieb mir nichts.« Er seufzte ein weiteres Mal und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Weißt du, dass sie niemanden übernommen haben?« Ich sah ihn fragend mit zusammengezogenen Augenbrauen an. »Meine Chefs von früher. Sie haben uns Azubis rackern lassen wie Packesel und am Ende haben sie keinen übernommen. Scheint eine Strategie zu sein. Sie lassen billige Azubis und kostenlose Praktikanten die ganze Arbeit machen und tauschen die dann alle paar Jahre einfach aus.«
Das hatte ich nicht gewusst. Woher auch? Nach allem, was Jan geleistet hatte, was er hatte aufgeben müssen ... Das war nicht fair.
»Ich arbeite jetzt in einer anderen Agentur. Kein Vergleich zu meiner letzten Arbeitsstelle. Dort habe ich zum ersten Mal gesehen, wie man tatsächlich mit Auszubildenden umgeht. Ich war wirklich dumm und naiv.«
Ja, das war er wahrscheinlich. Aber ich hatte den Versprechungen ja auch geglaubt.
Ich schaute wieder aus dem Fenster. Was sollte ich dazu sagen? Was erwartete er denn von mir?
Absolution?
»Wann darfst du aus dem Krankenhaus?« Jan schien bemüht zu sein, das Thema schnell zu wechseln. Ihm war die Situation wohl gerade genau so unangenehm wie mir.
»Morgen, denke ich.«
»Ich hol dich ab.«
Entlassung
Mein Bein war zwar noch immer eingegipst, die Schnittwunden an Brust, Hals und im Gesicht jedoch fast komplett verheilt. Und auch meine Rippen schmerzten lange nicht mehr so sehr wie direkt nach dem Unfall.
Ich durfte also nach Hause.
Meine Tasche war bereits gepackt, die Visite war auch schon da gewesen und ich saß nun auf der Bettkante und hatte mir einen Schuh angezogen. Den anderen hielt ich unschlüssig in der Hand. Zwei graue Krücken, die nun wohl für die nächsten Wochen meine Begleiter sein würden, lagen quer auf meinem Schoß. Ich wartete und hoffte bis zur letzten Sekunde, dass mich vielleicht doch Sebastian oder Hiro abholen würden. Aber leider wurden meine Gebete nicht erhört. Nach drei kurzen Klopftönen öffnete sich die Tür und Jan trat herein.
»Zieh dich dick an, draußen ist es schweinekalt«, begrüßte er mich und rieb dabei die behandschuhten Handflächen aneinander. Dann trat er näher an mich heran und gab mir einen Kuss auf die Wange. Ich zuckte nicht mehr zurück. Auf schräge Art und Weise schien ich mich während meines Krankenhausaufenthaltes an seine Nähe gewöhnt zu haben. Ich würde es noch bereuen, dessen war ich mir sicher. Seine Berührungen und zaghaften Zärtlichkeiten machten süchtig. Und ich würde in ein verdammt tiefes Loch fallen, sobald sie nicht mehr mir galten. Ich hatte Angst davor. Angst vor diesem Fall. Ich wusste, wie es sich anfühlte, und ich hatte kein Interesse an einem weiteren Höllentrip.
Auf der Fahrt nach Hause sprachen wir kein Wort. Das Schweigen war mittlerweile unser steter Begleiter. Ich betrachtete die Umgebung. Alles war grau und nass. Die Menschen trugen Schals, Handschuhe und Mützen, die sie sich tief ins Gesicht zogen. Es war das typische deutsche Dezemberwetter. Aber eigentlich konnte mir die momentane Witterung mehr als egal sein, denn ich konnte mit meinem eingegipsten Bein eh nichts tun. Okay, ins Bad oder zum Kühlschrank humpeln, das würde funktionieren. Lange Spaziergänge im Regen schieden jedoch eher aus.
Jan schloss die Haustür auf und trug meine Tasche hinein.
»Woher hast du den Schlüssel?«
»Hiro hat ihn mir gegeben. Sie sind beide nicht da. Sie sind auf einem Termin, um noch irgendwas für die Hochzeit zu besprechen. Frag mich bitte nicht, was. Ich hab den Überblick verloren.«
Wem sagte er das? Die Hochzeit war schon bald und ich hatte kein Kleid, am ganzen Körper unschöne Verletzungen und als Höhepunkt noch einen dicken Verband am Bein. Auf Highheels würde ich wohl oder übel verzichten müssen. Dieser Gedanken ließ mich unerwartet grinsen.
Mein Zimmer war wohl in meiner Abwesenheit aufgeräumt und geputzt worden. Zumindest lag keine Wäsche mehr auf dem Boden und sogar meine Schlafcouch war mit einer weiß-rosafarbenen Blümchenbettwäsche frisch bezogen. Ich räumte meine Tasche aus und zog mir etwas Bequemeres an. In einer weiten Jogginghose und Spaghettiträgertop humpelte ich mit Hilfe meiner Krücken in Richtung Küche.
Ich erstarrte noch an der Türschwelle.
Jan. Er war noch immer hier. Was hatte ich erwartet? Das zumindest nicht. Er stand mit dem Rücken zu mir und kochte. Ein verstörender Anblick. Er schien mich bemerkt zu haben, denn er schaute über seine Schulter nach hinten und lächelte mich an.
»Da bist du ja. Setz dich doch schon mal. Das Essen ist auch bald fertig.«
Ich setzte mich ohne Widerworte hin, legte den Kopf in einer resignierenden Geste auf den Tisch und sah Jan beim