Theorie und Praxis der Bordelektrik. Jens Feddern

Theorie und Praxis der Bordelektrik - Jens Feddern


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Vorteil von vielen 24-V-Geräten der Berufsschifffahrt besteht darin, dass sie zum Großteil für den Einsatz an Bord konzipiert worden sind.

      Elektrische Großverbraucher bekommen an Bord immer mehr Bedeutung. Ob elektrische Ankerwinde, das Bugstrahlruder oder die elektrische Winsch – sobald diese Geräte eine echte Hilfe sein sollen, äußern sie einen gnadenlosen Durst nach Strom.

      Die Auswirkungen auf die Installation sind erheblich, denn das gesamte Material muss für diese Ströme ausgelegt sein: Die Batterie muss in der Lage sein, den erforderlichen Strom abzugeben, die Kabelquerschnitte bewegen sich häufig bei mehr als 100 mm2, die Schalter und Schütze müssen mit dem Abrissfunken der hohen Ströme klarkommen, und der Rotor muss über die Kohlebürsten den hohen Strom aufnehmen. Hier stoßen 12-V-Anlagen sehr schnell an ihre Grenzen.

      Elektrische Bugstrahlanlagen in 12 V gibt es bis maximal 5,7 kW. Für höhere Leistungen werden 24- oder 48-V-Systeme installiert.

      Die Erzeugung von 230-V-Wechselspannung an Bord über einen Wechselrichter ist heute kein Luxus mehr, sondern fast Standard. Schnell die Espressomaschine anzuwerfen oder mit dem Staubsauger durchs Vorschiff zu saugen, sind Grundbedürfnisse.

      Die Kaffeemaschine mit Effizienzklasse A benötigt trotzdem eine Leistung von 1.260 W, was einem Strom von weit über 100 A entspricht, den der Wechselrichter aus der 12-V-Batterie ziehen muss.

      Abbildung 1–3: Parallel- und Reihenschaltung von elektrischen Widerständen.

      Je höher die Ströme, desto aufwendiger und teurer wird die Installation. Geräte, die mit höherer Spannung betrieben werden, sind in der Regel kostspieliger. Aus diesem Grund werden häufig Mischformen an Bord installiert, z. B. 12-V-Systeme für das »normale« Bordnetz und separate 24-V-Installationen für das Bugstrahlruder und die Maschinenanlage.

      Um Geräte mit unterschiedlicher Betriebsspannung im gleichen Netz verwenden zu können, sind elektronische Spannungswandler erforderlich. Es ist nicht zu empfehlen, die 12 V direkt an der Batterie abzuzapfen, da die Batterien damit ungleichmäßig entladen werden und sich ihre Lebensdauer deutlich verringert.

      Spannungswandler sollten zusammen mit dem Verbraucher abgeschaltet werden, um Verluste durch Ruheströme zu vermeiden.

      Bei der Auswahl geeigneter Spannungswandler bieten sich getaktete Geräte an, die im Vergleich zu linearen Wandlern einen erheblich besseren Wirkungsgrad haben. Während lineare Wandler einen Großteil ihrer Energie in Wärme abgeben, erreichen getaktete Wandler einen Wirkungsgrad von mehr als 90 %. Der Schaltungsaufwand ist bei getakteten Systemen höher, um schädliche Störungen zu minimieren.

      Zwei Begriffe, die häufig verwechselt werden, stehen in diesem Abschnitt im Vordergrund. Als Minus bezeichnet man grundsätzlich den negativen Pol einer Spannungsquelle.

      Bei der Bordnetzbatterie ist diese der kleinere Anschlusspol. Viele Geräte werden an den Anschlussklemmen mit dem Plus- und Minuseingang gekennzeichnet.

      Ganz unabhängig davon ist die Bezeichnung Masse. Im ursprünglichen Sinne ist die Masse nur ein Potenzial, auf das man alle anderen Spannungen bezieht. Daher liegen an der Masse 0 V an. Dies ist nur eine Vereinbarung, um u. a. angegebene Spannungen zwischen den gleichen Punkten zu messen.

      In der DIN EN ISO 10133 wird die Masse gleich der Erde des Wasserfahrzeugs gesetzt, und sie bedeutet eine leitende Verbindung (beabsichtigt oder unbeabsichtigt) mit der allgemeinen Erde, einschließlich jedes leitenden Teils der benetzten Oberfläche des Rumpfes.

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      Tabelle 1–1: SI-Vorsätze für dezimale Vielfache und Teile (Auswahl).

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      Abbildung 1–4: Massesammelschiene. (BlueSea) Die Massesammelschiene dient als zentraler Erdungspunkt an Bord. Von hier aus werden alle Masseleiter sternförmig zu den Verteilungen bzw. Verbrauchern geführt.

