Geballte Ladung Liebe - Katharina Wolf Sammelband. Katharina Wolf
er da wohl falsch verstanden. Wir lachten viel, vor allem über die erschrockenen Gesichter der beklauten Nikoläuse, die sich plötzlich über ihre kalten Ohren wunderten und ihm mit erhobener Faust hinterherjagten. Es war so lustig und die Stimmung so ausgelassen, dass es mir sogar gelang, Jans Anwesenheit auszublenden. Ich hielt mich an Sebastian und Christian, der aus irgendwelchen mir nicht ersichtlichen Gründen einen Narren an mir gefressen hatte.
Irgendwann sah Jan auf die Uhr und zog die Augenbrauen eng zusammen. Dann schaute er auf und zum ersten Mal seit Stunden trafen sich unsere Blicke. Ich drehte mich um und trank meinen Glühwein auf einmal aus. Ein kalter, letzter Schluck. Eklig.
»Wir müssen bald weiter«, sagte Jan zu uns allen.
»Hast du noch etwas geplant?«, fragte Sebastian mit leuchtenden Augen und ziemlich schwerer Zunge.
»Klar. Aber zum Abschluss fahren wir noch eine Runde Riesenrad. Einverstanden?« Jan schaute in die Runde und erntete die Zustimmung aller Beteiligten. Mittlerweile war es bereits düster. Überall blinkte es festlich und das große, hell erleuchtete Riesenrad konnte man schon von weitem erkennen. Wir rannten beflügelt von guter Laune und reichlich Alkohol in Richtung der heiß begehrten Attraktion. Vor uns befand sich eine Schlange und wir stellten uns brav hinten an. Vorfreude machte sich breit. Ich bestaunte die vielen Gondeln und fragte mich gleichzeitig, ob sie womöglich beheizt wurden. Mittlerweile fror ich ziemlich und hauchte mir immer wieder warme Luft in meine Hände.
Nach und nach stiegen einzelne Dreier- und Vierergruppen in die runden Gondeln ein. Alle wirkten so glücklich. Es war ein wunderbarer Abschluss eines schönen Tages.
Am Ende waren nur noch Sebastian, Christian, Jan und ich übrig. Der freundliche Mitarbeiter, der eine rot-blau-karierte Pudelmütze und einen dunkelblauen Mantel trug, hielt die Tür der nächsten Kabine auf und ich stieg ein. Alles begann zu schwanken und ich musste mich links und rechts an der Wand festhalten. Das war kein Problem, denn viel breiter war es hier nicht. Ich rutschte bis ganz hinten durch, setzte mich dort auf die gepolsterte Bank und sah Jan, der nach mir einstieg. Bevor jedoch auch Sebastian und Christian unsere Gondel betreten konnten, drehte sich Jan um.
»Wir möchten unter uns bleiben«, sagte er dem Mitarbeiter, der ganz schön verdutzt dreinschaute, und schloss die Tür.
»Was?«, schrie ich entsetzt und wollte schnell wieder aussteigen. Ich wurde hier entführt. Also nicht so richtig, aber fast!
Draußen sah ich Sebastians ebenfalls erschrockenes Gesicht. Seine Augen waren weit aufgerissen und er schien etwas zu sagen, doch ich konnte es durch die geschlossene Tür nicht verstehen. Er hatte davon anscheinend nichts gewusst und überlegte nun bestimmt, ob er mich retten musste. Die Gondel setzte sich in Bewegung und wir hoben ab. Ich war gefangen. Langsam drehte sich Jan zu mir um und schaute mich an.
»Was soll der Scheiß?«, platzte es aus mir heraus.
»Ich wollte mit dir alleine sein.«
»Schön für dich. Aber ich nicht mit dir! Schon mal daran gedacht?«
»Das ist mir jetzt einfach mal egal.«
Ich verschränkte die Arme vor der Brust und sah absichtlich aus dem Fenster rechts neben mir. Das Glas war beschlagen. Um uns herum war alles dunkel. Tiefe Nacht. Dabei war es noch gar nicht so spät. Nur die anderen Buden des Weihnachtsmarktes leuchteten tief unter uns. Unter normalen Umständen könnte die gemütliche Kabine, die von zahlreichen Lichterketten in warmes, orangerotes Licht getaucht wurde, sogar romantisch wirken.
Ich spürte, wie sich Jan neben mich setzte. Das Polster senkte sich leicht, aber ich schaute weiter stur in die andere Richtung. Was sollte das, verdammt? Immerhin war ich hier in schwindelerregender Höhe gefangen und hatte keine Chance zu fliehen. Ich konnte mich höchstens hinunterstürzen. Doch beim Blick in die Tiefe runzelte ich die Stirn. Ganz schön hoch.
