Blaulicht und Blutmond. Dr. med. Christoph Schenk
im Urlaub. Sightseeing in den Bergen. Der jetzt toten Frau war es vom Fahren in den Bergen übel, deshalb hätten die Drei hier an der Parkbucht pausiert. Der Mann und die junge Frau seien spazieren gegangen, die andere Frau habe sich im Auto etwas von der Übelkeit erholt. Als die beiden nach ca. 15 Minuten wiedergekommen sind, habe das Auto schon voll in Flammen gestanden. Der Mann hat dann noch versucht seine Frau durch die Beifahrertür aus dem Auto zu ziehen, musste den Versuch aber schnell abbrechen!“
„Habe ich das eben richtig verstanden? Der Mann ist der Ehemann der Toten?“
Der Polizist nickt.
„Boah, Hölle! Wieso fängt ein Auto plötzlich an zu brennen?“
„Das wissen wir auch nicht. Eventuell der Katalysator überhitzt? Unsere Experten werden das sicher klären!“
Nach diesem kurzen Gespräch gehe ich nochmal zurück zum Autowrack. So sehr ich mich auch anstrenge, ich kann keine Frauenleiche entdecken! Die beiden Sitze im Fond des 3-Türers sind ein Opfer der Hitze geworden und auf den Resten der metallenen Sitzrahmen ist kein menschlicher Körper. Das gleiche Bild zeigt sich im Heck des Autos: Die Rücksitzbank ist nur noch ein kohlrabenschwarzes Metallgeflecht. Kein Leichnam zu entdecken.
Da plötzlich sehe ich im Beifahrerfußraum etwas Weißes aufblitzen. Ich traue meinen Augen nicht. Sind das Zähne? Als ich näher komme wird es deutlicher. Das sind tatsächlich die strahlendweißen Zähne der Verstorbenen. Jetzt löst sich das Suchbild „Kohle in Kohle“ langsam auf. Der gänzlich verbrannte und geschrumpfte Körper der Frau liegt diagonal im Auto. Kopf und Oberkörper sind vorne im Fußraum des Beifahrersitzes. Die Reste von Bauch und Becken liegen im Spalt zwischen Fahrer- und Beifahrersitz. Die Oberschenkel wiederum befinden sich hinten zwischen Fahrersitz und Rückbank. Die Unterschenkel und Füße sind vollständig verbrannt, nicht mehr zu sehen.
Horrorbilder! Unvergesslich! Ich möchte ganz schnell weg von hier!
Ich gehe nochmal zum Rettungswagen, um zu sehen, wie es den beiden Patienten geht.
„Alle gemessenen Werte sind bestens!“, empfängt mich Karl. „Nichts Auffälliges!“
Ich entscheide mich nach dem eben Gesehenen dazu beide Touristen nochmal gründlich zu untersuchen. Beim Versuch die Dame zu retten, werden sie sicher Rauchgase eingeatmet haben...
Zunächst wende ich mich an die junge Frau. Ich finde nichts Krankhaftes. Kein Ruß im Rachen, als Hinweis auf eingeatmeten Qualm. Auch keine besonderen Atemgeräusche, keine Verbrennungen an Armen oder Beinen. Nichts. Sie macht allerdings einen niedergeschlagenen Eindruck. Kein Wunder nach dem Erlebten, denke ich...
Dann ist der Mann dran. Er hat an der Stirn zwei kleine, schwarze Rußflecken, so wie Schornsteinfeger sie haben, wenn sie sich den Schweiß von der Stirn wischen. Der Rachen des Italieners ist hingegen rosig, nichts Schwarzes zu sehen. Auch die Lunge hört sich unter meinem Stethoskop normal an. Nichts was auf ein Inhalationstrauma, auf das Einatmen von Rauchgasen hinweisen könnte. Im Gegensatz zur jungen Frau wirkt er gar nicht depressiv, eher gefasst und konzentriert.
Ich wende mich von den beiden ab und möchte Karl sagen, dass er die beiden zur Überwachung in das Kreiskrankenhaus bringen soll, da schießt mir ein Gedanke in den Kopf: Warum riechen die beiden überhaupt nicht nach Rauch?
Ich drehe mich rasch um und bedeute dem Mann, dass er mir nochmal seine Arme zeigen möge. Ich betrachte sie eingehend, kann allerdings keine einzige Rötung geschweige denn eine Brandblase finden. Und dann sehe ich sogar diese feinen Härchen auf seinem Handrücken und seinen Fingern. Allesamt ohne Anzeichen von Versengung.
Ich notiere unsere Messwerte und meine Befunde gründlich im Notarztprotokoll. Dann macht sich der RTW mit den beiden Patienten auf zum Krankenhaus.
Ich muß noch den Totenschein für die Brandleiche ausfüllen. Das geht schnell: unbekannte Leiche, unbekannter Todeszeitpunkt, nicht-natürlicher Tod.
