Blaulicht und Blutmond. Dr. med. Christoph Schenk

Blaulicht und Blutmond - Dr. med. Christoph Schenk


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wir uns auf den Rückweg zur Wache.

      Dieser Einsatz hat mich sehr angegriffen. Rainer und die kleine Susanne rasen durch meinen Kopf. Was passiert mit Rainer? Was wenn die kleine Tochter die Notfallnummer nicht gewusst hätte? Wie lange wird Susanne noch das Leben mit ihrem Vater teilen? Furchtbar...

      Kurz bevor wie unsere Rettungswache wieder erreicht haben, bitte ich Giovanni nochmal bei der kleinen Susanne vorbeizufahren.

      Als ich klingele, öffnet mit Susannes Oma die Tür. Ich erzähle ihr rasch, wie es Rainer bis zu seiner Einlieferung in der Klinik ergangen ist. Sie hingegen erzählt mir, dass ihre Tochter schon zur Klinik los-gefahren ist. Dann frage ich die alte Dame, ob ich nochmal kurz mit ihrer kleinen Enkelin sprechen kann.

      „Susanne, komm nochmal runter. Hier ist jemand, der mit dir reden möchte!“

      Kurze Zeit später kommt die Achtjährige schüchtern die Treppe heruntergeschlendert.

      „Hallo Susanne, ich wollte dir nur noch eben vorm Schlafengehen sagen, wie toll Du das vorhin gemacht hast, als Dein Papa so gezuckt hat!“

      Susanne schaut verlegen zu Boden.

      „Woher kanntest Du denn diese wichtige Telefonnummer?“

      Sie grübelt einige Sekunden, dann antwortet sie wie aus der Pistole:

      „Das haben wir im Kindergarten gelernt!“

      „Wahnsinn“, denke ich. „Die Notrufnummer kennen viele Erwachsene nicht!“

      Dann will ich mich von den beiden verabschieden, da schießt es mir wie ein Blitz in den Kopf:

      „Ich glaube Du hast heute Deinem Papa das Leben gerettet! Du bist eine richtig große Lebensretterin!“

      Mehr kann ich nicht zu dem kleinen Mädchen sagen. Ich habe einen riesigen Kloß im Hals...

      Nachtrag:

      Ich weiß nicht, was das Schicksal für Rainer und Susanne weiter geplant hatte.

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      CSI Hintertupfingen

      Sattgrüne Wiesen und dunkelbraune Kühe „fliegen“ an uns vorbei.

      Jan und ich rasen mit Blaulicht die Europastraße 6 hinauf. Hier und da Bergbauern bei der Heumahd. Es ist Hochsommer, Dienstag gegen 16 Uhr. Wenig Verkehr im Vergleich zum vergangenen Wochenende, als tausende von Motorradfahrern auf den österreichischen Alpenpässen unterwegs waren.

      Vor gut zehn Minuten haben wir diesen Einsatz von der Rettungsleitstelle auf unsere schwarzen Alarmmelder bekommen.

      „PKW-Brand, drei Insassen, E6, Nähe Hintertupfingen“

      Wir haben noch einen ordentlichen Weg vor uns und mir ist jetzt schon schlecht von der Fahrerei. Serpentinen sind nichts für Flachländer. Als wir gerade das idyllische Obertupfingen erreichen, werden wir über Funk angesprochen:

      „2-82-1 von Leitstelle!“

      Jan antwortet umgehend:

      „Hier 2-82-1“

      „Blaulichtfahrt abbrechen! Ohne Sondersignal weiter zur Einsatzstelle. Wir haben eben gerade eine Rückmeldung der Feuerwehr erhalten. Ein Insasse des PKW ist tot, zwei weitere sind gar nicht, allenfalls leicht verletzt!“

      „Verstanden!“, antwortet Jan knapp und macht das Blaulicht aus. Mit magenfreundlicherem Tempo fahren wir weiter zum gemeldeten Einsatzort.

      Nach einer knappen halben Stunde, kurz vorm Bergdorf Hintertupfingen, kommen wir endlich an. Unser Ziel ist eine vielleicht zwanzig Meter lange Parkbucht seitlich an der E6, die von Touristen gerne als Aussichtspunkt genutzt wird. Das Alpenpanorama präsentiert sich hier dem Betrachter in ganzer Breite und voller Schönheit.

