Meine Frau und ihr Mann. Eine Beichte. Pavel Kohout

Meine Frau und ihr Mann. Eine Beichte - Pavel Kohout


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sie mich aus der Wanne hob und auf den Armen zu Bett trug, hatte ich diesen Brauch bis zu meinem fünfzehnten Lebensjahr warmgehalten. Dann ertappte uns dabei unglücklicherweise Mutsch, und sie zögerte nicht, ihre einzige Schwester zu ersuchen, uns in den nächsten sieben Jahren nicht zu besuchen, denn solches könne einen schlechten Einfluß auf den Verlauf meiner Pubertät haben. Leider fühlte sich die Tante so beleidigt, daß sie nimmer wiederkam, doch die einmal losgetretene Lawine raste weiter zu Tal. Bei meinem Einsatz zur Hopfenernte, noch vor Beginn der zehnten Klasse, zu dem Paps wieder nicht zugelassen wurde, obwohl er auf meine krankhafte Unselbständigkeit verwies, brachte eine gewisse Paulová aus der Zwölften es fertig, mich fast jeden Tag unter den mannigfachsten Vorwänden aus der Nachtherberge der Burschen wegzulocken, um mich im Stall des Staatsguts ein paar Minuten lang abküssen zu können. Eines Abends wurden wir von meiner Genossin Klassenlehrerin erwischt, die sich zu diesem Behufe seit dem Morgen im Heu versteckt hatte, und die Paulová bekam eine schlechtere Note in Betragen, weil man sie schon seit Quarta ermahnt hatte, nicht jene Schüler zu verderben, die erst von ihren Pädagoginnen aufgeklärt werden sollten. Nur diesem Umstand und freilich auch flehentlichen Bitten ist es zu danken, daß meine Eltern von dem Vorfall keine Kenntnis erhielten, was mir höchstwahrscheinlich das Leben rettete.

      Ein nicht geringeres und obendrein nicht im geringsten verhülltes Interesse für mich zeigte später Hauptmann Kverková, die Kommandeuse des weiblichen Hilfsbataillons, die täglich mehrmals in mein Büro eindrang und, sich die Tatsache zunutze machend, daß ich als Soldat aufspringen und Haltung annehmen mußte, meinen Stuhl besetzte und mir befahl, mit dem Registrieren des Kampfschuhwerks auf ihrem Schoß fortzufahren. Aus Furcht vor einer Disziplinarstrafe – die Kverková war neben anderem auch die Gemahlin des Divisionskommandeurs – vertraute ich mich Leutnant Lánsky an, meinem nächsthöheren Vorgesetzten, der im Nebenzimmer arbeitete. Er hörte mir zu und erhörte mich. Er ließ unter meinem Schreibtisch eine einfache Warnanlage anbringen, die ich mit dem Fuß bedienen konnte. Sogleich nach Ertönen des Signals betrat er mein Büro und brach damit der Situation die Spitze ab. Nach ein paar Tagen ging Hauptmann Kverková gleich zu ihm. Aus Dankbarkeit bot ich ihm einen ähnlichen Gegendienst an. Er lehnte jedoch hochnäsig ab, und so wurden sie später zusammen vom Kommandeur Kverek ertappt. Leutnant Lánsky mußte die Armee verlassen und überlebte den bloßen Gedanken an Rückkehr zu seinem früheren Beruf nicht mehr, von dem er nur noch wußte, daß er mit P begann; weil man ihm auch die Waffe abnahm, beging er Selbstmord mittels eines Infarkts. Das bestätigte mir, daß der Mensch nur eine einzige Ehre hat und diese für die Liebe bewahren muß, der er sich ganz hingibt.

      Offen gesagt, damit hatte ich es nicht eilig, geschweige denn mit der Ehe. Das Beispiel meiner Mitschüler, Mitsoldaten und Mitbeamten, die massenweise heirateten, nur um die Freistellung von der Turnstunde, die Entlassung aus der Armee oder eine Steuerminderung zu erreichen, und die sich bald darauf mit größerem oder kleinerem Skandal und Schuldenberg scheiden ließen, dazu verurteilt, die kommenden zwanzig Jahre überwiegend für Alimente zu schuften, war mehr als abschreckend. Im Unterschied zu den anderen hielt ich es für keine Schande, mit fünfundzwanzig noch ledig zu sein. Dank meiner Eltern, die mich über alles vorsichtig, aber gründlich, vor allem durch ihr persönliches Beispiel belehrten, wußte ich, daß ich noch mindestens bis fünfundvierzig Zeit hatte, und an diesem Wissen rüttelten weder Tante Eliškas begehrenswerte Umarmungen noch die eroberungslustigen Lippen der Schulkameradin Paulová, noch Hauptmann Kverkovás einladender Schoß. Doch die Art, wie meine Frau mir den ersten Kuß verpaßte, riß mit einem Ruck den Damm meiner Gewißheiten und Grundsätze nieder. Wie schade, daß ich kein Schriftsteller bin und nicht der Worte kundig, um, und sei es noch so unvollkommen, diesen Kuß ausführlich zu beschreiben. Ein Trost ist mir, daß ich das nicht vermocht hätte, selbst wenn ich ihrer kundig gewesen wäre. Ich wurde ohnmächtig.

