Geballte Ladung Liebe - Katharina Wolf Sammelband. Katharina Wolf
und atmete resignierend aus. Dabei sah ich heute ganz präsentabel aus ... Das dachte ich zumindest.
»Oh Mann, da hab ich ja eine tolle Begleitung. Zum einen ein Mädel, das tatsächlich der Meinung ist, dass diese Schuhe gut aussehen«, er zeigte auf meine Boots und zog dabei eine Augenbraue hoch, »und zum anderen einen ignoranten Kerl, dem es vollkommen egal ist, ob ich etwas zum Anziehen habe oder nicht.«
Hiro umrundete mich und legte einen Arm um die Taille seines Verlobten. Dann gab er ihm einen Kuss auf die Schläfe und ließ seinen Kopf auf Sebastians Schulter nieder.
»Mir gefällt doch alles an dir, das ist die rosarote Brille«, sagte er zu Sebastian und küsste ihn ein weiteres Mal. Das war so ungewohnt süß von Hiro, dass ich beschämt wegschaute. Auch Sebastian bekam rote Wangen.
Die beiden schafften es tatsächlich, mich etwas neidisch zu machen, auch wenn ich ihnen ihr Glück wirklich von Herzen gönnte.
Begleitet von dem schrillen Läuten der Türklingel betraten wir einen pikfeinen Laden. Überall sah ich Anzüge und Kleider in allen Formen und Farben. Drei Stockwerke voller Seide, Leinen, Rüschen, Glitzer, Pailletten und noch so einigem mehr. Da wurde einem ja schwindelig.
Hiro und Sebastian ließen sich ausführlich von einem Verkäufer mit schütterem Haar beraten und da ich mich, um ehrlich zu sein, mit Anzügen, Schnitten und Stoffen eh nicht auskannte, ging ich zu den bunten Kleidern, die etwas weiter hinten aufgereiht waren. Dann stand ich ihnen auch nicht im Weg.
Mir fiel sofort ein grünes Cocktailkleid ins Auge. Ich mochte die Farbe. Es leuchtete angenehm und der Schnitt sah gleichzeitig elegant, aber auch verspielt und etwas frech aus. Schwarze Spitze an Ärmeln und Dekolleté ließen das Kleid ein klein wenig verrucht wirken. Nicht allzu brav. Das würde eh nicht zu mir passen. Ich musste grinsen. Vielleicht sollte ich das Kleid ja mal anprobieren? Immerhin würde ich ebenfalls ein Outfit für die Trauung brauchen. Sebastian würde ausrasten, wenn ich seine Hochzeitsfotos mit meinem alten, grauen Hosenanzug verschandelte.
Am besten wäre es wohl, wenn ich nächste Woche noch mal herkommen würde. Heute sollte ich mich auf Sebastian konzentrieren, bevor er ausrasten und wild mit Krawatten um sich werfen würde. Ich hing das Kleid wieder zurück, strich noch mal mit Fingerspitzen den zarten Stoff entlang und ließ meinen Blick dann weiter die Kleiderstange entlangwandern.
Im Hintergrund hörte ich die Glocke der Ladentür läuten, war aber gerade zu sehr damit beschäftigt, ein pinkfarbenes Monstrum aus mehreren Lagen Tüll zu begutachten. Ich hielt das Teil vor mich und betrachtete mich belustigt im Spiegel.
»Sebastian, schau mal, das ist krass lächerlich«, gab ich lachend von mir, drehte mich um und stand plötzlich vor Jan.
Ich erschrak so sehr, dass ich mich verschluckte und wild hustete.
»Alles okay?« Jan klopfte mir etwas unbeholfen auf den Rücken und ich wich automatisch einen Schritt zurück. Den pinken Tüll hielt ich schützend zwischen uns. Er durfte mich nicht berühren, denn wenn er das tat, keimten Gefühle in mir auf, die ich schon längst tot geglaubt hatte.
Weg damit. Ich wollte diese Gefühle nicht.
»Pink ist nicht so deine Farbe, finde ich«, sagte Jan und dachte wohl, er sei lustig. Fehlanzeige. Ich schaute ihn böse an und hing das Kleid schweigend wieder zurück an die Stange. Er winkte ab. »Na ja, aber ich hab ja auch keine Ahnung.«
»Stimmt. Außerdem geht‘s heute nicht um mich, sondern um Sebastian. Also sollten wir mal schauen, dass er nicht vor lauter Verzweiflung noch Hiro tötet.«
Ich versuchte, schnell von mir abzulenken, und, soweit es eben ging, normal mit Jan umzugehen. Nach der Aktion in der Bibliothek war das leichter gesagt als getan. Aber verdammt, wir waren nun mal beide Trauzeugen. Ignorieren ging da nicht. Wir würden wohl oder übel miteinander auskommen müssen. Irgendwie.
