Meine Frau und ihr Mann. Eine Beichte. Pavel Kohout

Meine Frau und ihr Mann. Eine Beichte - Pavel Kohout


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Ich gestehe, daß mir sein Ansinnen einen Stich versetzte, denn die Sekretärin des Generaldirektors, eine wohlgeformte Schönheit in den allerbesten Jahren, rief schon seit langem Gefühle einer schwesterlichen Zärtlichkeit in mir hervor, zumal ich doch selbst liebend gern strickte und häkelte. Meinem Vorgesetzten konnte ich aber keinen Korb geben und übernahm so schweren Herzens den Auftrag. Wie sich herausstellte, war besagtes Instrument ein Helikon und die Künstlerin meine Frau.

      Die Fahrt zu ihrer Wohnung verlief reibungslos. Vorn plauderte meine Frau fröhlich mit dem im voraus entlohnten Taxifahrer, offensichtlich ein Verwandter, da beide sich vom ersten Augenblick duzten, während ich auf dem Rücksitz das Helikon betreute. Wie ein müdes Geschöpf lehnte sich das gewaltige Instrument nach einer Weile schwer an meine Schulter, und ich spürte zum ersten Mal eine seltsame Erregung, die ich jedoch noch einmal dämpfen konnte. Übrigens waren wir auch schon am Ziel, einem malerischen Haus, über dem die dunkle Silhouette des Hradschin aufragte, und ich erwog, zu Fuß durch die Stadt heimzugehen: Mein Chef hatte vergessen, die Rückfahrt zu bezahlen, und ich besaß damals noch kein Geld. Höflich wartete ich ab, bis sich meine Frau mit ihrem Verwandten auseinandergesetzt hatte, der ihre Einladung zu einem Kaffee mit der Begründung zurückwies, das letzte Mal habe sie diesen zwei Tage lang gekocht, wodurch er beträchtliche Fahrtgelder eingebüßt habe. Nachdem sie schließlich erzürnt ausgestiegen und jener in großer Eile losgebraust war, hielt ich ihr mit beiden Händen das Helikon hin und wünschte ihr eine gute Nacht. Entsetzen flackerte in ihren Augen auf. Wie sie mir später gestand, hatte sie gemeint, das Instrument spreche zu ihr. Dann entdeckte sie dahinter mich und musterte mich eingehend. Worauf sie die Haustür aufschloß und lachend sagte, ich möge das Geländer aber nicht einreißen. Ehe ich’s mich versah, befanden wir uns in einer vorwiegend mit diversen Schiffsmodellen eingerichteten Garçonnière, wo sie mich aufforderte, es mir bequem zu machen, bis sie sich umgezogen und Kaffee gekocht habe. Darauf verschwand sie hinter einem Vorhang. Erschrocken entsann ich mich der Worte des Taximannes, und mein Schreck wuchs zum Entsetzen an, als mir bewußt wurde, daß wir hier beide ganz allein waren. Instinktiv klammerte ich mich ans Helikon und blieb mitten im Zimmer stehen. Ich weiß nicht, ob es die Dusche war, die rauschte, oder mein eigenes Blut, das jeden Gedanken aus meinem Gehirn fortschwemmte, ich weiß nicht einmal, ob ich drei Minuten oder drei Stunden so stand, bis der Vorhang wieder wallte und meine Frau in einem Morgenmantel von hellem Orange ins Zimmer trat, auf einer Grammophonplatte, die sie als Tablett benutzte, zwei einstige Senfgläser voll brühheißen Kaffees tragend. Als sie mich erblickte, blieb sie überrascht stehen. Wieder betrachtete sie mich, als sehe sie mich zum ersten Mal. Dann setzte sie die duftende Last auf dem Teppich ab, ließ sich daneben nieder und fing an, mit dem Stiel einer Zahnbürste den Kaffee umrührend, mir in schlichten Wendungen von sich und ihrem Instrument zu erzählen.

      Ihre leisen Worte, gesprochen von einer Stimme, die auf zutrauliche Weise unklare Erinnerungen in mir weckte, entwarfen mit raschen Strichen das farbenreiche Bild eines Mädchens, das zunächst Flöte gelernt hatte, anfangs nur, um die Stimmen der Vögel nachzuahmen, später dann, um die Werke der alten Meister im Dämmerlicht der Domchöre und Konzertsäle mit jauchzenden Trillern zu krönen. Doch die Zeit riß den Vorhang weg, und verändert war die Welt, wie der Dichter so treffend bemerkte, und die Kammerorchester in ihren Fräcken und Abendroben konnten kaum noch zum Marschtritt der revolutionären Massen aufspielen. Meine Frau tauschte also die Flöte gegen das Helikon ein und trat einer Arbeitermilizkapelle bei. Und als dann, wieder in des Dichters Worten, die neue Zeit nach neuen Taten lechzte, und die Massen alles andere haben wollten als Marschrhythmen, blieb sie zur Sicherheit zwar dem neuen Instrument treu, ging aber in einer Damenkapelle vor Anker.

