Geballte Ladung Liebe - Katharina Wolf Sammelband. Katharina Wolf
Wein, die er zuvor in der Hand gehalten hatte, war nun leer.
Verdammt. Was war in seinem Leben wohl alles schiefgelaufen?
Zu Hause angekommen schloss ich die Eingangstür mühsam auf. Gar nicht so einfach, wenn man bedenkt, dass ich dabei eine meiner Einkaufstüten mit den Zähnen festhalten musste. Im Flur warf ich den Schlüssel in die dafür vorgesehene Schüssel auf der alten Holzkommode und streifte mir, ohne die Hände dafür zu benutzen, hastig meine Stiefel von den Füßen.
»Mum?«, rief ich in unser knapp 150 Quadratmeter großes Haus hinein.
»Schätzchen, ich bin in der Küche«, hörte ich es aus dem Erdgeschoss schallen und folgte der Stimme. Unsere Küche war nur durch eine Art Theke vom Esszimmer getrennt, daher sah ich, dass der Tisch bereits gedeckt war. Drei Teller mit Besteck, zwei Limonadengläser und ein Weizenglas. Papa würde sich bestimmt ein Feierabendbier gönnen. In der Mitte stand eine Schüssel. Ich erkannte sofort, was darin war.
»Mhm, Tomatensalat!«
Mum lächelte und reichte mir einen Teller mit verschiedenen Wurstsorten.
»Stellst du das bitte rüber? Heute Abend essen wir nur kalt.«
»Passt.« Ich griff nach einer Scheibe Schinken und stopfte sie mir in den Mund. »Ich hab unglaublichen Hunger«, nuschelte ich mit gefüllten Wangen.
»Du hast ja auch reichlich eingekauft. War bestimmt anstrengend.« Mum schaute auf die Tüten, die ich achtlos auf dem Boden abgestellt hatte. Die Wurstplatte war für einen kleinen Moment wichtiger gewesen. Da hatte ich fast meine neuen Errungenschaften vergessen. Aber nur fast!
»Ja! Warte, ich zeig`s dir!« Ich stellte die Platte ab und hechtete zu meinen Einkaufstüten, um meinen neuen Bikini herauszukramen. Die knalligen Sommerfarben brachten meine Augen auch jetzt wieder zum Leuchten. »Schau doch mal, wie schön der ist!«
Doch Mum konnte meine Begeisterung nicht wirklich teilen und musterte den Bikini eher skeptisch, den ich demonstrativ vor mich hielt. »Ziemlich freizügig. Das Oberteil wird nur von zwei dünnen Schnüren am Platz gehalten.«
»Ich mach damit ja auch keinen Leistungssport, sondern liege nur in der Sonne. Da wird schon nichts verrutschen.« Ich lächelte und zeigte ihr auch noch meine neuen Hotpants, die nur etwas mehr Haut verdecken würden. »Die waren auf acht Euro runtergesetzt. Acht Euro! Das ist doch unglaublich!«
Mum rollte mit den Augen. »Zieh das aber bitte nicht in die Schule an.«
»Nee, keine Angst. Ich hab keinen Bock auf doofe Blicke von den Jungs da.« Und die Sprüche von ihnen wollte ich mir auch ersparen. Die Typen in meiner Stufe waren allesamt dermaßen unreif und kindisch, dass sie alleine schon, wenn das Wort Busen im Biologieunterricht fiel, anfingen, dämlich zu kichern oder prollig zu grölen. Nein danke. Auf deren Aufmerksamkeit konnte ich gut und gerne verzichten.
Draußen fiel die Eingangstür ins Schloss und wir konnten hören, wie jemand einen Schlüsselbund in die Schüssel im Flur warf. »Bin da!«, rief die dunkle und gutgelaunte Stimme von meinem Dad. Diesem Ausruf folgten direkt einige derbe Flüche und polternde Geräusche, die mich zuerst zusammenzucken und dann kichern ließen.
»Na, ihr zwei Hübschen? Wer hat seine Stiefel einfach so im Flur liegen lassen?« Er trat durch die Tür ins Esszimmer, legte seinen Aktenkoffer auf eine freie Stelle des Tischs und gab Mum einen Begrüßungskuss. Auch ich bekam ein Kuss auf die Wange. «Ich hab mir fast den Hals gebrochen. Warum genau habe ich eigentlich extra dieses monströse Schuhregal gekauft und zusammengebaut?»
Ich verkniff mir eine Antwort und setzte mein unschuldigstes Lächeln auf.
»Stefan, nimm die Tasche vom Tisch. Jetzt wird gegessen.«
»Endlich, ich hab so einen Bärenhunger. Wir haben nur auf dich gewartet, Papa!«
»Na dann zieh ich mich schnell um, nicht dass meine Tochter verhungert.« Paps schmunzelte und sprintete dann übertrieben schnell in Richtung Schlafzimmer. Allerdings nicht, ohne ein weiteres Mal über meine Schuhe zu stolpern und diese danach wütend in unser Schuhregal zu werfen. So interpretierte ich zumindest das Rumpeln und Knurren im Flur.