»Wie geht es dir?« Er durchbrach die Stille, was mich zusammenzucken ließ. Alles in mir verkrampfte sich.
»Hey super, ich werde nur gegen meinen Willen hier festgehalten!«, gab ich zickig zurück.
»Dass es dir mit mir so unangenehm ist ...« Er sprach den Satz nicht zu Ende und seufzte traurig. Ich erhob mich und setzte mich gegenüber von ihm auf die Bank, um ein wenig mehr Abstand zwischen uns zu schaffen. Ich wollte nicht, dass sich unsere Oberschenkel oder Knie berührten. Resignierend atmete ich ein und stöhnend wieder aus.
»Was willst du, Jan?«
»Ich möchte, dass wir uns gut verstehen. Dieses Ignorieren macht mich fertig.«
»Pffft.«
»Nora, ich ...«
»Was, Jan? Was, verdammt noch mal?« Mir wurde es langsam zu bunt. Ich litt unter dieser scheiß Situation. Ich wollte das nicht. Mein Herz schlug so laut, dass es Sebastian und Christian in der Gondel unter uns noch hören mussten, und mein Magen tat weh. Ich spürte Tränen in meinen Augen.
Nein, nein, nein.
Ich wollte das nicht. Und ich würde ganz bestimmt nicht vor Jan weinen. Er sollte einfach ruhig sein. Solange schweigen, bis wir wieder Boden unter den Füßen hatten und ich wieder genügend Abstand zwischen uns bringen konnte. Es war mir den ganzen Abend gelungen und nun machte er alles kaputt.
»Nora, bitte. Du bedeutest mir immer noch etwas ...« Eine Träne, die durch Wimpern brach und sich unaufhaltsam ihren Weg nach unten bahnte. Jan sah es und streckte zaghaft eine Hand nach mir aus. Er berührte meine Wange und ich zuckte zurück. Es war fast wie ein Stromschlag.
»Nora, du warst meine erste große Liebe. Ich möchte nicht, dass es so endet.«
»Aber es hat genau so geendet. Genau so. Jan, es ist vier Jahre her. Hast du überhaupt eine Ahnung, was ich in den letzten vier Jahren durchgemacht habe?«
»Meinst du, für mich war es leicht?« Er wirkte irgendwie verzweifelt und ich entdeckte eine Falte zwischen seinen Augenbrauen, die mir bislang fremd war.
»Du hast dir zumindest ziemlich schnell Trost gesucht«, gab ich gehässig zurück.
»Sei nicht unfair!«
»Unfair? Wer sperrt mich denn hier ein?«
Wir wurden immer lauter und ich fast hysterisch beim Gedanken an Fernanda. Ich hatte keinen Nerv mehr dafür!
»Du wirst es doch verdammt noch mal fünf Minuten mit mir in einem geschlossenen Raum aushalten können.«
»Nein!« Meine Stimme bebte. »Jan, ich kann das nicht.« Meine zitternden Hände krallten sich in meine Kopfhaut. Wie gebannt starrte ich auf meine Schuhe und hoffte einfach nur, dass diese Fahrt bald ein Ende nehmen würde. »Nora.« Beim Klang meines Namens schaute ich auf und sah in Jans Augen. Was war das? Ich konnte meinen Blick nicht abwenden. Jans Augen strahlten das aus, was ich in den letzten Tagen so oft vermisst hatte. War es Reue? Bedauern? Liebe? Ich konnte nicht wegschauen. Was er wohl in meinen Augen sah?
Jan bewegte sich langsam auf mich zu. Ich ahnte, was kommen würde, aber ich war wie in Trance. Sein Blick fesselte mich, machte mich sprachlos, bewegungsunfähig. Noch bevor ich etwas sagen konnte, küsste er mich. Meine Augen weiteten sich voll Entsetzten.
Was zur ...?
Er küsste mich.
Jan.
Mein Jan.
Ich seufzte in den Kuss hinein. Es war so vertraut, so schön.
Mein Jan.
Er vertiefte den Kuss und zog mich näher an sich heran, bis ich auf seinem Schoß saß. Ich wollte nicht, dass es aufhörte.
Seine Lippen. Seine Zunge.
Sein Atem, der mein Gesicht streifte.
Ich war süchtig danach und schon viel zu lange ohne ausgekommen. Er war meine Droge und keine andere konnte mit ihm mithalten.
Irgendwann löste er sanft seine Lippen von meinen. Er verteilte kleine, zuckersüße Küsse auf meinem rechten Mundwinkel