Bevor Jan und ich zurück zur Wache fahren, gehe ich nochmal zu den Polizisten. Als ich den beiden Beamten gegenüberstehe, sage ich:
„Ich glaube nicht, dass der Mann versucht hat, seine Frau aus dem Auto zu retten!“
Ich begründe dies mit meinen Untersuchungsbefunden:
„Wenn er wirklich versucht hätte, seine Ehefrau aus dem brennenden Auto zu retten, dann hätte er jetzt keine Haare mehr an den Händen. Im Gegenteil: Rötungen oder Brandblasen hätte er, statt der feinen Härchen!“
„Die Kripo ist schon unterwegs. Mal sehen, wie sich alles aufklärt!“
Nachtrag:
Die Ermittlungen von Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft und Rechtsmedizin im Fall der "Brandleiche E6" dauerten über ein Jahr! Neben einem nationalen Ermittlungsteam, waren auch die italienische und thailändische Polizei involviert.
Der zeitliche Ablauf bis zum dramatischen Tod der Frau wurde anhand von Indizien rekonstruiert, Lücken in der Indizienkette durch den mutmaßlichen Verlauf ergänzt.
Giovanni T. kommt aus der Nähe von Mailand. Er hatte ein Jahr zuvor im Thailand-Urlaub die Einheimische Anong P. in einer Bar angesprochen. Die 26-Jährige verliebt sich „Knall auf Fall“ in den gutaussehenden, großzügigen Mann. Nach zwei unbeschwerten Wochen macht Giovanni Anong einen Heiratsantrag. Sie konnte ihr Glück kaum fassen. Rasch wurde eine traditionelle Hochzeit arrangiert und bereits eine Woche später in Thailand geheiratet.
Giovanni sagte Anong zwei Tage später, dass er einen Anruf erhalten habe und dringend zurück nach Italien müsse. Seine Firma würde ihn umgehend benötigen.
"Tesoro, ich hole dich so schnell es geht nach Italia!", sagte er zum Abschied.
Nach einem Vierteljahr ist es dann soweit: Anong hält das Flugticket, das ihr Giovanni geschickt hat, in den Händen. Als Ehefrau von Giovanni kann die junge Thailänderin ohne großen Papierkrieg nach Italien einreisen. Anong fliegt mit Schmetterlingen im Bauch das erste Mal nach Europa, das erste Mal nach Mailand.
Kaum angekommen berichtet ihr Giovanni von großen finanziellen Sorgen. Anong müsse ihm dringend helfen, er kenne einen Weg, sehr schnell sehr viel Geld zu verdienen. Wenn sie ihn wirklich liebe, dann würde sie das sicher für ihn tun! Anong soll sich prostituieren, für ihn anschaffen gehen. Die junge Thailänderin weigert vehement, auf die geforderte Art zu helfen und liegt deshalb nur Sekunden später brutal zusammengeschlagen auf dem Fußboden des Wohnzimmers.
Doch das ist erst der Beginn ihres Martyriums!
Auch nach einigen Wochen, in denen Anong wieder und wieder von Giovanni misshandelt wird, um sie für die Prostitution gefügig zu machen, bleibt sie standhaft und verweigert die Tätigkeit als seine Sex-Arbeiterin.
Jetzt trifft Giovanni eine endgültige Entscheidung. Er wird sich seiner widerspenstigen Ehefrau für immer entledigen.
So klingelt eines Abends eine junge Frau an der Wohnungstür. Anong öffnet. Die Frau stellt sich als Giovannis Schwester Alessandra vor. Nach kurzem Smalltalk sagt die Italienerin, dass sie in Giovannis Auftrag da sei. Es täte ihm alles so unendlich leid. Und nein, ihr Bruder ist kein schlimmer Schläger, hätte halt Sorgen gehabt, wäre deshalb ausgerastet, aber nun seien alle Probleme aus der Welt geschafft. Er wünscht sich so sehr einen Neubeginn der Liebe zwischen Anong und ihm.
Gegen Ende des Gespräches fragt Alessandra Anong, was sie davon halten würde, gemeinsam mit ihr und Giovanni ein paar Tage in die Berge zu fahren. Eine zweite Chance für die Liebe? Die junge Thailänderin ist hin- und hergerissen. Schließlich willigt sie ein. Die Erinnerung an die traumhafte erste Zeit mit Giovanni in ihrem Heimatland gibt ihr Hoffnung.
Am nächsten Vormittag startet das Dreiergespann im eigens für die Reise angemieteten Kleinwagen. Giovannis sagt, dass sein Mercedes in der Werkstatt sei. Für drei Personen würde dieses Auto schon reichen, und es ist schließlich auch billiger.
Gegen 13 Uhr hält Giovanni an einer Tankstelle. Die Kraftstoffanzeige leuchtet zwar noch nicht, aber alle haben Durst. Als er nach