Ich begann in der Zwischenzeit damit, Tomatensalat auf meinen Teller zu häufen und hastig ein paar Tomatenscheiben zu verschlingen.
»Sag mal, Sophie, hast du schon Pläne für die Sommerferien?« Mum setzte sich mir gegenüber an den Esstisch.
»Chillen«, nuschelte ich mit vollgestopftem Mund und spießte mit der Gabel zwei weitere Tomatenstücke auf.
»Aha ... Geht’s auch etwas genauer?«
»Einfach entspannen und abhängen. Bibi und die anderen fahren auch nicht weg. Werde also die meiste Zeit mit den Mädels am Weiher liegen, bis ich wie eine braungebrannte Spanierin aussehe.«
»Wer sieht aus wie eine Spanierin?« Paps kam im legeren Jogginganzug ins Esszimmer und setzte sich stöhnend und sich streckend auf den Stuhl neben mich.
»Ich, also bald hoffentlich!«
»Oha, habe ich was Wichtiges verpasst?«
Mama winkte ab und reichte Paps zwei Scheiben Schwarzbrot.
»Nächste Woche gibt’s Zeugnisse, oder Sophie? Haben wir irgendwelche Überraschungen zu erwarten?« Er sah mich erwartungsvoll an. Ich zuckte mit den Achseln. Als ob es schon jemals irgendwelche dramatischen Überraschungen bei meinen Zeugnissen gegeben hätte.
»Alles beim Alten, denke ich. Ich freue mich auf die Ferien. In den nächsten Tagen wird es nochmal anstrengend. Wer denkt, dass es vor den Ferien nichts mehr zu tun gibt, kennt unsere Lehrer nicht.« Ich rollte mit den Augen und erntete ein verständnisvolles Lächeln.
Meine Eltern und ich verbrachten das Abendessen stets miteinander, um ein bisschen gemeinsame Zeit zu verbringen. Nur ganz selten musste Papa länger im Büro bleiben. Manchmal entschuldigte auch ich mich, weil ich noch mit Freunden unterwegs war oder es aus irgendwelchen anderen Gründen nicht pünktlich nach Hause schaffte. Aber ich bemühte mich ansonsten immer, rechtzeitig um 19 Uhr am Esstisch zu sitzen. Das war vor allem meinen Eltern wichtig. Ich würde nicht mehr lange hier bei ihnen wohnen, das war klar. Im nächsten Jahr standen die Abiturarbeiten an und wer weiß, was danach kam. Ich hatte viele Möglichkeiten. Vielleicht ein Studium im Ausland? Oder erst mal ein freiwilliges soziales Jahr? Momentan hatte ich Lust auf alles und zum Glück noch ein Jahr Zeit, um weiter zahlreiche Pläne zu schmieden und mich zu entscheiden.
Nach dem Essen saß ich mit Mum und Papa noch einige Zeit gemütlich vor dem Fernseher. So ließen wir gemeinsam den Tag ausklingen. Wir aßen Vanilleeis und schauten Wer wird Millionär?. Aber schnell wurde ich müde und wünschte meinen Eltern eine gute Nacht.
»Du willst schon ins Bett?« Mama sah mir besorgt hinterher.
»Ja, ich werde vielleicht noch ein wenig lesen, aber ich glaube nicht, dass ich noch lange durchhalte. Es war ein anstrengender Tag und ich bin müde.« Ich gähnte als Bestätigung und streckte mich genüsslich.
»Na dann, schlaf gut«, kam es gleichzeitig von Mum und Paps.
»Ihr auch«, nuschelte ich und unterdrückte mühsam ein weiteres Gähnen. Fast hätte ich mir den Kiefer ausgerenkt.
Ich trottete die Stufen nach oben in den ersten Stock und betrat das Badezimmer. Dort putzte ich mir die Zähne und wusch mir mein Gesicht. Meine langen, braunen, leicht gelockten Haare bürstete ich schnell durch und band sie zu einem dicken Zopf zusammen. Dann betrachtete ich mich im Spiegel. Trotz der vielen Sonne war ich immer noch ziemlich blass. Dafür hatten sich einige Sommersprossen auf meiner Nase gebildet und ich hatte tatsächlich Sonnenbrand auf meinen Ohren. Auf den Ohren! Seltsam, aber so typisch für meine Haut. Da beneidete ich Bibi. Die brauchte im Frühjahr nur zwei Sonnenstrahlen und war sofort knackig braun. Ich hingegen drohte, in der Sonne zu verglühen.
Ich tupfte einige Tropfen Creme auf die Rötung und stellte daraufhin den edel aussehenden Tiegel wieder zurück ins Regal. Wahrscheinlich irgendein übertrieben teures