Ich sah Sebastian mit einem dunkelblauen Bündel in der Umkleidekabine verschwinden. Hiro schob den Vorhang einige Zentimeter auf die Seite und streckte seinen Kopf hinein. Man hörte Sebastian leise fluchen und Hiro kicherte. Mit den beiden unterwegs zu sein war ein wenig wie eine Comedyshow anzuschauen.
Jan stand neben mir und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Er grinste und zeigte dabei lustige Lachfältchen um die Augen.
Lachfältchen.
Jan hatte in den letzten Jahren tatsächlich Falten bekommen. Wir wurden nun mal alle nicht jünger. Leider konnte ich nur wenig Schadenfreude verspüren, da ihn das irgendwie noch viel anziehender machte. Der Typ hatte den Zenit des guten Aussehens noch nicht erreicht. Er würde irgendwann mit grauen Schläfen und netten Fältchen um Mund und Augen immer noch richtig sexy aussehen. George Clooney wurde schließlich auch von Jahr zu Jahr heißer.
»Sag mal, was war das eigentlich? Das in der Bibliothek ...«
Ich ignorierte seine Frage und schaute einfach weiter auf Hiros Rücken. Mein Herz hatte kurz ausgesetzt und mir war schlecht. Ich presste meine Hände auf meinen schmerzenden Magen und hoffte, dass die Übelkeit schnell vergehen würde. Was sollte ich denn bitteschön dazu sagen? Zum Glück kam in diesem Moment Sebastian aus der Umkleide und drehte sich vor einem Spiegel. Er posierte, lief einen Schritt zurück, betrachtete sich von hinten und seufzte dann theatralisch.
»Die Hose ist zu lang«, nörgelte er in Hiros Richtung, woraufhin sich der bemühte Verkäufer mit zahlreichen Nadeln im Mundwinkel vor ihn hinkniete und die Hosenbeine umschlug.
»Hiro, wie findest du die Farbe?«
»Eigentlich ganz ...«
»Ich weiß ja nicht.« Er drehte sich noch mal um die eigene Achse und begutachtete sich wieder kritisch. »Also mein Hintern kann durchaus besser aussehen.«
Hiro schaute sich hilfesuchend nach uns um.
»Ich finde, du hast ‚nen geilen Arsch in der Hose«, rief ich daraufhin Sebastian zu und pfiff zwischen den Zähnen.
»Meinst du?« Er machte große, hoffnungsvolle Augen. »Nein, warte. Bringen Sie mir den bitte in Anthrazit?«
Sebastian verschwand wieder in der Kabine und nachdem der Verkäufer den Laden einmal auf den Kopf gestellt hatte, reichte er ihm diverse Kleidungsstücke hinein.
Dieses Schauspiel wiederholte sich einige Male. Hiro war genervt und die Glatze des Verkäufers glänzte vor Schweiß.
»Sag schon, woher kennst du Pablo?« Jan wollte es einfach nicht auf sich beruhen lassen. Ich konnte ein kleines verzweifeltes Grinsen nicht verbergen. Das war so lächerlich.
»Ist egal, Jan.«
»Nein. Ich habe irgendwie das Gefühl, dass es nicht egal ist.«
Ich schwieg.
Jan ging einen Schritt auf mich zu und stand nun direkt von mir. Er schaute mich genau an. Blickte mir tief in die Augen und legte seinen Kopf etwas schräg. Für einen kurzen Moment blieb die Welt stehen und mein Puls beschleunigte sich.
»Sag‘s mir!«, raunte er leise. Ich spürte seinen Atem in meinem Gesicht.
»Woher kennst du ihn?«, konterte ich mit einer Gegenfrage. Denn das war es, was mich wirklich interessierte. Zu Schulzeiten hatten sich die beiden nie gesehen, dessen war ich mir sicher.
»Er ist Fernandas Bruder.«
Mein Mund stand vor Schock weit offen. Ich starrte Jan vollkommen fassungslos an.
»Das ist nicht dein Ernst?« Ich lachte hysterisch und schüttelte immer wieder den Kopf. »Ihr Bruder«, flüsterte ich wie zu mir selbst und fuhr mir durch die Haare. Was hatte das zu bedeuten? Das konnte doch kein Zufall sein.
»Was, Nora, was?«
»Das ist verrückt!«
»Was ist verrückt? Woher kennst du ihn? Er hat dich nie erwähnt.«
»Warum sollte er auch?« Warum sollte er nur einen Gedanken an mich verschwenden? Ich war aus seinem Leben verschwunden, genau wie Jan aus meinem.