Meine Frau und ihr Mann. Eine Beichte. Pavel Kohout
und unser Heizer, dessen einziger sichtbarer Vorzug die hundert Kilo Lebendgewicht waren, deren gute Hälfte sein Bierbauch ausmachte. Im selben Augenblick jedoch, da sie einen künftigen Ehemann ins Auge faßten, verwandelten sie sich in hochgeschlossenste Puritanerinnen. Auf der Herrentoilette, die nur durch eine dünne Trennwand von dem Raum abgeteilt war, wo sie sich frischmachten, hörte ich so manches Gespräch mit, in dem sowohl der Chef als auch der Generaldirektor, der Garagenmeister und der Heizer mit einem häßlichen Wort bedacht wurden, das belegte, daß sie trotz des flüchtigen Sinnesrausches nicht eine Prise Achtung für sie übrig hatten. Kein Zweifel, daß sie ihren Mädchennamen nur dem zu opfern bereit waren, der ihnen als Gegenleistung einen überließ, dem nicht einmal der Hauch von Schande anhaftete, einen Namen, mit dem sie sich vor Verwandten und Bekannten brüsten konnten, einen Namen, der ihnen Gewicht verlieh und den berechtigten Neid der weitläufigen Umgebung weckte. Mit eigenen Ohren hörte ich eines Tages durch die Trennwand, wie die Sekretärin des Generaldirektors wörtlich sagte:
«Es ist eine Tragödie, meine Damen, doch der einzige Mann, der hier kein Ferkel ist, heißt Vilémek Rosol!»
Wozu ich bemerken muß, daß ich damals tatsächlich so lächerlich und würdelos hieß, wie ich gerade erwähnte: Vilém Rosol, was ja Sülze bedeutet. Die Bemerkung dieser begehrenswerten Frau kam mir in den Sinn, als der Sonnenstrahl, der durch die Garçonnière meiner Frau wanderte, das Messing des Helikons, das über unserer Bettstatt hing, erneut aufflammen ließ. Das unheilbringende Instrument, die Ursache meines Sündenfalls, warf die Couch und uns beide gleich dem Zerrspiegel im Irrgarten zurück. In diesem Spiegel wirkten unsere entblößten Leiber noch unzüchtiger, deshalb schloß ich vor Abscheu und Reue die Augen. In diesem Moment war ich überzeugt, daß meine Situation ausweglos war und daß alles weitere Leben jeglichen Sinnes entbehrte. Ich verlor die Beherrschung, und ein Schluchzen drang aus meiner Kehle. Da hörte ich aus nächster Nähe jene eigenartige Stimme, die mich, wie ich endlich wußte, an das Geräusch zerreißenden Schmiergelpapiers erinnerte.
«Du lieber Himmel, was haben wir denn?»
Ich wandte den Kopf und öffnete die Augen. Die scheußliche Karikatur verschwand. Wieder sah ich den leidenschaftlichen, mit einer leichten Andeutung von dunklem Lippenbart verzierten Mund, das energische Kinn, den festen Hals und weiter unten die ganze athletisch gewölbte Gestalt meiner Frau.
«Ach, du meine Güte», sagte sie erstaunt, «das Kleinchen weint ...!»
Bis dahin hatte mich noch nie eine Frau, mit Ausnahme meiner Mutter, der Tante Eliška, der Schulkameradin Paulová, Hauptmann Kverková und meiner Lehrerinnen weinen sehen. Tapfer schluckte ich die Tränen herunter und trachtete, mich mit aller Kraft zu beherrschen, doch nichts half. Denn zu allen meinen schwarzen Gedanken gesellte sich unverhofft ein weiterer, der stärker als alle anderen war.
«Was Sie wohl jetzt von mir denken werden ...»
«Was soll ich mir wohl denken?»
«Ich sehe Sie zum ersten Mal ... und schon laß ich mich zu Ihnen nach Haus einladen ... und jetzt ... jetzt lieg ... jetzt lieg ich hier so ...»
Sie richtete sich auf, und Besorgnis schwang in ihrer Stimme mit.
«Hat es dir nicht gefallen, Bübchen?»
Meine Antwort waren Schluchzer. Beunruhigt wiederholte sie ihre Frage.
«Do ... doch ...» brachte ich schließlich hervor und barg das Gesicht in den Händen, da ich spürte, wie ich wieder rot wurde.
«Na, warum heulst du mir hier rum?»
«Weil ich ... weil ich nicht so einer bin ...»
«Was für einer?»
«So einer ... der gleich mit jeder schläft ...»
Die Worte, mit denen sie mich zu trösten versuchte, bestätigten meine schlimmsten Befürchtungen.
«Was zerbrichst du dir darüber deinen Kopf, Butzemännchen? Ich bin schließlich eine moderne Frau, und du bist letzten Endes ein Mann!»