      Bei elektrischen Anlagen und Verbrauchern bildet das Gehäuse die Masse. Wir sind es gewohnt, dass der Minuspol an der Masse angeklemmt ist und alle anderen Spannungen auf dieses Potenzial bezogen werden. Das bedeutet, dass man z. B. zwischen dem Pluspol der Batterie und der Masse – sprich dem Rumpf oder dem Gehäuse – eine Spannung von 12 V misst. Viele Geräte haben bereits vom Hersteller aus den Minuspol auf Masse – sprich auf dem Gehäuse. Dies trifft man besonders bei Autoradios, Motoren und Radaranlagen an.

      Würde man nun den Pluspol an Masse klemmen, so würde man von einem heftigen Funkenregen überrascht werden, da auf diese Weise ein perfekter Kurzschluss aufgebaut wird.

      Wenn schon ein Potenzial an die Masse geklemmt werden muss, dann auf jeden Fall der Minuspol!

      Die DIN EN ISO 10133 schreibt entweder ein vollständig isoliertes Zweileiter-Gleichstromsystem vor oder eines mit negativer Masse. Die Betonung liegt hierbei aber auf »Zweileitersystem«, d. h. jeder Verbraucher erhält ein Kabel mit einem Plus- und einem Minusleiter. Der Rumpf des Bootes darf – im Gegensatz zum Kfz – nicht als stromführender Leiter genutzt werden.

      Die beste Lösung wäre, die elektrische Anlage komplett massefrei aufzubauen. Das hieße, dass überhaupt kein Potenzial am Rumpf anliegen würde. Dies wäre in der Praxis aber nur mit erheblichem Aufwand zu verwirklichen, da viele Geräte und Motoren bereits den Minuspol auf Masse haben.

      Massefreie Anlagen sind z. B. bei Tankschiffen Vorschrift und sollten besonders bei Aluminium-Booten angestrebt werden, um die galvanische Korrosion zu vermeiden. Da viele Geräte und Maschinen für den Bordeinsatz aus der Kfz-Industrie kommen, sind sie grundsätzlich auch für einen Betrieb mit »Minus an Masse« ausgelegt. Massefreie Geräte sind somit fast »Exoten«, zumindest für den Markt der Sportschifffahrt. Mittlerweile werden aber viele Geräte für den Bordeinsatz auch massefrei angeboten, wie z. B. die gesamte Sensorik für die Motorüberwachung und isolierte Lichtmaschinen.

      Problematischer wird es beim Anlasser, der in der Regel die Masse am Gehäuse hat. Da dieser den Strom aber nur beim Anlassen benötigt, könnte man den Minusanschluss für die Motormasse im Moment des Startens über einen Leistungsschütz zuschalten. Dieser muss dann aber den gesamten Anlassstrom (mehrere Hundert Ampere) verkraften. Aufpassen muss man beim elektrischen Absteller. Hier kommen zum Teil Ventile mit Masseanschluss zum Einsatz, die während der gesamten Laufzeit des Motors Strom benötigen. Und somit ist die Anlage schon wieder nicht massefrei.

      Der Teufel einer massefreien Anlage liegt im Detail, und sobald wir zusätzlich die Erdung der 230-V-Installation betrachten, wird es noch eine Spur schwieriger. Daher wird man häufig einen Kompromiss finden müssen.

      Bei massefreien Systemen müssen alle Schalter und Sicherungen grundsätzlich zweipolig ausgeführt werden. Verbraucher, die bereits Minus auf Masse haben, müssen besonders gute Minusverbindungen haben, da sie den Stromkreis sonst einfach über die Masse fortsetzen. An allen Anschlussklemmen können sich mit der Zeit durch Korrosion Übergangswiderstände bilden. Daher müssen die Klemmen regelmäßig kontrolliert und gegebenenfalls gereinigt werden.

      Auch die Maschinenanlage muss über eine ausreichende Leitung mit dem Minuspol der Batterie verbunden sein, da besonders hier durch den Anlasser und die Lichtmaschine hohe Ströme auftreten können.

      Befinden sich an Bord mehrere Batteriesätze, so müssen die einzelnen Minuspole auf einer Sammelschiene verbunden werden, von der aus die Einspeisung zu den Verbrauchern erfolgt.

      Alle geerdeten Geräte an Bord werden mit einem zentralen Erdanschluss mit ausreichendem Querschnitt verbunden. Nach den Vorschriften der Schiffsuntersuchungskommission (SUK) müssen Navigationslichter allpolig abgesichert werden. Auch für


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