      Die von Poesie durchwobenen Worte meiner Gattin wirkten besänftigend auf meine Spannung, und so geschah es, daß ich schließlich ebenfalls auf dem Teppich ruhte, ja sogar zuließ, daß sie mir schließlich das Helikon abnahm und über der breiten Couch aufhängte, wo es offenbar seinen ständigen Platz hatte, wie ein treues Tier, nach der Nähe seiner Herrin und Gebieterin Verlangen tragend. Plötzlich ertappte ich mich bei dem Wunsch, wenigstens eine Nacht lang an seinem Platz hängen zu dürfen. Kein Wunder, daß mir die Röte ins Gesicht stieg und meine Frau beunruhigt fragte, was ich denn hätte. Mir fiel keine andere Ausrede ein, als daß mir heiß sei. Sie entschuldigte sich sehr, sie könne das Fenster nicht öffnen, um durch die Kühle nicht ihren Ansatz einzubüßen, ließ dann aber nicht nach, mir freundschaftlich zuzusetzen, bis ich Jacke und Hemd abgelegt hatte. Damit ich mich nicht verunsichert fühle, wie sie erklärte, legte sie ihren strahlenden Morgenrock ab und nahm mir gegenüber in einem gestreiften Herrenpyjama Platz, der, wie sie mit einem Seufzer hinzufügte, das einzige sei, was sie in ihrem einsamen Dasein an die Existenz von Männern erinnere.

      Hatte mich die unverhoffte Entwicklung der Situation anfangs noch verwirrt, so verblüffte mich gleich darauf die Erkenntnis, daß ich mit dem Hemd auch meine Scham abgelegt hatte. Bald darauf sprachen wir schon ohne Hemmungen über unsere Schicksale. Ich gestand, daß ich trotz meines Alters noch keine ernstere Bekanntschaft gemacht hätte, denn die Mädchen, die ich kennenlernte, gaben Jungs den Vorzug, die interessantere Berufe, höheres Einkommen, stattlichere Figuren und lebhaftere Temperamente aufzuweisen hatten. Meine Frau vertraute mir im Gegenzug an, daß es genau solche Männer waren, die sie ihr ganzes Leben lang umschwärmt hatten, obwohl sie sich schon immer einen extrem gegensätzlichen Partner gewünscht hatte. Ihr hoher Wuchs und ihre gewölbte Brust, die sie vom Blasinstrumentenspiel habe, seien schuld daran, daß die Männer sie für eine überaus selbständige Person hielten und deshalb gleich wieder ohne Gewissensbisse sitzenließen. Auf unselige Weise trage auch ihre nächtliche Arbeit dazu bei. Die allzu stattlichen und lebhaften Männer wären nicht bereit, bis zur vierten Morgenstunde auf ihr Vergnügen zu warten, und suchten sich diese zu günstigerer Zeit bei Mädchen, die ihren Berufen tagsüber nachgingen. Jawohl, nicht selten hätten sie sogar keine Hemmungen gehabt, für ihre geschmacklose Kurzweil sich dieser Garçonnière zu bedienen, zu der sie ihnen den Schlüssel geliehen habe, darauf vertrauend, sie würden sich hier begehrlich auf ihre Heimkehr freuen. Auf sie habe das allerdings depressiv gewirkt, und sie sei schon fast entschlossen gewesen, sich für den Rest ihrer Tage ausschließlich ihrem Instrument hinzugeben. Jetzt aber, gestand sie, da sie mich kenne, habe sie plötzlich das Gefühl, als sei noch nicht aller Tage und Männer Abend.

      Verglichen mit der strengen Disziplin und der schroffen Ordnung, die bei meinen Eltern herrschten, behagte mir dieses Heim, ein beredtes Abbild der Seele einer Frau und überdies Künstlerin. Mir gefiel das Bett, das offenbar ständig gastfreundschaftlich offenstand, die leeren Flaschen auf dem Schreibtisch und die Kaffeetöpfe voller Zigarettenstummel auf dem Fußboden neben dem Notenpult, an dem sie sicherlich fleißig zu üben pflegte. Sie wiederum war sichtlich gerührt, als ich mir trotz ihrer Proteste die Schürze umband und binnen einer knappen Stunde die Berge schmutzigen Geschirrs restlos abtrug, die zuvor Spüle, Waschbecken und Bidet gefüllt hatten. Zum Dank machte sie eine Flasche Whisky auf und war stumm vor Verwunderung, als ich mit gestammelter Entschuldigung ablehnte, ich hätte bis heute allenfalls aus Versehen einen einzigen Schluck Obstweins zu mir genommen und, als man mir beim Militär siebengrädiges Bier mit Gewalt einzutrichtern suchte, eine Woche lang mit Fieber das Bett hüten müssen. Meine Frau war aufgeregt. Sie sagte, in dieser verdorbenen Welt sei es ihr schon seit Jahren nicht mehr vorgekommen, daß einer etwas zum ersten Mal mit ihr machte, und hörte nicht auf, mich zu nötigen, wenigstens einmal mit ihr daran zu schnuppern. Die Atmosphäre dieser zauberhaften Nacht bewirkte, daß ich schließlich nachgab. Feierlich standen wir auf, ließen die Gläser aneinanderklingen, und ich zog, eine letzte Ermutigung aus ihren flirrenden Augen schöpfend, zum ersten Mal den Duft echten Alkohols tief in die Nase ein. Das Gesicht meiner Frau verschwamm ein wenig, und das Messing des Helikons, das bis dahin im Halbdunkel nur matt geglommen hatte, feuerte etliche scharfe Blitze ab. Aber das war auch alles. Beim Schlag der Burguhr, die soeben feierlich die dritte Stunde verkündete, begriff ich in einer Mischung aus Stolz und Schrecken, daß ich soeben unwiederbringlich die Grenze meiner Unschuld überschritten hatte und daß mir, kehrte ich nicht auf der Stelle dahin zurück, bald die Sekunde schlüge, nach der es keine Umkehr mehr geben wird. Mit letzter Kraft verbeugte ich mich und wünschte meiner Frau mit versagender Stimme gute Ruhe. Ohne die Augen von mir abzuwenden, sagte sie sofort, sie wünsche mir ebendiese auch. Dann trat sie an mich heran, umarmte mich und küßte mich ohne jegliche Voranmeldung stracks auf und in den Mund.

      Was


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