      Als ich wieder zum Bewußtsein kam, lag ich entkleidet auf der Couch, und meine Frau atmete still neben mir. Gleich im ersten Augenblick wurde ich gewahr, daß sich ein erheblicher Wandel an ihr vollzogen hatte, doch es dauerte eine geraume Weile, ehe ich mir dessen in vollem Umfang bewußt wurde: An meiner ganzen Frau gab es von Kopf bis Fuß nicht mehr die geringste Spur eines gestreiften Herrenpyjamas. Mit angehaltenem Atem begriff ich schließlich, daß ich das erste Mal im Leben eine nackte Frau sah, und mehr noch, was ich damals allerdings noch nicht ahnen konnte, eine nackte Gattin. Minutenlang betrachtete ich ihren ranken Leib und konnte nicht glauben, daß ich, ein so gewöhnliches Geschöpf, ein so nichtalltägliches Wesen erobert hatte. Und plötzlich gab es in mir einen Riß. Hatte ich sie wirklich erobert? Wenn ich nun aber schändlich versagt hatte in dieser ersten großen Liebesprüfung, die ich dazu unter Bewußtlosigkeit absolvierte?? Ich zweifelte nicht, daß meine Frau auf ihrer vergeblichen Suche nach einer verwandten Seele schon mehr als einen Körper umarmt hatte. Ja, sie sprach mit Verachtung von deren physischer Kraft, die nicht auf reinem Gefühl beruhte, doch war das nicht eine jener Illusionen, die den Anprall der Wirklichkeit nicht überstehen? Besaß andererseits mein reines Gefühl genügend physisches Vermögen, um den Liebeshunger zu stillen, den ihr Kuß verraten hatte, den Hunger, der in den Armen jener gefühllosen Muskelprotze bestimmt geweckt worden war? Mit sehr kurzen Worten gesagt: Wird meine Seele genug Körper für sie haben? All diese Gefühle wurden jedoch von noch erschütternderen Empfindungen abgelöst, als die ersten Sonnenstrahlen auf den Wekker fielen, der unerbittlich die sechste Stunde anzeigte.

      Ich versetzte mich im Geiste in die Wohnung meiner Eltern und sah die beiden alten, verzweifelten Menschen um meine Lagerstatt kreuzen, die mit Ausnahme der ersten Armeetage, als ich noch in der Kaserne wohnen mußte – wobei sich jedoch Paps und Mutsch unter den Barackenfenstern abwechselten, um mir im Bedarfsfalle mit Rat und Tat beizuspringen – und mit Ausnahme der Hopfenernte – wobei sie meine Klassenlehrerin für Sonderüberwachung bezahlten –, die seit meiner Geburt das erste Mal leer blieb. Was werde ich ihnen sagen? Werde ich gestehen? Ich stellte mir das Wehklagen meiner Mutsch vor und die schlaffen Schultern meines Paps, die uferlose Trauer derer, denen ich das ganze Leben lang eine einzige Hoffnung war. Also eine Ausrede suchen? Ableugnen? Ja, das war der rettende Gedanke! Ich werde meinen Chef bitten, mir zu bestätigen, daß das Fest bis zum Morgen dauerte und ich meinen Standplatz nicht habe verlassen dürfen. Ach, wie zahlt es sich für mich aus, daß ich noch nie gelogen habe, desto eher wird man mir jetzt Glauben schenken ... doch wie mache ich das meinem Chef klar?! War es nicht gerade er, der mir meine Frau samt dem Helikon anvertraute, damit ich sie unbeschadet an den sicheren Ort schaffte?

      Diese Vorstellung war noch schlimmer als die erste. Meine Eltern würden mich gewiß bestrafen, doch ich durfte nicht nur damit rechnen, daß sie mir eines Tages verziehen, sondern vor allem auch damit, daß die Nachricht über meinen Fehltritt nie über die Schwelle unserer Wohnung kam. Bei meinem Chef drohte mir das genaue Gegenteil. Er konnte mir für meinen Fehltritt weder eine Prämie abziehen noch eine Rüge erteilen, da ich ihn außerhalb der Arbeitszeit und des Dienstraumes begangen hatte. Er konnte aber – was weit schlimmer war – die Geschichte in allen Amtszimmern und Arbeitsstätten des Betriebes ausposaunen. Ich erinnerte mich an die perverse Lust, mit der er meine Auskünfte über das Intimleben der Mitarbeiter, denen ihrerseits meine völlige Unbescholtenheit die Sprache verschlug, angehört hatte, wie an die ruchlose Freude, mit der er meine Informationen brühwarm, noch vor mir, telefonisch an Vorgesetzte und Bekannte weitergab. Nein!! Ihm mein Geheimnis anzuvertrauen hieße, mich selbst an den Pranger zu stellen. Das, worauf ich seit meiner Kindheit so viel gegeben, was ich so gehätschelt, sorgsam gehütet und sparsam gemehrt habe, meine Ehre nämlich, der einzige Schatz meines alltäglichen und faden Lebens, der mir ein Gesicht gab, vor allem aber die Hoffnung in mir nährte, ich würde irgendwann irgendwo irgendwie irgendwem begegnen, der diesen Schatz gebührend würdigte und als überaus kostbares Geschenk annahm, um mir dafür zur Vergeltung allezeit sich selber zu schenken, das war plötzlich in Gefahr, aufs Spiel gesetzt, auf Gnade und Ungnade preisgegeben, hatte seinen Sinn verloren wie, so sagte man uns bei der Schulung treffend, eine glückliche Zukunft ohne Kommunismus.

      Die meisten Frauen, an die ich ab und zu dachte – ich hatte mich seit den Zeiten von Tante Eliška, der Schülerin Paulová und Hauptmann Kverková auf einen robusten Typ festgelegt, der mir an Temperament, Gewicht und Alter überlegen war, was uns beiderseitige Befriedigung verschaffte –, also die meisten meiner kindlichen Idole stellten offensichtlich keine übertriebenen Ansprüche an ihre Liebhaber. Wie ich wußte, ging eine sehr unterschiedliche


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