«Nein!» schrie ich auf und wiederholte bei einem neuerlichen Weinanfall, «ich bin nicht, ich bin nicht so einer!»
Mich entsetzte, daß sie nicht sogleich antwortete. Dann spürte ich ihre Hände auf den meinen. Vergebens sträubte ich mich. Sie war stärker und zog mir die Hände mühelos vom Gesicht fort. Durch einen Tränenschleier erblickte ich ihre Augen. Sie waren ernst und zutiefst bewegt.
«Hör mal», sagte sie, «wie oft hast du eigentlich schon ...?»
Das Spiel war aus, und ich saß in der Falle. Da sie meine Hände immer noch wie in einer Zwinge festhielt, neigte ich wenigstens den Kopf so tief, bis auf die Brust, wie einst in den Tagen meiner ersten Verirrung, als Tante Eliška mich in der Wanne hinten und vorn abseifte und immer wieder mit erregter Stimme sagte:
«Vilémek, du hast ein Körperchen wie eine Puppe ...»
«Um Gottes willen», setzte meine Frau wieder an, und ich hörte dabei einen Ton, den ich noch nie vernommen hatte, «ist denn das die Möglichkeit?»
Eher wäre ich gestorben, als daß ich einen einzigen Laut von mir gegeben hätte. Mit gesenktem Kopf erwartete ich das Urteil. Sie hielt jetzt meine beiden Hände mit der Linken und hob mir mit der Rechten zart, aber entschlossen den Kopf. Ihre Augen blickten unglaublich gerührt.
«Dann warst du ja noch ein Jungferer ...» sagte sie mit noch zerrissenerer Stimme als vorher, doch ich begriff mit untrüglichem männlichen Instinkt, daß sie nur ihre Rührung zu verbergen versuchte, «da hast du also bis heute auf mich gewartet ...?»
Ich hielt ihrem Blick nicht stand und nickte.
«Aber warum plärrst du dann?»
Die Gedanken, die sich seit dem Erwachen wie ein Knäuel Schlangen in mir verfilzt hatten, verwandelten sich im Nu in Worte. Mit geschlossenen Augen, um den Mut nicht zu verlieren, haspelte ich meinen Lebenslauf in seiner ganzen Alltäglichkeit und Fadheit vor ihr herunter, weder die Mutsch noch Tante Eliška noch die Paulová noch die Frau Hauptmann vor ihr verheimlichend, noch sie selbst, obwohl von ihr zu reden das Allerschwierigste war. Mit einer Eindringlichkeit, die mich selber überraschte, zeichnete ich ihr mit bloßen Worten das erschütternde Bild eines Jungmannes, der bis zur heutigen Nacht nichts besaß als seine Ehre und auch diese am heutigen Morgen verloren hatte, so daß er neben dem Zorn seiner Eltern mit Recht zu gegenwärtigen hatte, bald schon durch die Trennwand zwischen der Herren- und Damentoilette die Stimme der Sekretärin des Generaldirektors zu hören, die verkündete:
«Meine Damen, es ist eine Tragödie, aber unser Vilémek Rosol ist auch schon ein Ferkel!»
Dann war es still. Mir kam zum Bewußtsein, daß ich verstummt war, und voll Schreck gewahrte ich, daß auch sie nichts sagte. Ich begriff, daß mir nur ein Ausweg blieb: mich rasch anzuziehen, leise einen Gruß zu murmeln und mit ein für allemal gesenktem Kopf meiner Schande entgegenzugehen. Da spürte ich, wie mich ihre Arme umfingen und an die majestätische Büste zogen.
«Du Dummchen», sagte meine Frau mit einer Zärtlichkeit, die ich bei ihr nicht vermutet hatte, «das also quält dich? Na, dann heirate ich dich eben, und alles Geschwätz hat ein Ende!»
Die Tränen, die mir erneut aus den Augen schossen, als ihr Körper mich wieder liebend beschwerte, waren diesmal der Ausguß schieren Glücks.
So wurde meine Frau zu meiner Geliebten.
2
Wann immer meine Frau einen Entschluß faßte, stets setzte sie ihn ohne zu zögern in die Tat um. Während sie mich aus der Ohnmacht zurückholte, in die mich ihre Liebkosungen abermals gestürzt hatten, peinigte mich der schreckliche Traum, ich sei ein Unterseeboot und in den Fängen eines Kraken, und wie ich voll Verzweiflung meine Torpedos abschieße, sehe ich diese auf mich zurückkommen, eine Explosion kracht, ich fühle, wie das Wasser in mich eindringt und mir von den Knöcheln aufwärts bis in die Kehle steigt, die Todesangst nimmt mir die Kraft, auch nur ein Wort des von Paps berichtigten Vaterunsers zu sprechen, an dessen Anfang er «und