      Eine eindrucksvolle Aussicht habe ich jetzt jedoch nicht! Ich sehe vor Feuerwehr- und Polizeiautos erstmal gar nichts, vorallem nichts von einem brennenden PKW.

      Nachdem Jan das NEF geparkt hat, steigen wir aus und gehen in Richtung der Feuerwehrleute. Erst jetzt, als ich die Gruppe erreicht habe, sehe ich den völlig ausgebrannten Kleinwagen vor den Männern.

      Vom Auto ist nahezu nichts mehr übrig: die Karosserie ist vollständig ausgeglüht, keinerlei Lack mehr sichtbar. Die Reifen sind restlos verbrannt, selbst die Alufelgen sind komplett zerschmolzen. Das Dach des Autos wurde bei der Rettungsaktion von der Feuerwehr entfernt. Im Innern des PKW ist nur noch das verbogene Metallgestänge der ehemaligen Sitze sichtbar, die Polsterung wurde ein Opfer der Flammen, ebenso das Armaturenbrett. Es ist einfach weg, so als wäre es nie da gewesen. Einzelne blanke Bowdenzüge winden sich durch den ansonsten komplett verkohlten Innenraum. Mehr erkenne ich nicht.

      Nur schwarze Kohle!

      „Hallo, können wir noch irgend etwas tun?“, frage ich den Einsatzleiter der Feuerwehr.

      „Nicht viel! Vielleicht schaut Ihr Euch noch den Mann und die Frau da drüben an.“

      Der Feuerwehrmann zeigt auf zwei etwas abseitsstehende Personen. Dann berichtet er weiter:

      „Sind beide auch in dem Auto gewesen. Allerdings nicht als das Feuer ausbrach. Der Mann hat erzählt, dass er die Frau noch aus dem brennenden Auto befreien wollte, kam mit seiner Hilfe aber leider nicht mehr rechtzeitig. Für diese Frau, die die ganze Zeit im Auto saß, kommt jede Hilfe zu spät!“

      „Wo ist die tote Frau?“

      „Die ist noch im Auto! Muß man schon sehr genau hinschauen.“, antwortet er ernst.

      Mir graust es. Habe ich eben wirklich einen menschlichen Leichnam übersehen?

      Bevor ich das Auto nochmal genauer betrachte, gehen Jan und ich rasch zu dem etwa 40-jährigen Mann im blauen T-Shirt und der deutlich jüngeren Frau im roten Mini-Kleid.

      „Guten Tag, wie geht es Ihnen? Können wir Ihnen irgendwie helfen?“

      Vier fragende Augen schauen mich an. Ich bekomme keine Antwort, hake deshalb nochmal nach:

      „Ist mit Ihnen soweit alles in Ordnung?“

      „Non ti capisco!” entgegnet mir der große, braungebrannte Mann mit gesenkter Stimme.

      Meine Zeit als Student auf Sardinien hilft mir auf die Sprünge. Offenbar handelt es sich bei den beiden italienische Touristen.

      Ungelenk und mit gebrochenem Italienisch frage ich erneut:

      “Fa male? Dolori?”

      Der Mann schüttelt den Kopf, Schmerzen hat er nicht. Dann weiter:

      “Aria buona?”

      Er nickt. Luftnot plagt ihn offenbar auch nicht.

      Die junge Frau sagt zu alldem gar nichts, deshalb frage ich ein weiteres Mal und schaue sie dabei direkt an:

      “E tu? Va bene?”

      Sie nickt und sagt: “Tutto ok.!”

      Dann wendet sie ihren Blick wieder sofort von Jan und mir ab.

      In der Zwischenzeit ist auch der Rettungswagen eingetroffen. Mit Händen und Füssen bedeute ich den beiden Touristen, mit mir zum signalgelben VW-Sprinter zu kommen.

      „Braucht Ihr unsere Hilfe?“, fragt Karl aus dem Fenster des RTW.

      „Nehmt bitte diese beiden hier in eure Obhut. Und dann mal Blutdruck, Puls und Sauerstoffsättigung messen. Ich komme gleich wieder, gehe nur kurz zur Feuerwehr!“

      Einen Moment später stehe ich neben dem Einsatzleiter der Feuerwehr und zwei Polizisten.

      „Was ist denn hier bloß geschehen? Wie kann ein Auto plötzlich anfangen zu brennen?“

      Der


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